Paris Fashion Week

Boulevard Chanel – Manifestation „Ladies first“ au Grand Palais

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Bild: Olivier Saillant

Ein ganzer Boulevard Haussmann, aufgebaut mit allen Details – wen wundert es bei Chanel? Karl Lagerfeld ist einer der letzten Entertainer der Modebranche, die es noch schaffen, uns träumen zu lassen und genau das aus der Mode herauskitzelt, wofür sie eigentlich steht, nämlich Humor und Extravaganz. Eine Firma, die wie in früheren Zeiten das Geld in seine Visitenkarten reinvestiert – und das sind die Chanel Schauen nun wirklich in exquisitester Form. Selbst die Geranie im Blumentopf der Concierge wurde nicht vergessen und es gibt sogar zwei Zebrastreifen. Das Grand Palais wurde einfach wie bei Jules Verne darüber gestülpt. Trompe-l’œil à la Chanel …
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Bilder: Chanel

Kurz vor Abschluss der Pariser Fashion Week setzt Karl jedes Mal den Paukenschlag und das Thema der Saison. Emanzipation und die Freiheit der Frau waren nicht nur einer der ureigensten Themen von Mademoiselle Chanel. Lagerfeld lässt diese Bewegung endgültig in Form von Blaustrümpfen und Alternativen hinter uns und präsentiert chice, alltägliche und hyper-hippe Mädchen, für die die Freiheit alltäglich ist, das zu tun und zu tragen, was sie wollen.
Lagerfeld ist in Höchstform und präsentiert in einer umfangreichen Schau, die die doppelte Anzahl der Durchgänge der meisten Modehäusern beinhaltete, die ganze Klaviatur des Hauses aus der Rue Cambon. „Nach dem Supermarkt geht die Mode wieder auf die Straße,“ erklärt Lagerfeld und es kommt ihm darauf an, im Gegensatz zur Haute Couture, wo Look der Haare und die Linie durchgehend sind, dass jedes Mädchen ihre Persönlichkeit behält.
Chanels Prêt-à-porter, obwohl von fast „couturieger“ Qualität, sieht Lagerfeld als Mode für alle Lebensumstände und Situationen. Bei Chanel geht es um Stilelemente und bestimmte Ikonen, die immer wieder neu gemixt und interpretiert werden, doch das Hauptelement bleibt immer die Jacke. In Form von weiten fast Achtziger Jahre Herrensakkos mit Pin-Stripe, die auch auf Menswear geknöpft sind. Alle Formen der Jacke, von der Saharienne bis zu kragenlosen Micro Chanel-Jacken-Variationen, die wie zufällig aus dem Kleiderschrank genommen wurden, sind dabei.
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Bilder: Chanel
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Bilder: Chanel

Die weiße Bluse, nicht als einfaches weißes Hemd, sondern als aufwendiges Colette, Pierrot oder Fin de Siècle Modell, kombiniert Chanel in der nächsten Saison zu weiten Herrenhosen oder Shorts in Wollstoffen, die an die City Bermuda der Neunziger erinnert. Lagerfeld verdiente sein Geld einst mit dem Erstellen von aufwendigen Blusenkollektionen und bei Chloé brachte er es zur Meisterschaft, daraus ein eigenständiges Kleidungsstück zu machen.
Weibliche Elemente werden bei Lagerfeld immer wieder zu feminisierten männlichen Elementen kombiniert und er zeigt dadurch, dass für ihn Mode und Feminismus direkt nebeneinander liegen – aber nicht wie früher demonstriert durch Härte und Verbissenheit. Heute geht es humorvoll darum, für die Eigenständigkeit des Geschmackes und der Persönlichkeit zu kämpfen: „Be your own Stilist!“ oder auch „Boys should be pregnant too!“. Der Boulevard Chanel ist halt ein Traum und deshalb hat er auch seine eigenen Gesetze, die uns aber, wie immer bei Karl Lagerfeld, mit seiner genialen Fantasie zumindest mit jedem Stück ein bisschen aus dem Alltag wegtauchen lassen.
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Bilder: Chanel
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Bilder: Chanel

