(Chanel Haute Couture Herbst-Winter 2021/2022; Foto: © Chanel)
Die erste kombinierte Publikum/Online-Haute-Couture-Schau von Chanel fand im Innenhof und der Galerie des Pariser Modemuseums Palais Galliera statt. Auf der Hand lag diese Location nicht nur, weil das Grand Palais aufwendig renoviert wird, sondern auch, weil dort aktuell die Ausstellung „Gabrielle Chanel – Manifeste de Mode“, die sich dem Lebenswerk von Coco Chanel widmet, gezeigt wird. Von Chanels erster Matrosenbluse von 1916 bis zu Kleidern aus ihrer letzten Kollektion 1971 zeigt diese Ausstellung nicht nur ihre Entwicklung durch sechs Jahrzehnte, sondern auch die Accessoires, den Modeschmuck und natürlich einen historischen Querschnitt zu ihren Düften und der Kosmetik. Ikonen des 20. Jahrhunderts und der rasanten Entwicklung des Frauenbildes, das die Avantgardistin in ihrer Kreation verfestigt. Nie gezeigte Objekte aus der Patrimonium-Sammlung des Hauses Chanel werden zusammen mit internationalen Leihgaben selbst zum Manifest des Lebenswerkes und der über hundertjährigen Geschichte des Hauses Chanel.
Das vornehme Palais aus dem Fin de Siècle, mit Blick auf den Eiffelturm, bietet die perfekte Kulisse für eine Haute-Couture-Schau, denn kein Handwerk ist so mit Paris verbunden wie die Haute Couture. Selbst in den Statuten der Handwerkskammer, der „Chambre Syndicale de la Haute Couture“ ist festgelegt, dass diese ganz besondere Art der Mode in Paris produziert werden muss, um als Haute Couture anerkannt zu werden.
Die Codes von Chanel, kontinuierlich von der Begründerin aufgebaut und immer wieder in den verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ergänzt und modernisiert, möchte Virginie Viard, kreativer Kopf des Hauses Chanel, aufgreifen und mit ihren eigenen heutigen Vorstellungen verknüpfen.
Sicherlich fließt auch der Genius Loci des Ortes mit ein, denn Viard tauchte tief in die Archive und fand Bilder der jungen Chanel, als sie am Anfang ihrer Karriere stand. „Als ich diese Porträts von Gabrielle Chanel in schwarzen oder weißen Kleidern im Stil der 1880er-Jahre wiederentdeckte, dachte ich sofort an Gemälde“, erklärt die Designerin. „Werke von Berthe Morisot, Marie Laurencin und Édouard Manet. Es finden sich impressionistisch inspirierte Kleider, Röcke, die wie Gemälde aussehen, und ein langes weißes Satinkleid mit schwarzen Schleifen, wie Morisot die Pariserinnen malte.“ Malerei ist tatsächlich das Herzstück Herbst-Winter 2021/2022 Haute-Couture-Kollektion. Sie ist die Hauptinspiration, weil sie natürlich auch gut übertragbar ist auf das, was Haute Couture von Prêt–à-porter unterscheidet, die kostbaren Stickereien, die handgewebten Tweeds, Applikationen aus Federn, unendlich veredelte Materialien und handgenähte Details.
Eine feine komprimierte Haute-Couture-Kollektion von 37 Looks, die sich konzentriert auf das, was Konfektion – und ist sie auch noch so gut gemacht – nicht liefern kann. Die Looks feiern nicht nur den Stil Chanels, sondern begrüßen auch den Wiedereintritt ins öffentliche Leben mit einem Feuerwerk von Farben und raffinierten Details. Ihre eigene Design-Vision bringt Virginie Viard mit ihren ureigenen Charaktereigenschaften ein: „Da sind mit Seerosen bestickte Kleider, eine Jacke aus schwarzem Tweed aus Federn mit roten und rosa Blüten“, wie sie erklärt. „Ich dachte auch an englische Gärten. Ich mag es, einen Hauch von England mit einem sehr französischen Stil zu vermischen. Es ist, als würde ich das Maskuline und das Feminine vermischen, etwas, was ich versuche, in jede Kollektion zu bringen, weil dieser Gegensatz die Spannung erzeugt. Auch wenn es eine Winterkollektion ist, setzt Viard auf optimistische Farben gepaart mit dem signifikanten Schwarz des Hauses: „Ich wollte unbedingt eine besonders farbenfrohe Kollektion, die sehr bestickt ist, etwas Warmes.“
Die Kombination von modernen Formen und Chanel-typischen Jacken und Mänteln mit dicken ausgestellten Taftröcken verleiht die Majestät und den romantischen Touch, den Haute Couture beinhalten muss, mit der Selbstverständlichkeit von heute und Luxus auf den zweiten Blick. Jeder Look erzählt eine eigene Geschichte, und die Materialien und das Handwerk vereinigen wie ein Orchester die Details zu einem harmonischen Ganzen.
