(AMI Alexandre Mattiussi, Frühling/Sommer 2010; Bild: PR)
Das Grand Palais pur – lediglich zwei große konzentrische Kreise aus einfachen Holzstühlen unter der großen Kuppel sind für die Besucher aufgebaut – das Dekor von Alexandre Mattiussi für seine Schau am 18. Juni 2019. Etwas meditatives und trotzdem konzentriertes wünschte sich der Designer, um seine neue Linie für Männer und Frauen für das nächste Frühjahr zu präsentieren.
Der Designer, der zwar schon seit längerem auch die Frauenmode für sein kreatives Schaffen entdeckt hat, zeigte diesmal aber eher nicht an seine Herrengarderobe angelehnte Modelle, sondern eine eigenständige Linie, die nach dem Motto „Garderobe rund um die Uhr“ wie ein gut durchdachtes Baukastensystem wirkt. Überhaupt scheint Mattiussi, den wir ja bei Horstson schon seit seiner ersten Kollektion begleiten, das Image des guten Jungen von nebenan, der seine Freunde und Pariser Jungs mit tragbaren, aber raffinierten Kleidungsstücken anziehen möchte, verlassen zu wollen. Etwas, was ja auch bis zum Exzess von einem seiner Kollegen durchgezogen wird und der mit breit erhältlichen Kollektionen die Gefahr der Vergleichbarkeit beinhaltet.
Schon in der letzten Kollektion begründet, scheint Mattiussi zu reifen und als ernsthafter Designer mit eigener Handschrift wahrgenommen werden zu wollen. Dabei setzt er auf Bewährtes, bringt aber völlig neue Akzente ein. Das Farbkonzept ist schnell beschrieben – neben Schwarz, Weiß und Trench setzt er auf Rot als Akzent. Pur und schnell erfassbar erinnert es mich an das Rezept, das Hedi Slimane für Yves Saint Laurent Homme 2000 erstmals etablierte und damals durchschlagend neu war. Aber Mattiussi hat seinen völlig eigenen Stil, der tragbar bleibt, aber trotzdem raffinierter wird und vor allem deutlich „angezogener“ wirkt und weniger Sportswear-Attitüde hat. Die Dekonstruktion von Kleidungsstücken ist sein Thema, das ganze in einer lässigen, aber exakt geschnittenen Silhouette. Die Materialien eher luxuriöser werdend. Leder-Trenchcoats, weite Chasuble-Mäntel, Safarijacken und gerade weite Slacks. Elegant aber casual. Bei den Frauen spielt er mit irisierenden Fransen und der Kombination von fast abendlichen Materialien mit schlichten leichten Wollgabardines. Ebenso scharf aber bequem geschnittene Hosenanzüge, irgendwie erwachsen, aber nicht arriviert.
Die Kollektion wirkt gut durchdacht und unaufgeregt neu. Ich finde, dass Alexandre Mattiussi damit beweist, dass er seinen eigenen Stil so weiterentwickelt, dabei der sympathische völlig normale Junge bleibt, aber mit der Reife und einer wirklichen Strategie seine eigene Handschrift beeindruckend weiter entwickelt, denn Sweatshirts, so gern wir sie alle tragen, sind nicht wirklich das, was einen guten Designer ausmacht. AMI wandelt sich und wächst in eine Richtung, die nicht wie so viele Kollektionen schockieren oder Aufsehen erregen wollen, sondern die sich kontinuierlich entwickelt und purer wird, kombinierbar und eine Kollektion die man gern trägt.
Keine Mode nur für Instagram oder den schnell verglühenden Trend. Mattiussi schließt an die Tradition seiner lange tragbaren Pieces an, die er seit Beginn seiner Marke etabliert hat. Welch wohltuende Oase in einer derzeitigen Modewelt, von Wanderzirkus-Ästhetik und Sportswear-Überfluss mit Rapperattitüde. Mattiussi geht seinen Weg jenseits von “Ugly Chic & Co“ – wir werden ihn gern weiter begleiten.