Für die diesjährige Métiers d’Art, der Kollektion, die alljährlich den Paraffections Ateliers des Hauses Chanel gewidmet ist und Anfang Dezember gezeigt wird, reicht ein Artikel eigentlich gar nicht aus. Deswegen werden wir an späterer Stelle noch mal auf die Details eingehen.
Chanels Weltreise, die bereits in Dallas, Salzburg, Bombay, Edinburgh, Moskau und Shanghai Station machte, kommt jetzt in die Stadt, in die nicht nur sprichwörtlich alle Wege führen, sondern die auch als „Ewige Stadt“ bezeichnet wird.
Karl Lagerfeld hat seit fünfzig Jahren einen sehr engen Bezug zu Rom. Seit 1962 ist er für das in Rom ansässige Haus Fendi tätig und lange bevor er für Chanel arbeitete, entstanden dort auch seine Kreationen für Tiziani – ein Label, das er in den Sechziger Jahren berühmt machte und das besonders gern von der Schauspielerin Elisabeth Taylor getragen wurde. Schauspieler spielen auch in der neueste Métiers d’Art-Kollektion eine Rolle. Coco Chanel selbst hatte durch ihre lebenslange Freundschaft zum italienischen Regisseur Luchino Visconti eine enge Verbindung zu Rom.
Karl Lagerfeld wäre nicht er selbst, wenn es nicht mindestens ein Dutzend Inspirationen und Gründe gäbe, Rom mit Paris zu verbinden, um daraus das heutige Frauenbild aus einer Mischung des Esprits französischer Schauspielerinnen und des italienischen Kinos zu gestalten – natürlich alles im Stil von Chanel.
Um diese Elemente miteinander zu verbinden wählte Karl Lagerfeld eine atemberaubende Location für die Präsentation seiner Métiers d’Art-Kollektion aus: Die Cinecittà Studios in Rom, wo Kreativität seit jeher ein festes Zuhause hat. Fellini drehte hier seine legendären Filme und Visconti Klassiker wie „Doktor Schiwago“ oder „Cleopatra“. Der italienische Film des Neorealismus von Regisseuren wie Rossellini oder Zeffirelli hatte hier seinen Ursprung. Alles Dinge, die Karl Lagerfeld schon zu Entstehungszeiten inspiriert und ihn tief beeinflusst haben.
Schauspielerinnen wie Silvana Mangano, Alida Valli oder Anna Magnani hatten einen anderen Stil als die französischen, wie Romy Schneider, Delphine Seyrig oder Jeanne Moreau, die schon von Mademoiselle Chanel für Ihre Rollen eingekleidet wurden.
Als Auftakt zur Métiers d’Art-Schau wurden die geladenen Gäste aus einem Cocktail aus Filmset, antikem Rom, Säulen, Kulissen, Statuen und römischen Bauten überrascht – als wäre man in eine Zeitmaschine geraten und in dem Glauben, das Julius Caesar irgendwo hinter den Kapitellen heraustritt. Scheinwerfer, Kameras und wahllos abgelegte Requisiten verraten, dass es sich um ein Filmstudio handelt – bestehend aus einer riesigen Ansammlung von Studios und Anlagen aus den verschiedensten Epochen. Vorbei an den Welten des Italowesterns ging es dann in die „Piscina“ – das Gelände, in dem normalerweise die großen Seeschlachten gedreht werden.
„Once and Forever“ mit Kirsten Stewart und Geraldine Chaplin, Lagerfelds neuester Film, der auch auf die Schau vorbereitete, beschreibt die Dreharbeiten zu einer Biografie von Coco Chanel und die Zerrissenheit in der Darstellung. Während Geraldine Chaplin als Reinkarnation der älteren Mademoiselle Chanel die Gesten und den Auftritt perfekt und scheinbar mit größter Gelassenheit spielt, tut sich ihre jüngere Kollegin, Kirsten Stewart, schwer.
Wie im richtigen Leben ist Stewart verzweifelt und unsicher, als die junge Gabrielle das Lied „Qui qu’a vu Coco“ in Vichy das erste Mal in einem Theater vortragen soll. „Qui qu’a vu Coco“ ist das Lied, dem Gabrielle Chanel ihren Spitznamen verdankt, der schließlich zu einem ihrer Markenzeichen wurde.
