(Bild: Olivier Saillant)
Nachdem Karl Lagerfeld mit der im März gezeigten Herbst/Winter 2017 Prêt-à-Porter-Kollektion eher die futuristische Seite Chanels, samt Raketenstart im Grand Palais zu Elton Johns „Rocket Man“, auslebte und die Medien zum Beben brachte, war es relativ klar, dass er jetzt mit einer ganz anderen Inspiration überraschen würde.
Griechenland ist „der Herkunftsort der Schönheit, Kultur“ stellte schon der deutsche Archäologe Heinrich von Schliemann fest, als er sich im 19. Jahrhundert aufmachte, um die sagenumwobene Stadt Troja zu suchen und auszugraben. Dabei bediente er sich der Quellen der Bücher des griechischen Schriftstellers Homer aus der Antike. Genau diese Bücher standen bei den Eltern von Karl Lagerfeld im norddeutschen Schleswig Holstein in einer wunderschön gebundenen Lederausgabe in zwei Bänden im Bücherbord; der Umschlag in zartem Lila, geprägt mit goldenen griechischen Motiven und neoklassizistischen Grafiken. „Die Geschichte des Trojanischen Krieges“ faszinierte Lagerfeld so sehr, dass er das idealisierte Griechenland und das „goldene Zeitalter der Antike“, wie er es selbst nennt, stets als Inspiration und Schönheitsideal ansieht.
Bild: Olivier Saillant
Karl Lagerfeld stellte 2014 für die Ausstellung „Feuerbachs Musen, Lagerfelds Models“ in der Hamburger Kunsthalle Isadora Duncan mit ihren tanzenden Nymphen im Wald von Delphi und „Daphnis und Chloe“ in den Vordergrund. Der Bogen zu Garbielle Chanel schlägt sich, wie man schon auf der Einladung erkennen kann, durch die im privaten Apartment in der Rue Cambon verwahrten Marmorbüste der Venus aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Schon 1922 wurde Chanel von Jean Cocteau gebeten, die Kostüme für seine in der Antike spielenden Inszenierung der „Antigone“ zu schaffen. Cocteau erklärte schon damals, dass er Chanel nicht nur gebeten hat, weil er sie für die größte Couture-Schneiderin ihrer Zeit hielt, sondern weil er sich auch nicht vorstellen konnte, das die Töchter des Ödipus in ihrer Zeit nicht wunderbar angezogen waren.
Wenn Gabrielle Chanel nach ihrem Erfolgsrezept gefragt wurde, antwortete sie gern mit einem Bild aus der griechischen Mythologie, die voller Sagen, Geschichten und Mirakeln der Schönheit und Kunst sind: „Meine Schere ist nicht so großartig, wie die von Praxiteles, aber ich bin wie ein griechischer Bildhauer; forme meine Kreationen mehr, als das ich sie zeichne.“
Bild: Olivier Saillant
„Die Vision von meinem Griechenland ist eine Idee“, sagt Karl Lagerfeld, „sie hat nichts mit dem heutigen Land zu tun, das Antigone schon längst verlassen hat. Heutige Realität ist nicht mein Interesse. Ich benutze die Elemente, die ich aus der Antike und meiner Inspiration liebe. Außerdem war die griechische Zeit eine Periode, in der es um Körperbewusstsein und eine Mode ging, die den Körper umschmeichelte. Es ist etwas sehr Heutiges.“ Um die Chanel Cruise-Kollektion auf einen Nenner zu bringen, addiert man dann noch Lagerfelds absoluten Scharfsinn von Recherche der Kultur, die Elemente und Codes von Chanel sowie eine gehörige Portion Humor hinzu.
Bild: Courtesy of Chanel
Die modernen „Nymphen“ in Form von Lagerfelds Modelgarde treten aus einem in sonnigem Licht getauchten, erdfarbenen Trompe-l’œil-Dekor heraus, das mit griechischen Säulen, hundertjährigen Olivenbäumen und Bildhauerwerkstätten nachgebildet ist.
Ab den ersten Looks wird klar, dass die Welt von Kreta, der minoischen Zivilisation, des Palastes von Knossos und dem Mythos des Königs Minos nun die Reise in die Zukunft antritt und scheinbar in der Rue Cambon „chanelisiert“ wurde.
Bild: Courtesy of Chanel
„Um die Zukunft zu kreieren, muss man um die Vergangenheit wissen. Wenn man sie beachtet, kann man etwas Neues schaffen“, konstatiert Karl Lagerfeld mit einleuchtender Klarheit. Auch etwas fast Altmodisches – der Modeschöpfer erklärt noch heute seine Kollektionen, weil es sich nicht um Klamotten, sondern um das Ergebnis von einer Vision handelt, die in Zusammenarbeit mit den Ateliers in Hunderten Arbeitsstunden eine Form bekommt, die aus dem Zusammenspiel der Materialien und des Handwerks bestehen. Kein Wunder also, dass bei Chanels Kollektionen meist jedes Einzelstück und jedes Accessoire zu kostbaren Preziosen wird.
Es folgt ein Feuerwerk aus Ideen, das, nebenbei bemerkt, auch noch tragbar ist. Die Tweedkleider sind als fast ’schlicht‘ zu bezeichnen, wären sie nicht, wie Lagerfeld im Interview eindringlich norddeutsch versichert, gestickt und nicht einfach gewebt. Die antiken, von Hirtengewändern inspirierten Kleider wirken mit ihren Kordelgürteln sofort heutig und modern.
