Shixin Huang; „Boy de Chanel“; Courtesy of Chanel
DIrgendwann stand er vor mir, groß, männlich, ein leichtes Make-up aufgetragen, aber nicht dezent genug, als dass man es nicht sehen sollte. Oh ja, man sollte es sehen. Es war an einem Ort, an dem ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem geschminkten Mann gerechnet habe; ganz nebenbei, sehr selbstverständlich und eben nicht im Club, wo man Anfang der 2000er bestenfalls Trägern der Make-up-Linie „Le Mâle Tout Beau Tout Propre“ von Jean Paul Gaultier begegnen konnte. Doch vielleicht war damals die Zeit noch nicht reif für eine dekorative Männerkosmetik-Serie, zumindest verschwanden nach einiger Zeit die Nagellacke, Bräunungspuder, Concealer, Lipgloss und Eyeliner wieder aus dem Programm des französischen Designers.
Vor knapp zwei Jahren lancierte dann Chanel die erste Label-eigene Kosmetiklinie, die sich an Männer richtete. Vermutlich ist die Zeit nun sehr reif für den mattierten Mann, denn „Boy de Chanel“ wird nun um einige Produkte ergänzt.
Shixin Huang; „Boy de Chanel“; Courtesy of Chanel
Die Idee hinter „Boy de Chanel“ ist, für die gelassene und moderne Männlichkeit dieser Ära zu stehen. Das sagt viel über die Gesellschaft aus: Waren es Anfang der 2000er eher extrovertierte Männer, die zur Kosmetik griffen, wird die Generation der 20- bis 40-Jährigen spürbar experimentierfreudiger. Das macht sich auch in den neuen „Boy de Chanel“-Produkten bemerkbar: Zum Lip Balm, Foundation und Augenbrauenstift, also die drei „Boy de Chanel“-Basiselemente, gesellen sich nun Fortifying Gel Moisturizer, Concealer, 3-in-1-Eye-Pencil und Nagellack, was die Serie durchaus komplexer macht.
Doch worum geht es genau? Hinter dem Namen Fortifying Gel Moisturizer verbirgt sich eine feuchtigkeitsspendende Hautpflege, die entweder als Aftershave allein verwendet oder vor Foundation aufgetragen wird, wodurch sich das Gefühl von Spannungen und Trockenheit nach der Rasur reduziert.
Mit dem Concealer gelingt dann der wesentliche Schritt, um Anzeichen von Müdigkeit intuitiv und unmerklich mit einem Strich zu beseitigen. Weiter geht’s mit dem 3-in-1-Eye-Pencil, mit dem eine einfache Linie an dem Wimpernansatz, um die Augen zu definieren, aufgetragen werden kann, oder aber als Eyeliner am inneren Augenwinkel, um das Auge zu intensivieren, oder einfarbig wie Lidschatten verblendet, um einen stärkeren Effekt zu erzielen.
Mit dem „Le Vernis“-Nagellack verhält es sich ein wenig wie mit Perlenketten für den Mann: „Es ist doch lustig, dass so eine Kette an einer Frau total langweilig aussieht“, wie Giambattista Valli vor einigen Jahren dem „Wall Street Journal“ seine Liebe zu Perlen erklärt. „Wenn man das Stück aber an einem Mann sieht, gehen die Leute die Wände rauf.“ Vielleicht ist es aktuell noch ein wenig eben diese dezentes Augenzwinkern gegen eingestaubte Konventionen, die die matten Nagellacke besonders reizvoll machen …
Die Produkte aus der „Boy de Chanel“-Kollektion 2020 werden ab dem 01. August 2020 erhältlich sein.
Peter Kempe
27. Juli 2020 at 11:06Die Verpackungen das Design einfach grandios und schön und die Produkte toll rund durchdacht. Männer wagt euch was find ich genial.
Glencheck
27. Juli 2020 at 17:43Diese Produktlinie bringt eigentlich schön auf den Punkt, woran unsere Zeit so krankt. Um schön, instagrammable und „gepflegt“ zu sein, müssen Frauen was an sich „machen“. Z. B.: Haare färben, Gesicht grundieren, schminken, concealen, pudern, klären, Augenbrauen zupfen und anders nachziehen, Augen schattieren, tuschen, Mascara, Wimpern tuschen und formen, evtl. zusätzliche aufkleben, Lippen konturieren, evtl. Konturen tätowieren, evtl. aufspritzen, Lippenstift, Lipgloss, Rouge, Fingenägel ankleben, Gelnägel, lackieren,in angesagte Form feilen, Brüste je nach Mode aufpumpen, hochbinden oder abbinden, Sonnenbank, Selbstbräuner oder Spraytan, Oberlippe/Achseln/ Schritt/Beine wachsen, zupfen oder rasieren, Hornhaut an Füßen entfernen, Zehennägel feilen, lackieren, Fett absaugen, Hintern aufspritzen – hab ich was vergessen? Also irgendwie alles, kein Zentimeter darf natürlich bleiben. Und ich rede hier dezidiert nicht von Körperpflege – Shampoo, Seife, Deo, und meinentwegen einer Kur fürs Haar.
Vor dem Hintergrund dieses menschenverachtenden Schönheitsterrors sehe ich nicht den Fortschritt, den Foundation und Concealer für den Mann bringen sollen. Gleichberechtigung ist schön, richtig und wichtig, aber nicht, wenn sie allen die gleiche Unfreiheit bringt. Wir sind zum Glück wohl noch weit davon entfernt, dass dieser ganze Klimbim für Männer so selbstverständlich vorausgesetzt wird wie es bei Frauen derzeit der Fall ist, aber ich sehe auch keinen Anlass, die Einführung eines Augenbrauenstiftes für Männer zu feiern.