Mit viel Trotz und einer Art, die etwas durchsetzen will und ihr schließlich die Kraft gibt, alle ihre Visionen zu verwirklichen, die Kleidung der modernen Frau zu schaffen, kämpft sich Kirsten Stewart durch das Set.
Nebenbei lernt man, wie Coco Chanel zu ihrem ersten Coromandel Paravent und zu vielen anderen Dingen kommt, die heute immer wieder als Ikonen zitiert werden und – stetig aktualisiert – ihren Stil lebendig halten. Die Story leitet wie von selbst zu dem Ort über, an dem Federico Fellini die Hälfte seines Lebens verbrachte – das „Studio 5“, dem sogenannten „Teatro No.5“, von Cinecittà.
Das Dekor des Studios übertrifft alles erwartete. „Paris in Rom“, genauer gesagt ein „Paris in Rom zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Films“, in einer Detailgenauigkeit, die einem den Atem verschlägt. Es ist das Paris von gestern, das aber so lebt wie heute und von dem Fotografen Eugène Atget und dem Filmausstatter Alexandre Trainer inspiriert wurde. Trauner war der Lieblingssetdesigner des französischen Filmregisseurs Marcel Carné und schon fühlt man sich wie in „Kinder des Olymp“. Alles ist in Hunderte Graunuancen gehüllt – bis zu den karierten Sets der Bistros, oder den Rosen auf den Tischen, die eben in Asphaltfarben erblühen. Die Treppen von Montmartre sind genauso da, wie der Musikpavillon, der jede französische Stadt ziert. Rom ist ebenfalls in Paris, denn jeder, der mal mit der Metrolinie 5 gefahren ist, kennt die Haltestelle ‚Rome‘.
„Paris in Rom“ wurde für Kenner „chanelisiert“: Die Boulangerie heißt „Adrienne“, wie Cocos fast gleichaltrige Tante. Die Passage zwischen zwei Straßen trägt den Namen „Desrues“, wie der Schmuck- und Knopfmacher von Chanel. Es gibt neben Bistros, Gemüsemann und der traditionellen Metzgerei einen modernen Eisladen und eine Autowerkstatt mit schwerem Rollgitter. Dazwischen, im Art Déco-Stil, das große Cinema und selbst ein Abrisshaus und schummrige Seitenstraßen bis hin zu den Pfützen der morgendlichen Straßenreinigungen. Das italienische Bistro, „Cher Amis Italienne“, hat, genau wie in Italien, eine ganz andere Beleuchtung als ein französisches Restaurant. Die Zeitungsverkäufer, alles bekannte Gesichter der Lagerfeld Entourage, tragen Knickerbocker und verteilen den „Roman Express“, die Zeitung, die die Silhouetten der Kollektion zeigt.
Wie eine Wunderwelt des Setbaus, dazwischen die Kamerafahrt des Filmteams, das den imaginären Film dreht, in dem wir alle Statisten sind. Auch das ist ein Zitat des Films, das allerdings in einer anderen Zeit spielt: Die große Einstellung aus François Truffauts „La Nuit américaine“. Genau aus dem Eingang der Metro treten die Models dann auch hervor – zur Musik des Pianos von Christophe Chassol unter der Regie von Michel Gaubert.
Die Verschmelzung der Pariser Eleganz und der italienischen lockeren Nachlässigkeit beginnt. Es sind Ideen und nicht unbedingt die Realität, die Lagerfeld inspirieren, Dinge in die Tat umzusetzen: „Alle Welt stellt sich vor und ordnet es der Französin zu, dass sie gern Netzstrümpfe und Mules trägt. Das stimmt eigentlich gar nicht, aber nun wird es wahr!“
Die zweifarbigen Slingback-Pumps werden zu Mules oder mit Römersandalen getragen, dazu dann aufwendigste Spitzennetzstrümpfe. Assoziationen an Irma la Douce kommen auf. Kleine kokette „Minaudières“ – Abendhandtaschen – in Python, Alligator und Tweed wechseln sich mit langen Abendclutches ab. Dazu dann das Objekt der Begierde der Instagram-Gemeinde: Bakelittaschen in Form einer Filmkamera. Die Wartelisten werden bersten …
Die Attitüde, die an Bordsteinschwalben erinnert, begründet Lagerfeld nicht nur mit französischer und italienischer Offenherzigkeit, vielmehr wollte er den Chanel-Stil etwas sexualisiert zeigen. Eine Seite, die sehr selten herausgekehrt wird und die auch im italienischen Film des Neorealismus verankert ist. Die kleine Strickjacke über dem Unterrock oder Negligé – man sieht die Magnani oder Sophia Loren in unzähligen Filmszenen Revue passieren. Im Styling werden Männermäntel über Kleider geworfen oder Trenchcoats aus Lackleder oder Lederröcke mit breiten Gürteln kombiniert – die Filme „Les Mépris“ und „Belle de Jour“ lassen grüßen.
