Schon als Kind, wenn wir mit dem Auto in die Ferien fuhren, wurde ich ungeduldig, wenn wir an der französischen Küste das Esterel-Gebirge passierten. Nicht nur wegen der leuchtenden Terrakotta-Farben, sondern auch, weil dort schon damals eines meiner Lieblingshäuser stand – das von Antti Lovag entworfene „Palais Bulles“. Für mich hieß es aber damals wie heute das „Barbapapa-Haus“, das mittlerweile dem französischen Modeschöpfer Pierre Cardin gehört.
Stark geprägt von Filmen wie „Fantomas“ und den tollen französischen Comic Figuren stellte ich fest, dass es diese Welt tatsächlich zu geben schien, die wir nur aus dem Fernsehen kannten.
Südfrankreich, mit seinem Licht und seiner ganz bestimmten Stimmung, hat schon immer Künstler beeinflusst und scheint in jeder Generation eine Renaissance der Inspiration zu erleben. Auf engstem Raum entwickelten Jahrhundertgenies wie Picasso oder Matisse ihre stärksten Schaffensphasen und das Licht hat den Ruf eines der schönsten der Welt zu sein.
Auch Modeschöpfer ließen sich seit jeher von den Farben und der Natur Südfrankreichs inspirieren. Jüngstes Beispiel dafür ist Raf Simons. Simons zeigte als künstlerischer Direktor bei Christian Dior seine Cruise Collection in der Location, die noch heute futuristisch wirkt. Gleichzeitig setzte Simons den Trend fort, Mode und Architektur zu verbinden: Karl Lagerfeld zeigte in Südkorea im Bau von Zaha Hadi, Nicolas Ghesquière in Palm Springs in der Bob Hope Foundation des Architekten Lautner und nun also Dior im Palais Bulles.
Bevor wir zu Raf Simons beachtenswerter Kollektion kommen, müssen wir einfach mehr über das Gebäude erfahren, das einfach kein vergleichbares Gegenstück hat. Die Idee kam dem Architekten Antti Lovag erstmals 1975. Er war beeindruckt von den kupferfarbenen Bergen, die direkt an der Côte Azur zwischen Cannes und Monaco liegen. Wie Blubberblasen fügen sich die runden Wohneinheiten mit den Verbindungsgängen sanft in die Hügelkette ein. Große Terrassen und Pool Anlagen lassen sofort „James Bond“-Feeling und Jetset-Atmosphäre aufkommen.
Antti Lovag, der sich selbst als Anti-Architekt bezeichnete und keine rechten Winkel mochte, hatte ein in Ansätzen ähnliches Haus, das aber wesentlich kleiner als das 1.200 Quadratmeter große Palais Bulles war, bereits für Antoine Gauder in Tourrettes-sur-Loup realisiert. Futurismus hatte Lovag stets beeindruckt. Er wollte das Konzept des „Wohnens ohne gerade Wände“ weiterentwickeln und auf die Spitze treiben. Pierre Bernard, ein französischer Industrieller, ließ sich von Lovags Entwürfen überzeugen. Nachdem die ersten „Wohnblasen“ fertiggestellt wurden, konnte ihn der Architekt sogar noch zu Anbauten begeistern. Von 1979 bis 1984 wurde dann auf und in den Berg unter massivem technischen Aufwand die Gesamtanlage gebaut und ausgestattet. Sogar ein Amphitheater mit 500 Plätzen und eine große Veranstaltungshalle wurden integriert. 1991 starb Bernard und Pierre Cardin erwarb das Haus, welches er bis heute bewohnt. Cardin, der neben André Courreges ab Mitte der Sechziger Jahre die Mode so gestalten wollte, wie er sich das Leben im Jahr 2000 vorstellte und ebenso stark vom Futurismus infiziert war, nutzt heute das Palais auch zur Ausstellung seiner Designsammlungen, seiner Möbel und der Interieur Entwürfe.
Der 92-jährige Cardin ist einer der Menschen, der am längsten in der Mode tätig ist. Geboren wurde Cardin 1922 in Italien. Er kam 1944 zu Jeanne Paquin, weil er außergewöhnlich gut zeichnen konnte. Dann ging alles wie in Zeitraffer. Cardins visionäres Talent scheint ihn immer genau dort hingebracht zu haben, wo Modehistorie geschrieben wurde: 1945 arbeitete er drei Monate bei Schiaparelli. Genau in dieser recht kurzen Zeit nähte er die Kostüme für Jean Cocteaus „Die Schöne und das Biest“. 1946 sollte er zu Balenciaga gehen, was aber nicht klappte. Durch Zufall hatte er aber bei Paquin einen Mann kennengelernt, der sich gerade selbstständig machte und der ihn bat, in seinen Ateliers anzufangen: Christian Dior.
