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Nachgefragt bei … Joachim Baldauf

(Bild: Bruno Alexander)

Endlich getroffen – Seit nunmehr sechs Jahren begegne ich immer wieder einem ganz bestimmten Namen im deutschen Modebereich, ohne diejenige Person jemals persönlich kennengelernt zu haben: Joachim Baldauf. Als Praktikant und Stylingassistenz bei diversen Produktionen von Armin Morbach, beim Sichten der Mode-On- und Offlinepublikationen oder aber beim Besuch von Ausstellungen und Galerien – der Name Baldauf ist Programm. Wenn es darum geht den Modefotografen zu beschreiben, höre ich immer wieder Zuschreibungen wie „toller Typ“, „sehr sympathisch“ oder „einfach einzigartig“. Im Rahmen einer Kooperation mit LUMAS hatte ich nun endlich die Möglichkeit ein persönliches Tête-à-Tête in Berlin wahrzunehmen, die Anfrage war subito bestätigt.

Pünktlich zum Gallery Weekend strömte das kulturhungrige Publikum in Richtung Hackesche Höfe, wo die Arbeiten des Fotografen in der LUMAS-Galerie ausgestellt sind. Ich schlich der aufgeregten Meute hinterher und versuchte mir auszumalen, ob die vielen Galerien und Ateliers auch sonst so häufig frequentiert werden. Mir blieb nicht lange Zeit zum Überlegen, denn plötzlich treffe ich auf den hochgewachsenen Wahlberliner und plappere neugierig drauf los. Erster Eindruck? Sehr nett und zuvorkommend! Nach einer kurzen Vorstellungsrunde kommen wir auf seine Arbeit zu sprechen…

Lass uns anfangen: Wie ist es zu Deiner Zusammenarbeit mit LUMAS gekommen?
Normalerweise ist es so, dass ich Skizzen mache bevor meine Fotoarbeiten entstehen. Bei diesem Projekt war die Herangehensweise eine andere: Hier hat mich interessiert, was wohl passieren mag, wenn jemand an meine fertigen Arbeiten anknüpft? Wenn diese Person meine Fotos als Skizzen für seine Arbeit nutzt?
Diese Überlegungen waren der eigentliche Startschuss für das Projekt. So habe ich dann über die Agentur „2agenten“ verschiedene Illustratorinnen und Illustratoren angefragt, ob sie Interesse an dieser, zugegebenermaßen etwas ungewöhnlichen Idee der Umsetzung hätten. Genau genommen handelt es sich um etwas Hybrides, es ist weder reine Kunst, noch Fotografie. Vielmehr eine Kombination aus Illustration und Fotografie. Ich dachte mir, dass diese Form der Zusammenarbeit sehr gut passen würde und irgendwann kam dann der Name LUMAS ins Spiel.

Warum gerade LUMAS?
Mir war und ist sehr wichtig, dass man die Arbeiten wirklich sehen kann. Dass viele Leute davon etwas mitbekommen. Hier in Berlin gibt es viele kleinere Galerien, mit denen ich das Projekt auch hätte realisieren können. Für mich war jedoch folgende Frage von Relevanz: Was passiert, wenn man diese Kombination aus Illustration und Fotografie bewusst breiter streut?
Black Roses, Lesja Chernish (c) Joachim Baldauf, www.lumas.com
Black Roses, Lesja Chernish (c) Joachim Baldauf, www.lumas.com

Du beschreibst die Arbeiten gewissermaßen als Kreuzung verschiedener Bereiche, da bleibt die berühmt-berüchtigte Kunstfrage nicht aus: Wie definierst Du den Begriff für Dich?
Beuys hat ja mal gesagt „Kunst ist Kapital“ und klar, so kann man das sehen. Ich glaube jedoch vielmehr an eine Form der Sehnsucht. Der Mensch sehnt sich danach, sein Leben zu definieren, sei es mithilfe von Wissenschaft, Religion oder eben Kunst. Vielleicht ist mein Ansatz etwas spirituell, aber genau so verstehe ich den Begriff für mich.

Du hast den Zitate-Startschuss gegeben, ich knüpfe an dieser Stelle mit einem Gedanken von Max Frisch an: „Kunst hat mit Geschmack nichts zu tun. Kunst ist nicht da, dass man sie schmeckt.“ Würdest Du ihm zustimmen?
Kunst ist eine sehr personenbezogene Geschichte. Jeder Künstler arbeitet aus sich heraus mit dem Blick auf die Gesellschaft. Das ist eine sehr persönliche Geschichte, jeder hat dabei seinen ganz eigenen Geschmack: Was ich als ästhetisch oder interessant erachte, kann und darf mein Gegenüber absolut grauenhaft finden. Dinge, die mir persönlich wichtig sind, werden vielleicht von Menschen auf der anderen Seite der Welt als völliger nonsense abgetan. Das ist doch gerade dieses Egozentrische, was Kunst mit sich bringt, nicht?
Man kann und muss mit seiner Arbeit nicht jedem gefallen, das liegt in der Natur der Dinge. Ich selber habe beschlossen, nicht mehr in Schubladen à la „Was ist Kunst, Illustration oder Fotografie?“ zu denken. Dahingehend bin ich mittlerweile sehr egozentrisch und mache nur noch das, was mir gefällt! (lacht)

