(Chanel Haute Couture H/W 2018)
Am Dienstag, den 3. Juli 2018 war es mal wieder so weit, ein heißer Tag in Paris, wie so viele in diesem Jahrhundertsommer, aber das Grand Palais mit seiner imposanten Glaskonstruktion lockte trotzdem, sich die Chanel Haute Couture Kollektion von Karl Lagerfeld für den bevorstehenden Herbst/Winter 2018/19 anzuschauen. Lagerfelds Schauen haben ja immer einen prächtigen Dekor, zuletzt im Mai, für die Croisière Schau wurde gar das Paqueboot „La Pausa“ komplett mit Kaianlage aufgebaut und eine hinreißende maritime Kollektion gezeigt.
Chanel Haute Couture H/W 2018
Doch diesmal etwas ganz Besonderes, das mir persönlich besonders gut gefiel und mit den Anfängen zu tun hat, als Karl Lagerfeld 1952 in Paris ankam und sicherlich, damals schon bücherverrückt, bei seinen ersten Spaziergängen gleich dorthin geeilt ist. Die Bouquinisten mit ihren grünen aufklappbaren Kästen, gehören zu den Klassikern in Paris am Seine-Ufer und sind Antiquariate, bei denen es auch heute noch wahre Schätze zu entdecken gibt.
Meine ersten Berührungspunkte mit der Welt der Haute Couture hatte ich genau bei einem solchen Händler, als ich drei Exemplare von Harper‘s Bazaar aus dem Jahre 1938 dort für jeweils 10 Franc als 13-Jähriger kaufte. Meine Leidenschaft für das Metier und Paris entbrannte daran und Lagerfeld schaut heute von seiner Wohnung am Quai Voltaire, wenn er zeichnet und arbeitet, genau auf diese wunderbaren Pariser Institutionen. Das College des Quatre-Nations beinhaltet das Institut de France und bildet dahinter ganz wie im echten Leben, die Kulisse dieser Schau im Grand Palais.
Ein weiteres Mal holt Lagerfeld, nach Eiffelturm, französischem Garten und den Rue Cambon Ateliers Paris, das Herz der Mode, des Handwerks und Savoir-vivre ins Grand Palais und damit das Bekenntnis zu Frankreich und dem Ursprung der Luxus Mode, die heute der weltweit begehrteste Exportartikel des Landes ist. Das Chanel dabei eine der wichtigsten Rollen spielt, haben die in diesem Jahr erstmals veröffentlichten Zahlen des Hauses manifestiert, die trotz Onlineabstinenz und keiner Herrenmode, sicherlich manchen Konkurrenten haben bleich werden lassen
Chanel Haute Couture H/W 2018
Die Haute Couture ist die Kollektion, die am nächsten an der Kundin dran ist und unmittelbar nach der Präsentation in den Ateliers den internationalen Klienten auf den Leib geschneidert wird, war ein Feuerwerk an Ideen und des raffinierten Handwerks. Die Vielfalt, der exklusiv für die Kollektion entwickelten, gewebten, gestickten und verarbeiteten Stoffe überrascht den Kenner immer wieder. Kein Haus greift fast auf kein Material zurück, das es nicht fertig gibt, sondern entwickelt schon die Zutaten, Stoffe, Knöpfe etc. alle selbst und in den eigenen Ateliers oder den Paraffection Ateliers, wie Lesage, Desrues, Lemarié usw., wird jedes Detail komplett neu für jede Kollektion erdacht und geschaffen. Das ist genau der Punkt, der Haute Couture von Luxus Designer Mode, der anderen Marken unterscheidet und einer der Alleinstellungsmerkmale von Chanel ausmacht. Alles ist der Vision von Karl Lagerfeld und dem Studio Chanel unter der Leitung von Virginie Viard als Ausgangspunkt unterstellt und fügt sich dort dann auch harmonisch zur Gesamtkollektion als Ganzes zusammen. Etwas, was man jeder Kollektion ansieht in ihrer Perfektion und Stringenz der Linie, die stets die Codes des Hauses aufnimmt, aber immer neue zukünftige Facetten und ein neues Gewand durch die neue Linie und das Thema der Kollektion, erhält. Chanel ist ein Stil und keine Mode, wusste schon Coco Chanel zu beschreiben, trotzdem löst es immer wieder neue Moden aus, das ist das Phänomen des Hauses und Lagerfelds und es gelingt ihm immer wieder spielend, durch den Fokus, den er auf bestimmte Kleidungsstücke oder Accessoires legt.
