(Bild: © ZDF, Dirk Bartling)
Wer in den letzten zwei Tagen auch nur den Bruchteil einer Sekunde bei Twitter verbracht hat, wird es mitbekommen haben: Caro Daur schipperte auf dem ZDF-„Traumschiff“ Richtung Namibia. Das ist insofern für uns erwähnenswert, als dass die Influencerin zu den erfolgreichsten in Deutschland gehört (zumindest dann, wenn man ‚erfolgreich‘ mit Follower gleichsetzt – davon hat Daur 3,4 Millionen). Als ich nun also am Neujahrsabend vorm Fernseher saß, wurde ich an eine Anekdote erinnert, die ich kurz erzählen muss.
Irgendwann in den 1990er-Jahren wollte ein Bekannter von mir unbedingt im „Akropolis“ in München ein Bier trinken. Das ist eigentlich nicht sonderlich bemerkenswert, wenn sich dieses Restaurant nicht ausgerechnet in der Lindenstraße befinden würde – also der von Hans W. Geißendörfer begründeten Fernsehserie, die einige Jahrzehnte sonntäglich über die Bildschirme flatterte. Zahlreiche Anfragen später hatten die für Statisten verantwortlichen Mitarbeiter der Produktionsfirma Erbarmen und mein Bekannter durfte im griechischen Lokal von Vasily Sarikakis sitzen und war dann sogar für den Bruchteil einer Sekunde auf den Bildschirmen zu sehen.
Vielleicht war es bei Caro Daur ganz ähnlich – vielleicht hat sie auch eine Bucket List, auf der eben nicht ein Bier im Akropolis steht, sondern eine Reise auf dem Traumschiff (das steht übrigens auch bei mir auf der Liste mit den Dingen, die ich vor meinem Tod erlebt haben möchte). Und vielleicht fragte sie sogar in der Produktionsfirma an, was sehr charmant wäre, aber eben unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Caro Daur angefragt wurde, an einer „Reise“ auf dem Traumschiff teilzunehmen – nach Namibia sollte es gehen, was sicherlich klangvoller ist, als pandemiebedingt in Hamburg zu sitzen. Vermutlich hätte der Großteil aller Angestellten in Deutschland diese Chance ergriffen, um dem Alltag zu entfliehen, klingt ja auch nach Spaß, mit dem Schlagersänger Forian Silbereisen und mit der ebenso an Bord befindlichen Casting-Teilnehmerin Sarah Lombardi über den Atlantik zu schippern, zumindest dann, wenn die Getränke inklusive sind.
Caro Daur als Paulina Winter auf dem Traumschiff
Die Seefahrt mag dann vielleicht sogar noch lustig gewesen sein, das Ergebnis – also die „Traumschiff“-Folge – leider nicht. Caro Daur spielt Paulina Winter, die eine bekannte Schauspielerin sein soll, die sich in Friedemann Blum (gespielt von Alexander Prince Osei) verliebt. Blum kannte Winter nicht (ähnlich erging es vermutlich den meisten „Traumschiff“-Fans, als sie Caro Daur beim Check-in sahen), war also irritiert, dass die bekannte Schauspielerin immer wieder nach Selfies angesprochen wird. Paulina findet die Situation sehr amüsant, klärt Friedemann aber auf und bittet ihn, sie in Namibia zum Filmset zu begleiten. Sei es drum, Geschichten dieser Art wurden 1.000-mal erzählt, am besten wohl mit Julia Roberts und Hugh Grant in Notting Hill.
Nun ist Daur im richtigen Leben keine bekannte Schauspielerin sondern eine bekannte Influencerin, insofern waren die schauspielerischen Leistungen naturgemäß überschaubar, aber irgendwie – am sonstigen „Traumschiff“-Maßstab gemessen – im soliden Mittelfeld, was die Häme, die sich bei Twitter über sie ergossen hat, noch unverständlicher macht. Selbstverständlich gibt es bessere Schauspielerinnern als Caro Daur und auch ein insgesamt wesentlich naheliegender Cast, als Florian Silbereisen, Barbara Wussow, Collien Ulmen-Fernandes und Sarah Lombardi, aber kann man das der Influencerin vorwerfen? Nein. Genauso wenig konnte man meinem Bekannten vorwerfen, ein Bier im Akropolis zu trinken.
Bei der Auswahl dürften die anfangs erwähnten 3,4 Millionen Caro-Daur-Follower eine wichtige Rolle gespielt haben. Vielleicht hatten die ZDF-Verantwortlichen erhofft, eine neue Zielgruppe zu erreichen, wenn man die Rolle der Paulina Winter mit einer Influencerin besetzt. Die Rechnung dürfte nicht ganz aufgegangen sein: Waren es in der „Traumschiff“-Neujahrsepisode 2021 noch knapp 7,3 Millionen Menschen, die die Beitrags-finanzierte Kreuzfahrt noch verfolgt haben, waren es in diesem Jahr nur noch 6,46 Millionen Menschen. Selbst dann, wenn also vereinzelt jemand wegen Caro Daur eingeschaltet hat, wird spätestens bei den anderen „Traumschiff“-Geschichten entgeistert weggezappt haben.
Das ZDF verfiel dem Irrglauben, dass Influencer Eierlegende Wollmilchsäue sind – bei 3,4 Millionen Followern muss man doch auch schauspielern können. Das ist genauso unlogisch, wie sie als Designer, Model oder Berater zu engagieren. Diese Rechnung geht vereinzelt auf, aber am Ende des Tages geht es um Kompetenz im Kernbereich. Bei Florian Silbereisen würde auch niemand auf die Idee kommen, ihn für eine Kampagne eines Luxuslabels zu buchen. Warum sollte es also andersrum funktionieren?
Wer „Das Traumschiff: Namibia“ sehen möchte: Die Folge ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.
Eva Parke
3. Januar 2022 at 12:47@HORST
Dem Ereignis bin ich entgangen, da ich im ganzen Leben erst eine halbe Folge Traumschiff sehen musste. Das war an einem 31.12. im Krankenhaus. Da hatte meine Zimmernachbarin das Traumschiff schon an, als ich dazukam.
Was Caro Daur anbelangt, stimme ich Dir zu. Ich brauche die absolut nicht, aber die „Schuldfrage“ dürfte wohl klar sein. Schlimm, dass beim Öffentlich Rechtlichen Fernsehen an Influencer-Märchen geglaubt wird. Der Spiegel hatte in einer seiner jüngsten Ausgaben unter dem Titel „Seichtchellen“ das Traumschiff aufs Korn genommen.
Über Granden wie Silbereisen, Wussow und Konsorten muss man nicht reden. Aber, dass ein Hochkulturfreak wie Harald Schmidt das Tramschiff schon so lange beehrt, finde ich wirklich seltsam.
Ich würde das Traumschiff nur dann ein weiteres Mal angucken, wenn Lars Eidinger mitspielt …
Timo
5. Januar 2022 at 20:44Kannte sie nicht, fiel auch nicht zwischen den anderen Schauspielern negativ auf.