Die Farben der Kollektion verbinden die Töne des späten römischen Herbstes mit ihren immergrünen Pinien und den sanften, blasser werdenden Grautönen mit den ikonographischen Chanel-Farben. Das Beige Chanels Fußböden und Sofas in der Rue Cambon, das gebrochene Weiß, das Grau der Männerkleidung, die sie einst dem Herzog von Westminster aus dem Schrank nahm. Das Schwarz, das sie schon im Kloster Aubazines an den Nonnen sah und das Marineblau, das sie für ihre eigenen Kostüme bevorzugte. Dazu die Farbpalette, die die Italiener bevorzugen: Brauntöne wie Espresso, warmes Ocker, sizilianisches Orange und Cappuccino.
Tweed Mohair und gekreppte Wolle, Kaschmir, Lack und Nappaleder in feinstem Plonge, Jersey, Samt, viel Spitze, Seidenkrepp, Chiffon und Georgette – alles Materialien der Pariser Eleganz aus der Zeit Marcel Prousts bis heute. Dazu der „Touch of italian Glamour“ – Lingerie-Hemden und -Kleider und die hochgradig sexuell offensiven Netzstrümpfe.
Der ganze Effekt wird verstärkt mit den Accessoires. Große Creolen in Gold und Silber, lange, mehrsträngige Perlenketten in Grau fallen als Kaskaden in Cape-Manier über die Schultern. Breite Armreifen, gehämmert oder wie Matelassé, besetzt mit Perlen oder goldenen Ösen durchbrochen. Große Ringe an den Armbändern und Gürteln, die ein wenig an Spartacus Fesseln erinnern, zeigen „barbarische“ Anklänge, sind aber im Stil der Haute Couture gearbeitet.
Das berühmte Chanel-Kostüm und die Jacke erscheinen in neuem Gewand als Kleid – in Trompe-l’œil Manier abgesetzt – mit den „Gallons Pellicule“-Chanel-Borten in neuen Varianten oder als dreiteiliges Ensemble mit Jacke, kurzem Rock und schmaler Zigarettenhose. Die Tweedkleider reichen bis zum Knie und werden mit halblangen Röcken kombiniert. Dazu Reminiszenzen an elegante Pariserinnen wie die Comtesse de Greffulhe oder die Frauen in Viscontis opulenten Filmen.
Weite Tweedhosen werden mit Fair-Isle-Pullovern oder geraden Jackets getragen, dazu eine breite schwarze Satinschleife als Gürtel im Palazzo-Stil.
Die Spezialität von Lemarié, die Federn, schwingen auf bemalten und plissierten Seidenstreifen auf Kleidern, Röcken und Blusen mit. Der Höhepunkt war ein „Pauline Borghese“-Kleid mit rosafarbenem Satingürtel und „Farfalle“-Stickereien im Empirestil. Ein zeitgemäßer, mehrteiliger Kulturkurs in einem Durchgang. Bei Lagerfeld wird eben ganzheitlich gedacht, um für 2016 die Geschichte auf die Straßen zu bringen …
Der Abend und die Nacht ist sehr Chanel aber extrem feminin und extraordinär sexy-elegant gelöst. Spitzennegligés mit besticktem Tüll, „Fortuny“-Plissee in Samt und „Camicie da Notte“, die berühmten italienischen Unterrockkleider in Crêpe und Guipure-Spitze, die extrem delikat von Karl Lagerfeld der Kollektion eine ganz besondere Note geben und sofort zu Klassikern avancieren. Selbst mit einer einfachen Strickjacke kombiniert, lassen sie jede Frau unwiderstehlich aussehen …
„Paris in Rome 2015/16“ ist ein elegantes Fest und eine Ode an die Lebensfreude beider Städte. Ein Zeichen und eine Huldigung, die gerade zur rechten Zeit kommt und ein Fest für die Sinne und zum Träumen ist. Genau wie die unzähligen Filme, die in Cinecittà gedreht wurden und die Haute-Couture-Kollektionen, die in Paris von den Schneidern und den Paraffections Ateliers, den Meistern ihres Metiers, in mühevoller Handwerksarbeit erschaffen werden.
