Am Dienstag zeigte Karl Lagerfeld traditionell seine Haute Couture für Chanel im Grand Palais. Immer heiß erwartet bei den Chanel-Schauen: die Dekoration und die meist in Monate langer Vorarbeit gebauten Settings.
Diesmal ein dem Jardin du Plantes oder Londoner Crystal Palace inspiriertes Gewächshaus, das unter der Rotunde des gigantischen Grand Palais wie ein Haus im Haus wirkte.
Bei Karl Lagerfeld klingt immer alles sehr einfach: Es ist Frühling und da liegt auf der Hand, dass wir uns an Blumen und an der sprießenden Natur erfreuen. Naja, bei Chanel ist immer alles etwas raffinierter und verspielter und die Philosophie geht wesentlich tiefer: Bevor tausenderlei Blüten auf Kleidern erstrahlen, laufen die Ateliers auf Hochtouren, um diese Fantasie umzusetzen. Eines sei vorausgeschickt – besonders Maison Lemarié, zuständig für die Federstickereien, war mit seinen Handwerkern diesmal besonders stark gefordert.
Das sämtliche Pflanzen auf neutralem weißen Untergrund präsentiert werden, liegt sicherlich nicht nur daran, dass vor dem Frühling der Winter ist und darauf wie eine grundierte Leinwand die Farben erblühen können. Weiß ist die Farbe von Papier und sämtliche Blüten, Blätter und Büsche sind genau aus diesem in einer Art Scherenschnitt-Technik in wochenlanger Kleinarbeit ausgeschnitten worden.
In der Manier des Malers Douanier Rousseau, der das Naive in den Impressionismus brachte, ist zunächst nur weiß-gestaltete Flora zu sehen. Damit nicht nur die Modenschau beginnt, sondern auch eine Verwandlung stattfinden kann, die final zur Blüte führt, wird zuvor Baptiste Giabiconi in einem „Le Prince Jardinier“-Outfit mit Strohhut und grüner Chanel-Gießkanne in das Rund des Catwalks geschickt. Giabiconi löst durch angedeutetes Wässern eine wunderbare Mechanik aus, die bunte exotische und surreale Blumen sprießen lässt: starkfarbig und wie bunte Kleckse in den Träumen des Couturiers.
Haute Couture zeigt das, was die Kundinnen später im Salon bestellen. Schon die ersten zehn Durchgänge haben mit Sicherheit nicht nur die Herzen der Stammkundinnen höher schlagen lassen, sondern auch die “ Blocs de Commande“ des Hauses mit Orders füllen.
Auffallend sind die ausgestellten, taillierten Jacken zu A-Röcken in Sorbet Tweeds, orange-, azur-, zitronen- und mangofarbige Loups mit Chiffonfalten in korrespondieren Farben. Die Kollektion wirkt durch eine fast nahtlose Verarbeitung (eine Spezialität der Couture), farblich passenden Knöpfen, kleinen, aus dem Stoff herausgearbeiteten Schleifen-, Spaten- oder vom Hals entfernten Krägen äußerst pur. Die Formen der Blüten dienten auch als Inspiration für die Silhouetten: Kuppelröcke und schwingende, leicht ausgestellte Formen überwiegen. Klassische Chanel-Jacken in verkürzter Form deuten die Hauptschwerpunkte der Kollektion an, die dann in allen weiteren Modellen auf die Spitze getrieben wird. Es geht um die extreme Betonung der weiblichen Taille, die durch die meisten Säume der Oberteile betont werden. Grafische oder extrem bauschige „Ballerina Röcke“ betonen das Schweben der femininen Silhouette.
Dazu große drapierte Hüte aus Gazar-Tüll, die an einen Sommernachtstraum erinnern – sie wirken zu den klaren Kostümen wie märchenhafte Kopfbedeckungen. Überhaupt wird mit den extremen Gegensätzen von Klarheit und fast übertriebener Romantik gespielt …
Die Füße stecken in schwarzen „Peter Pan“-strumpfartigen Schuhen, die in den Hintergrund als Accessoire treten und die Funktion des Blumenstängels in der Natur übernehmen. Sie geben einen festen Halt für die fantastischen Gebilde, die mit üppigen Farben die Fröhlichkeit des Frühlings und des Sommers verkünden.
Wie bunte Farbtupfer bewegen sich die Models durch das Grand Palais – jeder Durchgang ist anders. Mal tragen sie zu schlichten Kleidern, die aber komplett aus nachgestickten transparenten Stoffen bestehen oder aus tausenderlei gefälteltem und plissierten Gazar oder Chiffon, gestrickte, mit Hunderten Stoffblättern applizierte Cloche-Mützen. Dazu werden ganze „Blütenblätter“-Schleier wie Blumenteppiche über das Haar gelegt.
Aus allen Kleidern scheint etwas herauszuwachsen: Mal Ärmel, die wie Pompons aus Blütenbouquets bestehen, mal ein ganzer Flor, der als Bahn ein roséfarbenes Infantinnen-Kleid überwuchert zu haben scheint. Toques sitzen wie Helme einer ganzen Feen-Armee auf den Köpfen zu Mänteln, die wie aus Lampion gefälteltem Papier wirken und wie ein gigantisches Origami-Kunstwerk erscheinen.