Vor den, in grauen Institut Chanel Sweatshirts mit der obligatorischen used Jeans bekleideten, Bouquinisten, alias männlicher Lagerfeld Entourage wie Brad Kroenig und Patenkind Hudson, die vor den bis ins Detail liebevollst dekorierten, mit Chanel Büchern und Dokumenten, gefüllten Ständen Platz genommen, erschien zum intonierten Soundtrack von Michel Gaubert, der erste Look der Kollektion „High Profile“.
Die Silhouetten dieser Haute Couture Kollektion sind mit ihrem „High Profile“ extrem definiert und erscheinen ein bisschen wie die Silhouetten des Zeichners Sem. Karl Lagerfeld präsentiert lange Röcke und Abendkleider aus Tweed, Samt und Musseline, die an der Seite mit einem Reißverschluss versehen sind, um die Eleganz der Beine im Profil zu unterstreichen. So gewährt jede der Silhouetten den Blick auf einen zweiten Rock – als Mini-Version Ton in Ton auf den Look abgestimmt – dessen Paspel aus Tweed oder bestickten Pailletten die Linie verlängert. Frisuren und Make-up zeigen einen „très parisienne“ Look mit den hochgesteckten Haaren, von Sam McKnight, die an das Fin de Siécle erinnern und Tom Pecheux edlem Teint, der betont ist und die städtische Eleganz ausstrahlt.
Die Farben von Paris, Stadt der Kunst und der Literatur, standen Pate bei der Auswahl der Nuancen für die Kollektion. Sie reichen vom mandelgrün der Dächer der historischen Gebäude bis hin zu den silbernen Reflexen der Seine bei Nacht. In den Kostümen spiegelt sich der malvenfarbene Himmel bei Sonnenuntergang und das Grau der Zinkdächer wider.
Chanel Haute Couture H/W 2018, Olivier Salliant
Diese kühne und äußerst elegante Pariserin trägt Stiefeletten mit Revers und mittelhohen Absätzen von Massaro und gelegentlich einen Haarschmuck aus Samt von der Maison Michel, verziert mit Federn aus den Ateliers von Lemarié. Trompe-l’Oeil-Kleider, lange Mäntel und Jacken mit dazu passenden plissierten Röcken sind in Blassgrau, Anthrazit, Schwarz und dunklem, sowie nachtblauem Marine gehalten, den typischen Farben von Paris. Tweed, Flanell, Samt, Crêpe, Spitze, Taft, Mousseline und Duchesse-Seide sind mit Kristall-, Perlen- und Paillettenstickereien aus dem Atelier Lesage oder dem Atelier Montex geschmückt.
Am Abend treffen die strengen Linien auf kostbare Details. Ein Spiel aus unterschiedlichen Volumen und Transparenz voller Eleganz und Raffinesse erzeugt Spannung zwischen prachtvoll geschmückten Oberteilen und schlichten Röcken sowie den Unterteilen der Kleider. Darüber hinaus betonen Stoffe, wie Seiden-Crêpes, Gaze, Seiden-Georgette, Tüll, Samt und Taft die Kunstfertigkeit und Perfektion, der in den Ateliers von CHANEL geleisteten Arbeit. Es gibt Bustiers, die mit Ballonröcken kombiniert werden, mit Pailletten bestickte Jacken, ein mit Federn gesäumtes Top über einem langen geflochtenen Ballonrock, ein kleines Schwarzes aus Samt mit einem kurzen silberfarbenen Bademantel, einen schwarzen Samtkimono mit einem bunten Blumen besticktem Futter.
Die Uniformen der Mitglieder der Académie Française aus schwarzer Wolle sind bestickt mit grünen und goldfarbenen Olivenzweigen, waren Inspirationsquelle für den abschließenden Look der Kollektion. Die Verzierungen, Attribute dieses Kreises aus belesenen Männern und Frauen, sind hier sanft über den blassgrünen Tweed der Jacke im Redingote-Stil verstreut. Kombiniert mit den geraden und schlichten Linien eines Brautkleides von nahezu geometrischer Eleganz entsteht ein subtiles Gleichgewicht zwischen Raffinesse, großzügig verarbeiteten Materialien und absolut reinen Formen.
