Salut, au revoir, salut – Meine Zeit in Frankreich neigt sich dem Ende zu und ich bekomme langsam aber sicher Torschusspanik in Sachen „Ausflugszielerweiterung“. Nachdem ich die letzten Wochen(enden) abwechselnd an der Küste oder in den Bergen zugegen war, möchte ich euch heute ein letztes Mal mit Tipps für das Landesinnere versorgen. Zudem komme ich wegen meiner neuen Selekteur-Errungenschaft (hier und hier gibt’s bereits Artikel über das Store-Konzept aus Düsseldorf) auf das Bomberjackenklischee zu sprechen, dass mich selbst bis in den südlichsten Zipfel des Nachbarlandes verfolgt.
Heutige Destination? Das Département Lot in der Region Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées! Natur pur und alles andere als überlaufen. Benannt wurde das schöne, im Frühjahr unangetastete Fleckchen Erde nach dem gleichnamigen Fluss Lot. Hier findet man jede Menge Landwirtschaft, Weinanbau, Wiesen, Wasser, Wald und echte Trüffelschweine. Letztere haben mich subito in den Bann gezogen – ich will ein solches Schwein haben, sofort! Städtebaulich hat die Region ebenfalls eine Menge zu bieten: Wer irgendwann mal vor Ort sein sollte, muss unbedingt in Belaye, Luzech oder Cahors Halt machen.
Nahe dem Ausblick von Belaye war ich auf der ersten fête du canard meines Lebens, es wurden, wie sollte es anders sein, Massen an regionalen Entenspezialitäten gegessen. Eigentlich hatte ich mir ja insgeheim erhofft, dass ich auch die ein oder andere lebende Ente zu Gesicht bekomme. Leider Fehlanzeige! Hier gab es von der Pastete bis hin zur Suppe alles mit dem Geflügelvieh, nur leider keine quakenden Exemplare mehr. Brav habe ich alles probiert und für leider nicht besonders lecker empfunden – l’allemand fou, wie die Franzosen über mich zu sagen pflegen, hat sich dennoch tapfer geschlagen.
Aber auch für Touristen, die nicht die größten Entenbrustfans sind, ist die Gegend kulinarisch empfehlenswert: Jede Menge (gefundene) Trüffel, Eintöpfe und Dessert/ Delikatessen landeten immer wieder auf meinem Teller. Zur Mentalität: Die Leute vor Ort sind äußerst sympathisch, aufgeschlossen und mehr als interessiert an fremden Nasen. „Woher kommst du“, „was machst du“ und vor allem „was willst du hier bei diesem Winterwetter in der Lot“ waren Fragen, mit denen ich immer und immer wieder auf neugierige Weise konfrontiert wurde. Genügend Gesprächsstoff gab es selbst nach einem Dutzend Fragenrunden noch und als mich ein Nachbar von dem Nachbarn zu dem neuen Haus von Freunden der Freunde einlud, war ich selbst nach beinahe einem Vierteljahr Frankreich noch etwas verwundert über so viel Gastfreundschaft.
So kam ich dann auch eher durch Zufall an einen riesigen Stapel historischer Vogue- und Elleausgaben, die seit den Erscheinungsjahren 1948 bis 1952 ihr eingestaubtes Dasein fristen. Versteckt auf dem Dachboden des Stadtschlösschens, habe ich sie erspäht, die Gunst der Stunde genutzt und nach mehrmaliger Aufforderung der neuen Hauseigentümer alle Ausgaben mitgenommen. Nach Abschluss der Besichtigung wurde ich zum Essen eingeladen und so kamen wir irgendwann beim Stichwort Zeitschrift auf das Thema Bekleidung zu sprechen. Da war sie nach nicht einmal fünfeinhalb Minuten Gespräch, die Bomberjacke! Diskussionsstoff Nummer Eins und Sinnbild von Hooligans und Skinheads. „Das ist typisch deutsch“ hörte ich mehrmals beim Essen und bekam in meinem khakifarbenen Modell von Schott ein mulmiges Gefühl. Ich hake trotzdem nach und möchte wissen, was nach Ansicht eines Franzose an der Jacke typisch deutsch sei.
