Um für die nächsten Jahrzehnte weiter bestehen zu können, muss sich die Luxusmode reformieren und eine Form finden, den immer härter werdenden Wettbewerb und die fortschreitende Globalisierung aufzufangen. Die Diskussionen um die Zukunft der Mode, egal ob beim große Luxus Symposium in Florenz im April oder der Aussage von Trendorakel Lidewij Edelkoort, die Mode sei tot, halten die Branche in Aufruhr.
Bilder: Gucci; PR
Auch wenn die Kassen zurzeit noch klingeln und viele Märkte gut funktionieren – es bleibt immer die Frage, wie es in fünf Jahren um die Geschäfte bestellt ist. Bei Shareholder-Value-Unternehmen eine Frage, die alle drei Monate gestellt wird, weil Aktionäre Dividendenausschüttungen wollen. Die letzte Zeit hat aber gezeigt, wie verletzbar Umsätze sind, wenn man nur auf bestimmte Märkte – wie zum Beispiel Russland – setzt. Es gibt Modeunternehmen, die dort bis zu zwei Drittel ihrer Umsätze gemacht haben und die nun dramatische Einbrüche verzeichnen.
Nicht umsonst scheint in Paris und Mailand eine Rückbesinnung auf Eleganz und „bürgerlichen Chic“ stattzufinden. Wenn man sich als Marke zu sehr von seinen Grundwerten entfernt und die Europäer nicht mehr kaufen oder kaufen können, weil sich die Preise verdoppelt haben, dann ist man auch nicht mehr für die neuen Reichen der Schwellenländer interessant. Bei den Schwellenländern ist der Mehrwert einer Marke ein Stück der Kultur und des Handwerks von „Good old Europe“ zu besitzen. Der Glanz von Paris, die Lässigkeit von Mailand oder das Stück von der britischen Extravaganz – irgendwie fällt es mit jedem Kauf imaginär mit in die Tüte. Nur wenige Marken schaffen es, eben diesen Mehrwert nicht nur in der Kommunikation zu vermitteln, sondern auch in die Konsequenz ihrer Qualität und ihrer Stilistik. Das ist das, was die Vormachtstellung von Chanel oder Hermès ausmacht. Die beiden Unternehmen wichen nie von ihrer fast altmodischen Markenpolitik ab und setzten stringente Distributionsstrategie vor einer schnellen Umsatzsteigerung. Die Umsätze kommen dann eh von allein, weil die Begehrlichkeit mit Verknappung nur unendlich wächst.
Das alles, und wie man heute 22-Jährige dazu bringen will, noch in zwanzig Jahren etwas von einer Marke haben zu wollen und nicht brav mit seiner derzeitigen Kundschaft älter zu werden, scheinen Fragen zu sein, die man sich bei Gucci schon seit einer ganzen Weile gestellt hat. Wie unterscheidet man sich in Zukunft von den anderen und schafft es trotzdem, das Handwerk und die Heritage in eine Generation zu transportieren, denen Brands zunehmend egal werden und die gar nicht mehr die Begehrlichkeiten von Marken, die ihre Eltern oder Großeltern als aufregend ansahen, zu wecken. Sicherlich nicht das, was heute in immer schneller werdenden, von Marketingabteilungen gemachten Kollektionen geboten wird …
Bilder: Gucci; PR
Der Mut zu einem totalen Bruch bedeutet aber meistens den eventuellen Verlust der vorhandenen Kundschaft. Man kann sich als Unternehmen nicht sicher sein, dass eine neue Klientel hinzukommt. Solange es noch einigermaßen läuft, bleiben viele Labels lieber bei gewohnten Pfaden und versuchen, alles mitzunehmen, ohne in die weitere Zukunft zu planen. Dabei waren die meisten Luxuslabels, zumindest als sie noch klassische Familienunternehmen waren, eher auf Generationen ausgerichtet. Ein Gedanke, der sich in den meisten Fällen über lange Zeit als beständig erwiesen hat.