Kannst Du Dich noch an den Moment erinnern, an dem Du das erste Mal mit Modefotografie in Kontakt gekommen bist?
Da muss ich nicht lange überlegen, das weiß ich sogar noch ziemlich genau. Ich hatte meinen zündenden Moment oder vielmehr mein coming out der Modefotografie als ich 1984 meine erste Vogue in den Händen hielt. Auf dem Cover posierte Brooke Shields und damals war ich, so kann man es sagen, ein wenig verliebt in das Mädchen. Ich bin zu dem Zeitpunkt noch sehr jung gewesen, Shields übrigens auch, und für einen Burschen war es eher untypisch die Vogue zu kaufen. Ich blätterte also durch die Ausgabe und entdeckte eine Fotostrecke von Steven Meisel. Zu dem Zeitpunkt war er noch nicht so bekannt wie heute und ich war mehr als fasziniert von seiner Bildsprache bzw. Umsetzung: Die Models hatten kein typisches Make-Up, sondern verschmierte Augen oder Lippen. Ein Auge blau geschminkt, das andere kontrastreich in gelb. Damals war ich auf dem New-Wave-Trip und die Strecke von Meisel war meine erste richtige Begegnung mit dem Thema. In dem Moment verspürte ich das Gefühl, dass mir Modefotografie Spaß bereiten könnte.

Erst einmal hast Du dann jedoch einen anderen Weg eingeschlagen, die – Achtung, schlechter Wortwitz – Artdirektion. Kannst Du da einen kurzen Ablauf skizzieren, wie es dazu gekommen ist?
Ursprünglich ging es sogar noch mal anders los, ich bin gelernter Weber. Ich wollte immer etwas mit Mode zu tun haben und damals habe ich mir gedacht, dass Modedesign eine gute Basis sein könnte. Zu der Zeit habe ich in einer Weberei gearbeitet und habe anschließend Textildesign studiert. In dem Bereich habe ich dann erst mal auch gearbeitet, wurde Trainee und bin dabei schrittweise in den Werbebereich gerutscht.
Fuse #3, Mathis Rekowski (C) Joach im Baldauf, www.lumas.com[2]
Fuse #3, Mathis Rekowski (C) Joachim Baldauf, www.lumas.com

Wie ist es dann weitergegangen?
Irgendwann wurde ich dann Artdirektor, nachdem ich mich hochgearbeitet habe – das kann man in Werbeagenturen bekanntlich gut. Ich erinnere mich daran, dass die damalige Leitung aufgrund eines Burnouts ausgefallen ist. Hieß das damals überhaupt schon so? Ich bin mir nicht sicher! Egal, auf jeden Fall war das eine einmalige Chance für mich und ich konnte bei einer wichtigen Präsentation beim Kunden mein Können zeigen.

Habt ihr überzeugen können?
Wir haben glücklicherweise den Job bekommen und ich wurde anschließend zum Artdirektor ernannt. Das habe ich dann auch ein paar Jahre gemacht, irgendwann habe ich dabei Armin Morbach kennengelernt. Er war zu der Zeit mitten in seiner Friseurausbildung und ich arbeitete in einer Werbeagentur. Gemeinsam haben wir Partyflyer entworfen, das war der Anfang unserer Zusammenarbeit. (lacht) Mit der Zeit haben wir immer mehr Projekte umsetzen können: Aus den Flyern wurden Editorials für verschiedenste Magazine und Kampagnen.
Irgendwann kam dann der Punkt, an dem mir auffiel: Du arbeitest ja immer häufiger als Fotograf und zunehmend seltener als Grafiker?!

Gab es diesen einen Cut oder entwickelte sich das Ganze schrittweise?
Das war eigentlich ein fließender Übergang, wobei: Als ich nach Hamburg gezogen bin, gab es sogar einen Schnitt. 1998 bin ich dorthin gezogen und meine damaligen Kontakte in München waren plötzlich alle weg, weit weg. Ich habe mich fortan verstärkt auf die Fotografie konzentriert.

Nicht schlecht: Du hast mit Partyflyern angefangen, heute fotografierst Du Persönlichkeiten wie Claudia Schiffer...
Also das System der Fotografie ist dabei immer dasselbe geblieben! (lacht)

Vermutlich arbeitest Du heute jedoch mit einem weitaus größerem Team zusammen?
Klar, in den ersten Jahren wurde der Stab am Set immer größer. Im Laufe der letzten Jahre habe ich aber für mich entschlossen, dass ich bei meiner Arbeit lieber flexibel bleiben will. Das kann teammäßig sogar mal nur eine einzige Person sein, ein Fotoassistent, mit dem ich zusammenarbeite. Den Rest kann ich immer noch frei dazu buchen. Im Umkehrschluss bedeutet das weniger Ballast für mich. Ich kann viel flexibler arbeiten, gerade dadurch, dass ich mittlerweile kein eigenes Studio, sondern nur noch ein Atelier habe.