„In den Neunzigern sind doch die ganzen Skins damit in Deutschland rumgelaufen, oder nicht?“ Mein Kloß im Hals wird dicker und ich befinde mich inmitten eines Erklärungsansatzes zur Rettung der Bomberehre: „Da mögt ihr Recht haben und ich kann mich selber noch ziemlich gut daran erinnern, dass die Glatzköpfe und Nazis in beängstigendem Jacken-, Springerstiefel- und Rasurcodex auftraten.“ Ich schiebe aber gleich ein „das ist aber 2016 nicht mehr so einfach zu differenzieren“ hinterher und eröffne eine Debatte, die beinahe zwei Stunden dauern soll. Grob zusammengefasst geht es dabei um das Aufbrechen von gesellschaftlichen Vorstellungen in Bezug auf Mode. Ich führte das Beispiel des Hip-Hops an, eine Form der Aneignung durch Kommerzialisierung, argumentierte mit dem ledernen Bomberjackenmodell der U.S. Air Force aus den 1950er-Jahren und versuche immer und immer wieder den gleichermaßen hübschen und saubequemen Bomber vom Düsseldorfer Selekteur-Store zu verteidigen.
„Zudem ist es aktuell ein absoluter Trend!“ – Mit diesem fadenscheinigen Fashionista-Satz habe ich mir zu guter Letzt ein Eigentor ins Jenseits geschossen. Niemand nahm mich mehr Ernst, quelle histoire… Mein Versuch war misslungen, die Geister scheiden sich bei dem Thema Bomberjacke und ich muss zugeben, dass ich am Ende des Gesprächs etwas traurig aufgeben musste. Das Thema mit Stichwort Rechtsextremismus ist in manchen Köpfen tiefer verankert, als ich es gedacht hatte. „Was mache ich jetzt?“, dachte ich mir sei dem Abend auf dem Land und habe mich relativ schnell für die modische Konfrontation entschieden: Tagein-, tagaus wird seitdem das Modell auf Frankreichs Straßen spazieren getragen. Am liebsten würde ich mir ein Schild mit folgender Botschaft um den Hals hängen: „Ich entspreche mit meinen Wertevorstellungen ziemlich sicher zu 100.000% dem krassen Gegenteil eines Nazis, bin zudem noch schwul und setze mich seit meiner Jugend aktiv für die Bekämpfung von rechtem Gedankengut ein.“
Was haltet ihr von der Kontroverse Bomberjacke und apropos: Wie gefällt euch der Klassiker von Schott? Ich freue mich über euer Feedback! Zudem kann ich einen Besuch in der Region wärmstens empfehlen, ganz gleich ob MIT oder OHNE diskutiertes Jackenmodell im Gepäck!
PeterKempe
30. März 2016 at 11:09Pfirsich farbende Chinos zu gelben Superstars ….Na da ist der französische Stil ja schnell auf dich über gesprungen ! Super schön ! und ein ganz toller Bericht ! Merci !
vk
30. März 2016 at 12:41sehr schoene kombination. oranges jackenfutter, pfirsich chinos, yellow shoes. sehr nett. geht auch mit der jacke gut um, die ich allerdings immmer als perfektes pendant zu aufgedunsenem kahlschaedel mit dobermanstarren sehe. auch die leblose und dumpfe materialitaet, die haptik des kalten kunstoffs – erweckt in mir immer die assoziation abgestandener bierkotze. – sozialisiert in den 80ern, was soll ich sagen. da war es halt so,
Martina
31. März 2016 at 07:19Lieber Julian
Bei dir, als Jackenträger, käme ich niemals auf ein rechte Verbindung aber eine andere Person in dieser Jacke und andere Schuhe!!!!!
Ich finde deine Kombi sehr gelungen.
LG M
Julian
1. April 2016 at 09:34Hallo ihr Lieben,
Vielen Dank für euer Feedback! Ich freue mich sehr und @Peter und @Martina: Jetzt, wo ich ermutigt bin, trage ich das Modell direkt viel selbstbewusster. ;))
@vk: Besten Dank auch an deine Nachricht und ich kann total verstehen, was du damit meinst – ich bin in einem Dorf aufgewachsen, wo just die unsympathischen, dummen Knallbirnen zu eben diesem Sinnbild eines bierkotzegleichen Skins geworden sind. Deshalb gebe ich mir beste Mühe, (auch optisch) dagegen zu halten!!
Beste Grüße und euch ein schönes Wochenende,
Julian
blomquist
1. April 2016 at 20:47Es wird auch Zeit, dass Du nach Hause kommst!
Die Woche auf Horstson – KW 13/ 2016 | Horstson
3. April 2016 at 11:59[…] auf Südfrankreich – Kollege Julian kommt demnächst zurück nach Allemagne und präsentierte am Dienstag Ausflugsziele seiner momentanen Wahlheimat und erläuterte, warum eine Bomberjacke in den Augen […]