Man kann die ganze Farbpalette genauso wenig erfassen, wie es auch in der Natur den fauvistischen Farbsturm neben zarten Pastellfarben gibt. Alle Abstufungen von Rosé- und Pink-Tönen sind ebenso vertreten, wie feuriges Klatschmohn-Rot oder alle Farbabstufungen von holländischen Tulpen-Porträts aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Selbst Chanels Lieblingsfarbe wirkt gar nicht aggressiv oder stört die Zartheit der Natur. Im Gegenteil: Das Schwarz wird von Lagerfeld durch das Aufblitzen von flächigen Blüten oder Handschuhen mit orangefarbenen Blumen renaturiert – die Natur kennt bei ihm keine Grenzen.
Höhepunkt des romantischen Frühlingserwachens, das auf die Urinstinkte der Weiblichkeit und der Femininität setzt, ist eine Braut, die zu ihrer mit Tausenden kleinen Bergkristallen gestickten Tunika einen Rock und eine üppige Schleppe trägt. Die Tunika lässt den schönsten Tag im Leben einer Frau wie aus einem üppigen Blumen-Wasserfall erscheinen. Dazu trägt die Braut einen Hut, der sie in die Wolken entschwinden lässt. Begleitet wird sie von schönen Gärtnern mit exotisch wirkenden Bouquets.
Die Natur in ihren unendlichen Farben und Formen, die Schönheit des Frühlings, das Vertrauen in die Zukunft und die Weiblichkeit, dazu die Haute Couture, die wie ein Stoff gewordener Luxustraum wirkt, der von Zauberhand geschaffen wird – Karl Lagerfeld spielt alle Akkorde durch, die fernab von Fashion Business und Prêt-à-porter oder gar Alltagskleidung liegen und gibt das, was Diana Vreeland einmal in ihrem Zitat ausdrückte „Man muss das den Menschen bieten, von dem sie noch nicht einmal zu träumen wagen“.
Genau das lässt diese Chanel-Couture wahr werden: Die Natur holt sich das zurück, was uns der Alltag manchmal vergessen lässt.
Im Schutze des Grand Palais hat Lagerfeld schon jetzt ein zauberhaftes Frühlingsfest erblühen lassen. Die Kollektion ist Chanels Hommage an die Natur und ein Farbrausch par excellence – in der Couture sind eben Träume Realität.
Als Coco Chanel im Mai 1913 in der skandalumwitterten Premiere von Igor Strawinskys „Le sacre de Printemps“ (Englisch: The Rite of Spring) gesessen hat und die Kritiker es als orgiastischen Rausch der Natur tadelten, hat sie sich bestimmt nicht träumen lassen, dass in ihrem Haus auch noch über ein Jahrhundert danach ihre Mode so fulminant erblüht und ihren Namen in die Zukunft trägt …
Siegmar
30. Januar 2015 at 11:52wunderbarer Artikel über diese Haute Couture Show von Chanel, da gefällt mir wirklich alles ( wie immer bei mir sind die Schuhe die mir nicht gefallen ) tolle Farben und die Kreationen sind traumhaft.
Elke
30. Januar 2015 at 12:10In diesem trüben Winter ein zauberhafter Blick auf den Frühling.
Die Dekoration einfach entzückend, und die Modelle gefallen durch
Schnitt und wunderschöne Farben.
Dank für den sehr schönen Bericht,mein Peter!,
Horst
30. Januar 2015 at 13:10Highlight, auf jeden Fall! Bei den Schuhen gehe ich mit Siegmar d’accord.
Das Dekor ist auch der Knaller, erinnert ein wenig an Origami
Markus
30. Januar 2015 at 13:40das Setting ein Traum, die Stickereien und die Farben – sensationell
vk
30. Januar 2015 at 14:26toll. hab ich ueberhaupt nicht erkannt. ist tatsaechlich der zoellner rousseau.
Monsieur_Didier
30. Januar 2015 at 19:17…unbeschreiblich schön…
ein Garten voll wundervoller Blumen…
wenn ich die Handarbeit sehe, bin ich ganz ergriffen…
Monsieur_Didier
30. Januar 2015 at 19:37…die Stickereien, die Stickereien, die Stickereien,
einfach unfassbar…
und sooo schlecht finde ich die Schuhe gar nicht, schön, dass man auch wieder mal eine flachere Form sieht…
schade, dass alle Modelle die gleiche Farbe tragen, ausgerechnet Schwarz, das hat bei den tollen Sorbetfarben und den bunten Blumenwiesenstickereien für meinen Geschmack viel irritierendes an sich…
aber diese komischen Gürtel…
man sollte dem Stylisten, der sich das ausgedacht hat, mit selbigen eins oder zwei drüberziehen…
das ist albern und manchmal auch fürchterlich…
ansonsten… superbe :-*
stephanberlin
1. Februar 2015 at 11:03Ich finde diese Störer-Schuhe genau richtig für die Show! Sonst wäre es fast zuuu schön geworden. Durch die schwarzen Schuhe nimmt man die Kleider anders wahr!
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26. März 2015 at 09:33[…] anderem das Dekor für die weiße Chanel-Kollektion im Jahre 2009 gestaltet und auch an der letzten Couture Schau im Grand Palais mitgearbeitet. Sämtliche Soundinstallationen – Musik gehört für Karl immer zur […]