Wie ein impressionistisches Gemälde scheint der mit Pailletten besetzte Tweed eines Mantels aus einer Vielzahl von Pinselstrichen zu bestehen. Blusen mit Pailletten-Motiven in Mauve und Pink oder mit kleinen roten, blauen und gelben Gänseblümchen auf schwarzem Grund werden in tief taillierte Röcke aus mehrfarbig gestreiftem Tweed gesteckt. Blassrosa und gelbe Tüllbommel zieren eine schwarze Paletot-Jacke, die aussehen wie fröhliche Farbkleckse, natürlich gestickt in raffinierter Federstickerei von Lemarié.
Die einzelnen Epochen des Hauses bekommen liebevolle Hommagen in Details, große Florentiner-Hüte sind unterlegt mit Kamelien (Karl Lagerfelds erste Braut 1983 lässt grüßen), die typischen langen ausgestellten Crêpe-Kleider mit Trompe-l’œil-Effekten, wie viele in der Ausstellung zu sehen sind zeitgemäß transformiert in Gelb und Grün gezeigt und erhalten Chanels berühmte Volants, der äußerst erfolgreichen Vorkriegs-Kollektionen 1938/39.
Die Spitzenkleider mit großen Dentelles des Calais-Kamelien-Inkrustationen in Guipure-Technik gearbeitet, werden sicherlich Renner dieser Kollektion, denn die Schlichtheit der Trägerkleider gepaart mit der dekorativen Spitze sind ewige Chanel-Klassiker und sehr begehrt seit Cocos Zeiten beim Haute-Couture-Klientel.
Das Brautkleid mit Pillbox-Hut mit Schleier und auch die Satinkleider mit den Florentiner-Hüten erscheinen wie das gesamte Ensemble, das man sich gleich für eine Hochzeit samt Brautjungfern und Brautmutter vorstellen kann. Eine schöne Geste, die daran erinnert, dass ursprünglich die Haute Couture hauptsächlich den Abendveranstaltungen, Bällen und Hochzeiten vorbehalten war. Tagesgarderobe spielte nur eine untergeordnete Rolle. Auch übrigens der Anlass, dass traditionell das Brautkleid am Schluss in der Kollektion zur Tradition am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde.
Virginie Viard feiert mit dieser Kollektion nicht nur den hoffentlich wieder Eintritt in ein wieder gesellschaftliches Leben, sondern es ist auch ein klares Bekenntnis nach vorne, zurück zu dem Unterschied von Prêt-à-porter und Haute Couture. Ein klares Manifest zu den Gesetzen des Handwerks, der Raffinesse des Materials und den Grundsätzen, die so eindrucksvoll in der Ausstellung auch dem Mode-uninteressierten Besucher klar werden. Chanel ist keine Mode: Chanel hat immer nur der Haltung zur Weiterentwicklung der Frauen in ihrer Zeit Ausdruck verliehen und sie ermutigt, das auch zu zeigen.
Virginie Viard legt das klare Zeugnis ab, dass auch moderne Frauen träumen dürfen – wie von der Haute Couture, die für die meisten ein Traum bleibt, muss romantische Züge haben, denn sonst wäre es kein Traum. Das Finale auf der Treppe hätte Berthe Morisot bestimmt gern in einem Gemälde festgehalten …
Elke Kempe
8. Juli 2021 at 10:14Wie immer,ein sehr schöner Bericht!!Klasse