Klingt plausibel!
Ich merke, dass ich am kreativsten sein kann, wenn ich ganz alleine bin: Sei es auf der Autobahn oder beim Schwimmen am See, da kommen mir die besten Ideen. Ich brauche ziemlich viel Zeit für mich und kann nicht wie eine Maschine funktionieren – in der Hinsicht bin ich ganz klar Künstlernatur.
Ein Leben hinter dem Spiegel #2, Mario Wa gner © Joachim Baldauf, www.lumas.com.
Ein Leben hinter dem Spiegel #2, Mario Wagner © Joachim Baldauf, www.lumas.com.

Thema Selbsteinschätzung: Was sollte ein Model mitbringen wenn es vor Deiner Kamera steht?
Das ist jetzt natürlich eine sehr, sehr subjektive Herangehensweise. Früher habe ich mich mitunter an Rankings wie den Top 50 auf models.com orientiert und war immer beeindruckt, die angesagten Models zu fotografieren. Mittlerweile ist mir jedoch viel wichtiger, dass ich mit Menschen zusammenarbeite, die ich auf persönlicher Ebene gut leiden kann. Man verbringt schließlich den ganzen Tag mit den Models und dann bringt es niemanden etwas, wenn man ein Mädchen vor der Kamera hat, das zwar unglaublich attraktiv ist, aber nicht versteht, was du als Fotograf umsetzen willst. Das wiederum ist eine schwierige Situation, vielmehr der Knackpunkt meiner Arbeit, denn innerhalb kürzester Zeit muss man sich am Set auch kennen- und verstehen lernen. Wenn man sein Gegenüber schon kennt, lässt sich oftmals besser miteinander kommunizieren.
Peter Lindbergh macht das ähnlich, als Fotograf arbeitet er überwiegend mit ihm bekannten Gesichtern und ist dabei unheimlich produktiv. Klar, es ist auch spannend neue Gesichter zu entdecken, aber im Großen und Ganzen arbeite ich gerne mit denselben Models.

Mit wem zum Beispiel?
Da fällt mir Veza sofort ein, ein Model mit dem ich seit über 18 Jahren eng zusammenarbeite. Wir haben uns das erste Mal getroffen, als sie gerade einmal 14 Jahre alt war. Damals war das Liebe auf den ersten Blick und seit dem Tag haben haben wir uns nie wieder aus den Augen verloren. Bei uns hat sich über die vielen Jahre eine Freundschaft entwickelt, wir fahren zusammen in den Urlaub und arbeiten noch immer an gemeinsamen Projekten. Sie inspiriert mich unglaublich, und obwohl sie nicht mehr so viel modelt wie damals, stehen wir trotzdem noch regelmäßig im Fotostudio.
Diese besondere Zusammenarbeit und Freundschaft hat mich auch zu einem Buchprojekt bewogen: „Veza“, so wird der Titel heißen. Den Launch haben wir für den 26. Mai 2016 geplant, ich bin gespannt wie die Bilder und Texte bei den Gästen ankommen werden. Das Ganze ist zweisprachig in Deutsch und Englisch, sehr schön aufgemacht in einer Box und dokumentiert unseren gemeinsamen Weg – nennen wir es Hommage!

Was für ein spannendes Projekt, ich entdecke entfernte Parallelen zu dem Filmformat „Oh Boy“…
Stimmt, da magst du richtig liegen. Wir haben vor 18 Jahren damit angefangen, das muss man sich mal vorstellen. Veza war damals 14 Jahre alt und ich war zu dem Zeitpunkt auch noch etwas jünger als heute. (lacht)
Joachim Baldauf Julian Gadatsch Lumas Interview

Durchweg begeistert von den Gedanken des sympathischen Fotografen, fällt es mir schwer, einen richtigen Punkt zur Unterbrechung zu finden. Das Interviewmaterial ist wieder einmal zu umfangreich für einen einzelnen Beitrag und so komme ich um einen kurzen Break nicht herum. Auf diese Weise kann ich wirklich allen gestellten Fragen samt Antwort gerecht werden. Ich hoffe die Umsetzung gefällt Euch und apropos: Wie immer freue ich mich über Feedback.

Teil II des umfangreichen Gesprächs folgt in Kürze!

  • Siegmar
    10. Mai 2016 at 11:02

    Mir gefallen die Arbeiten und die Umsetzung und mir gefällt auch das Inteview

  • René
    10. Mai 2016 at 16:51

    Tolles Interview!

  • PeterKempe
    10. Mai 2016 at 17:05

    Tolles Interview! Joachim Baldauf ist ein super Fotograf ,der auch noch sehr gut rüber kommt!

  • Nachgefragt bei … Joachim Baldauf / Teil II des Interviews | Horstson
    13. Mai 2016 at 14:48

    […] Festgefahrene Konventionen? Fehlanzeige! Den ersten Teil von unserem Tête-à-Tête gibt’s hier zum […]

  • Die Woche auf Horstson – 19 / 2016 | Horstson
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