Chanel Haute Couture H/W 2018
Die Braut trägt in dieser Saison nicht weiß oder gar wie in dem berühmten Film mit Jeanne Moreau, schwarz, sondern grün. Inspiriert von der Akademie, die in dem Gebäude ihren Sitz hat, das die Kulisse im Grand Palais bildete, der Akademie Française.
Ein Kleid und eine Redingote-Jacke aus mandelgrüner Wolle, die vom Atelier Montex mit Blättern bestickt wurde, ein Verweis an die Uniformen der Mitglieder der Académie Francaise. In diesem Look, der Quintessenz der Kollektion, sind Klassik und Moderne vortrefflich miteinander vereint.
Bei der Vorstellung einer Braut in Weiß, die ebenso eine grüne Robe tragen könnte, bietet Karl Lagerfeld eine moderne Lesart der, von den „Unsterblichen“, getragenen Uniform. Sie sind Mitglieder einer Gesellschaft aus Literaten, darunter auch Simone Veil, die ein von Karl Lagerfeld kreiertes Outfit anlässlich ihrer offiziellen Aufnahme in diesen Kreis trug. Das Kostüm der Frauen lässt sehr viel mehr Interpretationsspielraum hinsichtlich Form und Stil zu, als das der Männer, deswegen war es nur eines von vielen Outfits, die Karl Lagerfeld für die Aufnahme von berühmten Mitgliedern in seiner langen Karriere schuf.
Das Karl Lagerfeld schon lange nicht mehr die Haute Couture Kollektionen nutzt, um vermeintliche Trends zu setzen, sondern hier wirklich die Klaviatur dieses Metiers perfekt spielt und dort den Chanel-Stil zwar mit neuen Facetten versieht, jedoch in reinster Form zeigen kann, ist nicht nur dem immer stärker werdenden Zuspruch von Kundinnen aus aller Welt zu verdanken. Wer das wirklich Einmalige möchte und über das nötige Kleingeld verfügt, hat die Möglichkeit nicht nur die Krone der Bekleidungskunst zu erwerben, sondern durch die extreme Weiterentwicklung der letzten Jahrzehnte der Ateliers, gibt es dort auch für Lagerfeld die Möglichkeit, völlig neuartige Techniken und Materialien auszuprobieren, die früher gar nicht verarbeitet werden konnten. 3-D Druck wurde erstmals in der Couture eingesetzt, genau wie das Verfahren mit Materialien zu arbeiten, die vorher noch nie in der Stickerei oder Weberei verarbeitet wurden. Da kein Preisdruck vorhanden ist, wird bei der Couture, vieles entwickelt, was in später vereinfachter Form im Prêt-à-porter, dann neue Akzente setzt. Haute Couture war auch schon immer so etwas wie ein Laboratorium der Mode. Das, was viele für eine altmodische Gattung der Mode halten, war immer seiner Zeit voraus, weil die Möglichkeiten, besonders bei Chanel, durch die Paraffection Ateliers immens sind und jeder neue Weg ausprobiert werden kann.
Die „High-Profile“ Haute Couture Kollektion von Karl Lagerfeld für Chanel ist einer der luxuriösesten und selbstverständlichsten Spaziergänge an der Seine, der bewusst tragbar sein will, die Kundinnen werden es ihm danken. Extravaganz aber mit einer Selbstverständlichkeit – très Chanel!
Dass er das Métier der Bouquinisten wieder in den Vordergrund gerückt hat, dafür bin ich ihm sehr dankbar, denn es ist wichtig, dass diese Stände erhalten bleiben, nicht zu simplen Souvenirständen verkommen, denn dort wurde zwischen all dem Alltäglichen, schon so mancher literarischer Schatz gehoben, sie gehören einfach zum Bild der Stadt und machen eine der Komponenten aus, die den Mythos von Paris unsterblich machen. Vielleicht gibt es dort ja mal wieder einen Jungen, der dort etwas kauft und dadurch eine lebenslange Liebe entdeckt.
Vk
13. August 2018 at 16:33Wenn einer irgendwo beheimatet ist, folgt man ihm gern.
Herzlichen Dank, Peter, fuer deine Grosszuegigkeit.
Ein Vergnuegen fuer wahr.
fred
15. August 2018 at 16:37TOLLE SHOW. Grandios geschriebener Artikel! DANKE!
Peter Kempe at his BEST!