Als Christian Dior seine erste Kollektion zeichnete, landete ein Entwurf im Atelier auf dem Tisch, den Cardin mit realisieren sollte. Dieser Entwurf beeinflusst bis heute den Stil des Hauses. Das „Tailleur Bar“ war einer der Gründe, warum die amerikanische Presse nach der Premiere im Februar 1947 begeistert „The New Look“ ausrief. Christian Dior wurde dadurch der berühmteste Modeschöpfer seiner Zeit und legte den Grundstein dafür, dass das Haus Dior bis heute eines der erfolgreichsten ist. Als Cardin nun während der Präsentation in der Front Row saß, hat er sich bestimmt diebisch gefreut, das Raf Simons Dior genau mit dem visionären Esprit weiterentwickelt, mit dem Cardin damals mit Monsieur Dior zusammengearbeitet hat.
Auch wenn heute die Zeiten anders sind, schafft es Simons, das „Tailleur Bar“ und die „New Look“-Silhouette so zu interpretieren, dass sie ihre Wurzeln nicht verlieren. „Spielerisch, kindlich, oft süß“, sagt Raf Simons, war sein Eindruck, als er das erste Mal das Palais Bulles sah. Genau so empfindet er auch oft den Geist von Dior, dessen Marke und Handschrift er weiterzuentwickeln versucht. Mode ist für Simons eine Art „Architektur in Stofflichkeit“ und muss mit Proportionen spielen.
So gibt er der „Bar“-Silhouette andere Gesichter, indem er die Taille hochzieht und im Stile von Claire McCardells Playsuits neue Ärmel einsetzt. Taft Shorts oder Flip Flops kombiniert Simons mit transparenten Materialien, die von ihm gegen strukturierte gesetzt wurden.
Überall finden sich Verfremdungen und überraschende Zitate der Dior Heritage: Die „Roger Vivier“-Schuhe der Sechziger mit neuen Proportionen und Absätzen. Diors Vorliebe für Blüten und die „romantische Blumenfrau“ übertragen auf fließende Fransen-Stickereien oder abstrakte Farbverläufe. Netzüberwürfe, die die berühmten Dior Plissees verschleiern, Spiele mit „Kurz-Lang“- Effekten. Einfachheit gegen Details gesetzt. Die Liste ließe sich noch unendlich weiterführen … Raf Simons beherrscht die Codes von Dior perfekt und hat es aber gleichzeitig geschafft, seine eigene Handschrift so einfließen zu lassen, dass eine frappante Modernität entsteht. Er bringt immer auch „arty Architecture“ mit ein. Die klassische Dior-Frau kann ihre Codes lesen, während die neue Kundin von Dior das findet, was man als „praktische Romantik“ beschreiben könnte: Easy Wear de luxe, die immer weiblich erscheint und die die Silhouette Diors in Komfort übersetzt.
Lurex, Patchwork oder gewirktes Crochet verarbeitet Simons modern wie kein anderer. Der Designer zeigt, das Prêt-à-porter oder Haute Couture bei Dior so umgesetzt werden, dass die Zukunft des Metiers auch in unserer globalisierten Welt nicht nur eine Berechtigung haben, sondern auch ihre heutige Form finden und das Haus begehrlich macht.
Als Hommage an die Côte Azur gibt es in diese Kollektion Drucke, die Matisse in Pop Art umsetzen, und gleichzeitig Farben des Esterel-Gebirges und Stickereien, die an Horizonte erinnern, verbinden. Raf Simons hierzu: „Verglichen mit meiner Heimat Antwerpen ist Südfrankreich das Land, in dem man immer zum Himmel hochschauen möchte, um das unendliche Licht zu genießen, das Farben so anders erscheinen lässt. Durch eben dieses Licht wirkt alles so magisch verschwommen, ganz anders als das Licht meiner Heimat, in dem alles scharf und präzise wirkt.“
Schöner kann man es nicht ausdrücken und seine Kollektion strahlt genau diese Magie aus – Diorissimo à la Raf Simons!