Die typischen Chanel Farben, wie das Pink, das Safran oder die Pastellfarben, erleben in der nächsten Frühjahr-Sommer Kollektion zu Beginn des Defilees einen fast „pucciesquen“ Rausch und kommen sogar auf Flächenstiefeln daher.
Selfservice Look, wie eine stürmische Begrüßung des Sommers. Die weiten geraden Anzüge mit den Herrensakkos zeigen hingegen, dass Geradlinigkeit nicht streng sein muss.
Supertragbare Strickensembles und viele tolle Basicteile, die an Frauen wie Gisele Bündchen oder Toni Garrn gar nicht Basic wirken. Die Kollektion hat dieses Mal eine Menge guter Joker, die auch bei den Chanel-Kundinnen viele Jahre im Schrank bleiben und zu guten Alltagsbegleitern werden.
Das Tweedkostüm mit kurzem Rock und kleiner Chanel Jacke, dazu Accessoires, die sicherlich wieder Kultobjekte werden: Transistorradio Tasche, kleine Minaudiere, die „Ladies First“ verkünden. Es sind diese wahnsinnigen Gadgets und diese Detailversessenheit, bis zu den Chanel gesteppten Megafonen der Demonstrantinnen, die Karl Lagerfeld zum Altmeister machen, der das Handwerk wie kein anderer beherrscht. Schon seine Schmuckstücke in Form von Schraubenschlüsseln oder Garnrollen bei Chloé Anfang der Achtziger Jahre sind bis heute Kultobjekte geblieben und allein mit den Chanel-Spielereien der letzten Jahre könnte man ganze Ausstellungen bestreiten. Karl „chanelisiert“ fast jeden Alltagsgegenstand.
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Bilder: Chanel
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Bilder: Chanel

Eines der Lieblingsstücke der Franzosen, der „Besace“, ursprünglich eine Jagdtasche, wird mit bunten Chanel Badges, Crochet-Riemen und -Kante sicherlich zum Wartelisten-Schlager und die „Boulevard Chanel Armreifen“ mit Pariser Straßenschildern die neuen humorvollen Urenkel der Malteserkreuz-Ikonen von Mademoiselle Coco.
Die goldenen Herrenschuhe mit Fesselriemen bezeichnet Karl Lagerfeld selbst „als ob die Sonne aus dem Straßenpflaster scheint“, wohingegen die Two-Toned Slipper ein wenig an Dandy Schuhe erinnern.
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Bild: Chanel

Das Prinzip, ein Thema und eine Philosophie, vom Dekor ausgehend und dann die Welt darum ausgestalten und die typischen Elemente mit dem Zeitgeist von heute zu versehen, ist eines von Lagerfelds Erfolgsrezepten. Eben das vermisst man in vielen Kollektionen und fragt sich, warum so manche Marke, die die Heritage dazu hätte, sich nicht einfach ein Beispiel daran nimmt.

Der Chanel Boulevard könnte überall in Paris sein, am Boulevard Raspail oder in der Rue de Rennes. Und die Frauen würden dort genauso stolz und voller Weiblichkeit, jeden Morgen wie zufällig aber doch mit Kalkül gestylt, zur Arbeit oder Uni gehen, zwar nicht ganz in Chanel, aber was nicht ist, kann ja noch werden … Alltag und Traum liegen nicht so weit voneinander entfernt und manchmal reicht ja auch eine Tasche, ein Parfum oder eine Brosche, um sich chic zu fühlen.
Eines ist gewiss: In der „Boulevard Chanel“ Kollektion würden im nächsten Frühjahr nur zu gerne viele Frauen demonstrieren gehen – egal wofür, denn glücklicherweise ist Emanzipation in unseren Breitengraden ja schon viel selbstverständlicher geworden. Manifestation à la Chanel – eine Sternstunde der Pariser Fashion Week mit Karl Lagerfeld als Anführer.

  • Manfred
    2. Oktober 2014 at 11:20

    Schöner Artikel, ein guter Startschuss für das lange Wochenende.

