(Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: © Mona Kunh)
Die Entdeckung der Höhle von Lascaux im Jahr 1940 durch vier junge Männer – Marcel Ravidat, Jacques Marsal, Georges Agnel und Simon Cognacs – hatte einen großen Einfluss auf die Künstler der Zeit. Der Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille beschäftigte sich ausgiebig mit den Malereien der Höhle. Sein Resümee ist beeindruckend: Die Höhle im Vézère-Tal stellt für ihn den Beginn der menschlichen Spezies dar. Mehr noch – er scheut keinen Vergleich mit einem Meilenstein der Menschheit: Sie ist für ihn die „Sixtinische Kapelle der Höhlenmalerei“. Die Intensität, mit der in der Höhle Tiere dargestellt wurden, bringt uns für ihn zurück in die Kindheit der Menschheit; ihrer Beziehung zur Natur sowie die Erfindung der Technik.
Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: Courtesy of Dior
Natürlich inspirierte diese Weltsensation den gerade aufgegangenen Stern am Pariser Modehimmel: Christian Dior. Der Designer ließ sich durch die Farben und die Proportionen der Höhlenmalereien zu Drucken auf Seide, die er gemeinsam mit dem Seidenhaus Abraham entwickelte, beeinflussen. Christian Dior zeigte der Öffentlichkeit diese primitiv dargestellte Weiblichkeit 1951 in seiner „Ligne Oval“-Kollektion. Maria Grazia Chiuri, die in den bisher von ihr verantworteten Prêt-à-porter und Haute Couture immer einen Seitenverweis auf den Gründer und Namensgeber gab, lehnt sich in der Cruise-Kollektion an Diors Entwürfe an und ergänzt sie durch Zitate an die Venus von Willendorf, einer Statue aus der Altsteinzeit. Die Designerin stellt in der Kollektion meisterhaft unter Beweis, dass sie die Verknüpfung mit der Weiblichkeit, dem Spiel mit Transparenz und Schatten, der Raffinesse, Welten zu verbinden, und der Adaption in die Moderne beherrscht.
Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: Courtesy of Dior
In den Santa Monica Mountains in Neu-Mexico, unweit von Los Angeles, wird unter dem Titel „Dior Sauvage“ eine Kollektion gezeigt, die neben Midikleider mit Oversized-Pullis, Hemdjacken, auch Lingerieblusen mit Ballerinaröcken beinhaltet. Haute-Couture-Elemente und Alltagskleidung schließen sich bei Maria Grazia Chiuri nicht aus – passend zu dem Wüstensetting wurden Assoziationen an die US-amerikanischen Malerin Georgia O’Keeffe wach, die natürlich wunderbare Ikone von Chiuris geliebtem Feministinnen-Thema ist.
Auf der simplen Ebene lässt sie Diors Cruise Collection mit einer „luxuriösen Kombination von französischer Hochkultur, Gaucho-Chic und ein bisschen „Cowboy-Camp“ mit Wow-Effekt“ beschreiben. Eine bemerkenswert eigenwillige, aber für Dior sehr typische Kollektion, jedenfalls wie es die mittlerweile bestens eingespielte Chefdesignerin interpretiert. Etwas, was tragbar ist, international und auch einmal die Transformation vom Businessoutfit zur Abendveranstaltung spielend besteht. Maria Grazia Chiuri denkt eben beim Design auch hin und wieder mal daran, wie, wann und wo man ihre Kreationen trägt.
Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: Courtesy of Dior
Maria Grazia Chiuris Seidenjacquard-Kleider und -Jacken zeigten ihre verträumte und doch pompöse Interpretation der Malereien in der Höhle von Lascaux. In den an den erdigen Ocker- und Rosttönen der Ur-Kunst inspirierten Farbpalette wiesen die Prints eine erstaunliche Ähnlichkeit zu dem historischen Phänomen auf. Die Fur-Coats bildeten den ultimativen Mix aus Vergangenheit und Gegenwart – allerdings mit aufwendig von den Savoir-Faire-Ateliers umgesetzten Stickereien und Applikationen und in kostbaren Materialien übersetzt.
Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: Courtesy of Dior
Die Kleider zeigten die Lieblingssilhouette der Designerin: mehrlagige Guipure-Mieder, eckige Ausschnitte, A- und trapezförmig geschnittene Blusen, Spiel mit engen und Oversized-Proportionen. Kleider liebte Maria Grazia Chiuri schon, als sie noch bei Valentino arbeitete – es ist Steckenpferd, das sie bei Dior voll ausspielen darf. Auch ihre lässigen, kastigen kurzen Pullover durften natürlich nicht fehlen – einige mit Handabdruckmotiven aus Pailletten, andere mit eher primitiven Stickereien von Frauen und Tieren. Dazu, als Hommage an den Standort der diesjährigen Cruise Location, trugen alle Models einen Cowboy Hut, der entweder unter dem Kinn geknotet war oder mit türkisen Steinen, wie traditioneller Indianerschmuck, verziert war. Maria Grazia Chiuri schafft es nach kurzer Zeit auf ihrem Posten viele eigene Codes einzubringen und trotzdem – mit großem Respekt und selbstbewusster Hand – très Dior zu bleiben. Die modernen Linien werden fortgesetzt und verwandeln sich passend zum Thema und setzen reizvolle, pure Kontraste.
Dior Cruise 2017/18 Collection; Bild: Courtesy of Dior
Die Cruise-Reise nach Kalifornien hat sich nicht nur für die Journalisten gelohnt. Wenn die Kollektion in die Boutiquen kommt, wird sie sicherlich genau so viele Fans finden, wie die jetzige.
Dior von einer Frau für Frauen gemacht – Bravo, Maria Grazia Chiuri! Das Haus Dior und die Kundinnen dürfen sich bereits jetzt freuen. Eine spannende, inspirierende aber trotzdem verständliche Kollektion, die Hochkultur auf subtile Weise handwerklich perfekt interpretiert.
MJMAYER
22. Mai 2017 at 14:03Lieber Peter,
Du hast es GENAU erfasst: In chaotischen Zeiten ist das Entfernteste mitunter das Nächste. MERCI für den Hinweis auf die Höhlenmalerei-Entdeckung 1940. You‘re the tops! XXX Margit J.
PeterKempe
22. Mai 2017 at 14:45Danke für das tolle Kompliment! Sie ist eben eine schlaue Frau und kann wunderbar Tradition und das richtige Gespür für die Zeit verbinden. Das, was andere zu paradoxen Auswüchsen treibt, die in einer Krisen geschüttelten Branche, lächerlich oder panisch und aktivistisch wirken, setzt sie sie lieber in Tiefe um!
chi
23. Mai 2017 at 15:19Danke für den Einblick. Sie hatte mich ja schon mit dem Blue is the new black oder We are all feminists. Ich finde ihre Arbeit toll und ich finde es umso toller das nun eine Frau auf dem Dior Pferd sitzt und Cowboy spielen darf. 😀 Merci
Sara
24. Mai 2017 at 08:55Ich bin schon bei Filmen der absolute Wild-West Fan und die Mode dazu finde ich super! Gibt’s auch eine schicke Schmuckkollektion dazu? Ich liebe Schmuck mit Federn, Traumfänger, Pfeilen… Einige Teile habe ich natürlich schon gesammelt, großteils bei http://www.ella-juwelen.de – aber mein Schmuckkästchen freut sich sehr wenn es erweitert werden kann 🙂
lg Sara
PeterKempe
24. Mai 2017 at 10:30Danke Chi ! Ja sie macht es großartig und die Blue Collection zeigt schon wie toll sie ihre eigenen Facetten und Dior zusammen bringt !