Bild: Courtesy of Chanel
Einfach ist an der Cruise Kollektion gar nichts. Jedes Detail ist drapiert und elegant, flüssige Linien und Schnitte wechseln mit kastigen Jacken in Materialien wie Tweed, Jersey, Seide, Leinen, Spitze und Crêpe-de-Chine ab. Drucke und gestrickte Jacquards in den Motiven der minoischen Wandmalereien und den Friesen von antiken Vasen verwandeln sich in lange lässige Kleider. In den Farben wirken sie, als wären sie eben erst aus der Erde der Ausgrabungen befreit worden. Terra und Schwarz, Ochsenblut und Ockerfarben werden von den Accessoires, die munter die bunten Farben der bunten Kabelwelt des „Chanel Data Centers“ aus diesem Frühjahr aufnehmen, Clutches und griechische Sandalen, die mit griechischem Kapitell-Absatz und hohen Schnürungen einen zukünftigen Touch bekommen, gegen die erdigen Töne setzen.
Bild: Courtesy of Chanel
Die Siegerkränze der Olympioniken werden zu Diademen, üppige Ketten, Armreifen und Armbänder umschmeicheln Hals und Arme. Amphoren verwandeln sich in kleine und große plissierte Rucksäcke, Minaudieres und Clutches sind aus drapiertem Leder oder bronzierten Schlangen- oder Echsenleder. Es ist eine Kollektion voller Accessoires: Ob Medusen auf Seide oder klassischen „Greek-Mustern“, Knöpfen mit der berühmten Athener Wappen Eule oder auch Taschen ganz aus den Münzen, als hätte man sie direkt aus dem Schatz des Priamos geklaut.
Broschen und Anstecker mit dem Pfeil und Bogen des Amor, Alpha und Omega in Strass besetzen Kunststoff, Pan mit seiner Flöte wie von einem griechischen Vasenbild oder auch allerlei Säulen und Kapitelle – alles gibt es als Accessoires.
Bild: Courtesy of Chanel
Sogar den berüchtigten Schierlingsbecher, der das Gift bei Hinrichtungen und Selbsttötungen enthielt, gibt es in poppiger mit CC-Emblem versehender 2018 Version als Schmuckstück. Mit dem Begriff „Schierlingsbecher“ wird hauptsächlich die Hinrichtung des Sokrates 399 v. Chr. verbunden. Geschichtsunterricht gibt es in fast jeder Kollektion bei Karl Lagerfeld gratis dazu. Schließlich sieht er jede seiner Saisons als ganzheitliche Einheit.
Die neue „Gabrielle“-Tasche ist allgegenwärtig. Sie wird mit gestrickten Eulenmotiven oder antiken Vasenmotiven oder in marmorierendem Leder neu interpretiert.
Bild: Courtesy of Chanel
Eines der Hauptmotive plissierte weite Seide, Jumpsuits, weite Hosen, Kleider, Oberteile, Details und Säulenkleider alles ist in kunstvolle Falten gelegt. Schneeweiße oder zykladenblaue, weite Kaskadenjacken in Tweed werden darüber getragen. Immer wieder Eulen als Symbol der Weisheit, eine Serie mit Seidendrucken mit Siegerkränzen, Eichenzweigen und griechischen Ornamenten in Kombination mit versteckten Kamelien und Weizenähren auf Kleidern und Pullovern, den Glückssymbolen von Gabrielle Chanel.
Höhepunkt dann die drapierten und schlichten Leinen und Crêpe Kleider, die als Gegensatz mit kostbaren Stickereien versehen sind und breiten Taillengürteln, die den griechischen Marmor in aus Tausenden kleinen Federn gestickten Ornamenten imitieren. Tops, die von den Oberteilen der Spartaner inspiriert wurden und lange, fließende Röcke tragen die Sonnenspiralen, die den Griechen das Leben, die Energie und die Bewegung der Erde symbolisierten.
Bild: Olivier Saillant
Karl Lagerfeld schafft es immer wieder die Elemente und den als Pariser Couture-Synonym stehenden Chanel-Stil und dessen Codes, mit leichter Hand mit den Kulturen seiner Visionen zu verknüpfen. Was die Wurzeln unserer europäischen Hochkultur und der griechischen Antike zur Wiege der Zivilisation und der Bildung machte, verbindet er mit dem Exportartikel, der heute weltweit begehrt und als erstes Haus der Mode für Luxus und Haute Couture steht. Seine Cruise Kollektion für Chanel lädt ein, in die Welt Homers und des antiken Griechenlands einzutauchen – aber gleichzeitig zu erleben, dass zeitgemäße Kleidung für moderne Frauen entsteht, die nicht nur hundertprozentig Chanel ist, sondern auf den Straßen von Peking, Taipei, New York oder London getragen, ein wenig die Wiege der Schönheit und Kultur in die Zukunft trägt.
„Die Modernität der Antike“ – eine Sternstunde der Mode von Karl Lagerfeld für Chanel.
Markus Brunner
8. Mai 2017 at 14:34die geschichtlichen Herleitungen von Peter – grandios, Danke dafür. Die Kollektion selbst wirkt superleicht aber nicht flatterig, luxuriös und träumerisch – wunderbar.
Elke Kempe
8. Mai 2017 at 17:59Karl führt uns wieder mal in eine zauberhafte Welt,und Du kannst es uns immer so wunderbar erklären.Danke dafür!
Siegmar
10. Mai 2017 at 12:15ganz wunderbar, Peters Artikel, die Mode und Lagerfeld
Gucci Cruise 2018 – Alessandro Micheles florentinische Renaissance | Horstson
6. Juni 2017 at 09:29[…] von Vogue oder Harper’s Bazaar. In diesem Jahr war es allerdings etwas anders – Chanel zeigte in Paris und Gucci in Florenz. Courtesy of Gucci – Foto von Ronan […]