(Chanel Haute Couture Spring 2018; Foto: Courtesy of Chanel)
Man spürte am letzten Dienstag beim Betreten des Grand Palais sofort, dass man in Frankreich ist. Ein sogenanntes Boskett, ein französischer Garten, streng symmetrisch nach dem großen Gartenarchitekten des 18. Jahrhunderts André Le Nôtre angelegt, mit Springbrunnen, grünen Pergolen und Staketen, an denen Rosen, Jasmin und Efeu emporranken: Karl Lagerfeld wählte das Setting bewusst aus. Die Haute Couture von Chanel kommt eben aus den Ateliers der Rue Cambon und hat etwas sehr pariserisches und ist urfranzösisch, wie er selbst sagte. Außerdem betonte Lagerfeld, dass durch den neuen Präsidenten – Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte – das Land eine neue Stimmung und einen völlig frischen Wind bekommt, der auch deutlich in der Stadt der Haute Couture spürbar ist.
Chanel Haute Couture Spring 2018; Bild: Foto: Lucile Perron
Nach seiner Kollektion in Hamburg, die eher „angezogen“ und mit vielen seiner eigenen Wurzeln behaftet ist, setzt Karl Lagerfeld dieses Mal ein klares Statement für die Leichtigkeit, Luftigkeit und die große Raffinesse der in der Stadt an der Seine beheimateten Haute Couture. Der Frühling bringt die schönsten Blumen und Farben hervor – diese Leichtigkeit ins höchste Genre der Bekleidungskunst umzusetzen, mit all seiner Weiblichkeit, war diesmal das Thema des Allroundgenies und künstlerischen Kopfes von Chanel, der jetzt mit Bart und hellerer Brille sich auch gleich noch selbst einen neuen Frühjahrslook verleiht.
Was dann auf den zarten Kieswegen des Bosketts defilierte, war das, was Karl Lagerfeld als „the new Attitude of Couture“ bezeichnet – eine moderne aber sehr romantische Linie, die das Layering der Frühlingsblüten aufnimmt und mit transparenten und nicht durchsichtigen Materialien genau so spielt wie mit Stickereien und gemalten, „aquarelligen“ Malereien.
Wie umgedrehte Blütenkelche und die Querschnitte der Pflanzen in Silhouetten zu verwandeln und das noch alles zu „chanelisieren“ – für Lagerfeld eine Herausforderung, der er sich mit spielerischer Leidenschaft in dieser Haute-Couture-Kollektion verschrieb.
Haute Couture ist der „Kleidertraum“ in der Mode und so zeigt dieses Defilee genau diesen Frühlings- und Sommernachtstraum, der einem modernen permanenten Gartenspaziergang gleicht. Weiblichkeit und die zarten Frühjahrsfarben, durchzogen mit starkem Schwarz und Weiß und glitzerndem Morgentausilber, starkem Chlorophyllgrün, Fuchsia, Electric Blue und Tinte.
Alle Models tragen kleine, mit Schleiern versehene Haarkrönchen, die mit einem kleinen Veilchen oder Blumenbouquet versehen sind. Die Inspiration für Karl Lagerfeld lieferte hierfür das berühmte Bild, das Coco Chanel 1937 mit einem langen, mit Blüten bestickten Ballkleid – fotografiert von Cecil Beaton – zeigt.
Jedes Kostüm oder Kleid wird begleitet von halbhohen Booties mit transparentem Absatz, die aus Leder, Tweed oder bestickten Tüll immer den Look widerspiegeln und einen fast feenhaften Auftritt symbolisieren.
Zu den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings defilieren die ikonischen Tweedkostüme in der neuen Couturesilhouette in Weiß und „pastelligen“ Pinktönen. Gerade oder etwas trapezförmig geschnitten, leicht gerundeten Schultern und Ausschnitten. Zwei Taschen laden ein, die Hände bequem beim Flanieren zu versenken. Bei geraden Röcken blitzt hier und da starkfarbiger Satin aus den Schlitzen, bequem angekrauste Glockenröcke lassen viel Bequemlichkeit zu. Kleider erscheinen als „Augen täuschender“ Zweiteiler, wie ein Kostüm oder sind abgesetzt oder bestickt. Trapezsilhouetten, weich gerundete oder glockige Konturen lassen auch schwer gestickten oder gewebten Atelierbouclé weich und fließend erscheinen. Mantelkleider bekommen feminine Details und organische Säume. Kein Stoff, der nicht in komplizierter Technik überstickt ist und sein Geheimnis erst auf den zweiten Blick freigibt.