Am Ende der Schau erwachte dann alles zum Leben und die Boutiquen, Cafés, Restaurants, die Fleischer, Gemüsehändler, Floristen, der Eisladen und die Musik ließ uns auf den Treppen tanzen und unter dem Eiffelturm feien. Genau das macht unsere Lebensart aus – auf den Terrassen von Paris in Rom.
Man kommt übrigens mit der Linie 5 der Metro direkt dorthin! Jedenfalls bei Karl Lagerfeld für Chanel …
Elke Kempe
5. Dezember 2015 at 17:22Ein toller Artikel,man hat das Gefühl,man ist dabei gewesen und hat Alles miterlebt! Danke Dir!!
Monsieur_Didier
5. Dezember 2015 at 21:44…einfach unfassbar…
das Set ist wieder mal uunglaublich und auch Teile der kollektion gefallen mir sehr auf den ersten Blick…
Peter, ich freue mich auf mehr von Dir…!
Monsieur_Didier
5. Dezember 2015 at 21:47…ich war direkt wieder in de Tweed mäntel und Jacken verliebt…
überhaupt die ganzen Mäntel und Jacken…
…und wie witzig die Fotografen postiert sind 😀
PeterKempe
5. Dezember 2015 at 22:28@Monsieur_Didier
Ja die Fotografen waren in der Autogarage und als die Show zu Ende war ,wurde das Rollgitter runter gemacht und das Nachtdienst Schild außen erleuchtet ….bei Karl gibt’s Perfektion bis ins letzte Detail !
thomash
6. Dezember 2015 at 15:42die schau, die kreationen, die inszenierung, das konzept, die bauten, die film-bezüge – der gesamteindruck ist so überwältigend, dass es einem beinahe die sprache verschlägt. ganz unglaublich! zum glück geht’s kempe nicht so und er findet hier wieder mal die perfekten worte, um den leser mit haut und haar nach rom mitzunehmen. film ist ja eine traumwelt, und in den traumhaften chanel-film geht man am allerbesten zusammen mit kempe.
thomash
6. Dezember 2015 at 15:46ps: die jünglings-sachen sind nicht so mein ding. aber so einen pullover vom auftritt von lagerfeld am ende der schau, den würd ich nehmen : -)
Tim
6. Dezember 2015 at 16:50Gefällt mir leider gar nicht und die Dekoration soll ablenken
Siegmar
7. Dezember 2015 at 12:24großartiger Artikel und wie gesagt, da bin ich wirklich neidisch, nicht dabei gewesen zu sein. 😉
Horst
7. Dezember 2015 at 14:27Gab es gar keine Broschen????
vk
7. Dezember 2015 at 19:48karl and the gang in fair isle sweaters.
much to be loved about this show.
Serven
7. Dezember 2015 at 21:23Wunderbar! Es ist unfassbar, was man alles machen kann!
Was für Welten! Zum Glück lässt einen das Netz teilhaben. Früher gab es ein, zwei Fotos. Jetzt sitzt man praktisch Frontrow. Und das mit Peter Kempe! Kann Montag abend besser sein? 🙂
Markus
8. Dezember 2015 at 03:38ein traum, ganz wunderbar, das set, es stimmt alles bis zu den pfützen auf den strassen, unglaublich, perfekt, eine andere welt, wir „dürfen“ daran teilhaben, dank dem meister karl lagerfeld, er entführt uns wie oft in eine entrückte szenerie die zum träumen einlädt, dank peter erleben wir das gesehene hautnah mit, ich spüre regelrecht das prickeln die ergriffenheit beim betreten dieses sets. viele kollektionsteile atemberaubend, der große lagerfeld macht aus einer „zwischen“kollektion ein fest, danke dafür