  • Siegmar
    2. Oktober 2014 at 11:59

    toll geschriebener Artikel über die Show von Chanel, einige Teile sind ganz wunderbar wie der Mantel mit dem tollen Innenfutter, die Hosenanzüge auf den 2 ersten Bilder sehen zumindest auf dem Foto od. liegt es an den Models, leider unpassend und hässlich aus. Baptiste gefällt mir auch überhaupt nicht in seiner Robin Hood-Verkleidung, die Männerteile sollte KL weglassen. Mir ein bißchen viel 90ziger trozdem viele sehr schöne Teile dabei und diesmal finde ich auch die Schuhe sehr gut. 🙂

  • Gérard
    2. Oktober 2014 at 13:09

    Der Artikel ist ganz à la Peter komponiert. Wunderbar. Ein Chanel-Versteher werde ich jedoch in diesem Leben definitiv nicht mehr. Und was ich in Bezug auf die Demo etwas fragwürdig finde, ist der Slogan „Ladies first“ – was soll das mit Feminismus oder Emanzipation zu tun haben? „FREE AND EQUAL“ wäre treffender und überzeugender gewesen. Oder verstehe ich das Augenzwinkern von Karlchen einfach nicht 😉 ? Nun gut. Zumindest Peter at his best.

  • thomash
    2. Oktober 2014 at 14:19

    ich glaube, außer karl lagerfeld hat nur peter kempe ein so tiefes verständnis für den charakter, die geschichte, den stil und die mode von chanel. super interessant und informativ und – das kann man lesen – mit großer freude geschrieben. der bericht ist dem ereignis mal wieder angemessen!
    und was mich betrifft, sehe ich erst damit richtig, was ich da auf dem laufsteg sehe. nächstes jahr im grand palais : -)

  • Kempe Elke
    2. Oktober 2014 at 15:49

    Tolle Show und Du hast es uns wieder so wunderbar erklärt.Fein!!

  • Monsieur_Didier
    3. Oktober 2014 at 12:25

    …Peter, ich mag Deine Artikel immer sehr, sie sind immer leidenschaftlich und einnehmend, man spürt Deine Begeisterung und Liebe zu Chanel…

    …was ich auch mag sind die Inzenierungen der Schauen, die ja eigentlich eher immer Happenings sind…
    mir gefällt, dass oft Themen total vorausschauend und auf der Höhe der Zeit aufgegriffen werden die zwei Bräute etc.)
    aber irgendwie finde ich es eher nicht überzeugend, wenn Mädels und junge Frauen mit sehr hübschen, sehr stilisierten Plakaten über einen Laufsteg gehen und die „Parolen“ in Richtung gehen: Frauen zuerst, für mich ist und war es immer das Ziel zu sagen WIR…
    aber egal, vielleicht sehr ich es zu kleinlich und habe das auch nicht wirklich richtig verstanden…
    das Ergebnis ist auf jeden Fall wieder eine besondere, aufsehenerregende Schau und Präsentation…
    und das haben Monsieur Karl und sein Team auf jeden Fall drauf…
    ich freu mich auf die Filme über diese Schau…

    …einen schönen 3. Oktober allen Leserinnen und Lesern…! 🙂

  • Horst
    4. Oktober 2014 at 12:31

    Ich freue mich auf jede Menge neuer Pins und mochte die Inszenierung …
    Wünsche auch allseits ein schönes WE bzw. schönen 03.Oktober gehabt zu haben 😉

  • Markus
    5. Oktober 2014 at 06:13

    ein leidenschaftlicher bericht über eine großartige Inszenierung, so viele tolle Ideen, Karl der Meister in Höchstform

  • thomas
    5. Oktober 2014 at 12:08

    lass uns bitte wieder „neues vom kleidermarkt“ beleben – und peter wird der kommentator!

  • Siegmar
    6. Oktober 2014 at 10:40

    ich plädiere auch sehr dafür das Peter “ Neues vom Kleidermarkt “ als Sendung bekommt, bitte auf Arte od. 3Sat ich ertrage nicht diese dümmliche Werbung 😉