Kurze „Slipdresses“ komplett bestickt, werden von halbtransparenten, langen Kleidern überdeckt. Kleinste, dezent glitzernde Pailletten und Steine sind darauf in Form von botanischen Stickereien zu Hunderten verteilt. Unzählige fantasievolle Varianten von Traumkleidern in zarten Pinktönen, Koralle, geeister Zitrone, Mint, glitzerndem Grau und blassen Taupe lassen den Runway wie zu einer Feenwiese nach einem Frühlingsregen werden.
Nach einer klassischen romantischen Intonation weiß Soundstylist Michel Gaubert genau wie er auch durch die Elektroklänge des Soundtracks der Show, alles in das realistische Jahr 2018 bringt und dadurch wirkungsvoll die Gegensätze und gekonnten Brüche des Stils und der Materialien betont. Genau wie das Make-up, das überirdisch schön und frühlingshaft frisch wirkt. Rot lackierte Lippen, samtige gerötete Wangen und zarte rosige Reflexe auf den Augenlidern waren eine perfekte Reminiszenz an blühende Rosenbeete.
Überall sind Chanels legendäre Kamelienbouquets versteckt oder sichtbar eingearbeitet, gestickt oder in den Stoff eingewebt. Anemonen, Butterblumen, Nelkenblüten wechseln sich ab, während prächtiger Mohn gedrückt auf kunstvoll gerissenem Tüll dreidimensional erblüht. Zu einer großen prachtvollen „Crêpe de Chine“-Königin-Christine im Stil einer „Musketier“-Bluse wird ein kunstvoll bemalter großer Rock getragen, der mit überdimensionalen Wasserfarbenblüten handgemalt, wie ein leichter und fließender Sommertraum erscheint.
Doch nur Romantik – das wären nicht Chanel und Lagerfeld: Wunderbare Dreißiger Jahre fließende Säulenkleider in Crêpe Georgette mit Plissee und Faltendetails aus Crêpe de Chine in Schwarz, Smaragd, Royal und gebieterischem Pink nehmen die von Vorkriegssilhouette von Chanel auf und werden von Lagerfeld für mich zu den absoluten Highlights der Kollektion verwandelt.
Karl Lagerfeld liefert für den Frühling modernes Haute-Couture-Chanel, das schlicht wirkt und mit seinen in Hunderten Arbeitsstunden entstandenen Schnittraffinessen, zur rasantesten Couture-Kapriole wird.
Den Abschluss bildet wie immer das Brautkleid – eine Tradition, die schon Haute-Couture-Begründer Charles Frederick Worth in seinen Kollektionen im 19. Jahrhundert zeigte; voran Lagerfelds Patensohn Hudson Kroenig als flapsiger Rosenstreuer. Ein weißer Frack mit Hose geschnitten aus weißem Satin, der jedoch vom männlichen Kleidungsstück durch Marabufedern-Bolero und weiter großen Marabu-Krinoline zur großen 19.-Jahrhundert-Robe wie auf einem Gemälde Franz Xaver Winterhalter erscheint.
Haute Couture zum Träumen und Lustmachen auf die Schönheiten des Frühlings, den Duft der Rosen und des Jasmins an den royalen grünen Rankengittern, der zart durchs Grand Palais zog. Man wäre gern noch stundenlang in diesem Park sitzen geblieben, der wie unter einer überdimensionierten Schneekugel alles vereinigte, was das ausmacht, das die internationalen Kundinnen der Haute Couture suchen – die Tradition und den überbordenden Luxus der Materialien der Haute Couture, die Kultur von Frankreich und Europa und das Licht und die Parks der Stadt, in der Chanel zu Hause war und ihren Stil begründete.
Karl Lagerfelds French Garden – ein großer Haute-Couture-Moment und jetzt schon einer der schönsten Sommerspaziergänge dieses Jahres …
Elke kempe
26. Januar 2018 at 11:22Zauberhaft,macht Lust auf Frühling u.Sonnenschein!