Der totale Bruch eines Modehauses und die Rückbesinnung auf nahbaren Luxus zu vollziehen, obwohl die Geschäfte laufen, scheint jetzt das Modehaus Gucci den Vorreiter zu bilden. Die Zukunft hat bei Gucci schon im Januar mit der Berufung von Alessandro Michele zum neuen Creative Director begonnen.
Bilder: Gucci; PR
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Mit Alessandro Michele scheint das Haus ein echtes Ass im Ärmel zu haben, das jetzt zeigt, was es kann. Die eigentliche Sensation ist nicht nur seine eigene Handschrift und der Mix aus Androgynie, Romantik und der Modernität, sondern dass er die Werte wiederbringt, die Luxus von Klamottenmassen unterscheiden. Michele vollzieht das Wunder, Gucci wieder ultralässig und sexy zu machen. Allerdings macht er es weder mit dem Sicherheitsdenken seine Vorgängerin noch in Adaption an die glorreichen Zeiten von Tom Ford. Michele macht es auf seine Weise und mit unserem Zeitgeist, wie er letzte Woche in New York bei der Präsentation der Cruise Collection 2016 eindrucksvoll zeigte.
Dabei ist alles intelligent und hat einen doppelten Boden. Michele zeigt sich insgesamt sehr schlau, was schon beim Ort der Präsentation anfängt. In einer Saison der architektonischen Superlativ-Schauen – Südkorea, Palm Springs und Cannes bei den anderen Modehäusern – setzt er auf eine Off-Location in einer Garage in der Nähe der 22. Straße in New York. Als Bruch wurde die Straße mit bunten Vintage-Perserteppichen ausgelegt und die Gäste nahmen auf Sesselchen Platz, die mit ihrem Toile-de-Jouy-Bezug ein wenig an intime Haute Couture-Vorführungen erinnerten.
Bilder: Gucci; PR
Bilder: Gucci; PR
Alessandro Michele liebt die Gegensätze. Eigentlich repräsentiert jedes einzelne Stück, das voller Details, kostbarer Handarbeit und traditionellen Handwerkstechniken steckt, genau das, was Luxusmode ausmacht – die totale Kostbarkeit. Michele schafft es, dass es so aussieht, als wäre es schon immer da und würde seit Jahrzehnten ein Lieblingsteil sein. Manches erinnert mich an PRADA, vieles an den göttlichen Yves Saint Laurent. Vor allem die Farbkombinationen und Colour Blockings, der Einsatz von viel Plissee und Lamé, die wunderbaren Schluppenblusen und das Verbinden von Tonnen von Crêpe de Chine, Gazar und Spitzenapplikationen.
Die Gucci-Heritage wird von Michele nicht bloß wieder aufgewärmt, sondern in eine, in seine eigene Stilistik weiterentwickelt. Die Stilistik heißt Exzentrik und die Teile – wenn man sie sich genau anschaut – sind alle extrem formell. Was aus der Sportswear kommt, ist umgewandelt oder veredelt. Der Tennispullover wird zum Kleid, das Sweatshirt ist aus Crêpe de Chine und mit Strickbündchen versehen. Die Bojaren-Jacke mit Knebelverschlüssen wirkt so, als ob sie Tolstois Anna Karenina gestohlen wurde, kommt aber total lässig rüber.
Bilder: Gucci; PR
Die neue Gucci-Kollektion steckt voller potenzieller Keypieces mit Kultcharakter! Die Sexyness vollzieht sich nicht über das Offensichtliche, sondern über das regelrecht Zugeknöpfte und den zweiten Blick. Was wie Vintage wirkt, darf nicht über eines hinweg täuschen: Diese Kollektion ist in jedem Teil wahnsinnig hochwertig und in der Herstellung sehr aufwendig und dementsprechend teuer. Aber genau das entspricht ja auch einem wirklichen Luxuslabel …
Was Michele aber schafft, ist, dass die Anonymität und Unnahbarkeit, die die meisten Brands mittlerweile ausstrahlen, von ihm total durchbrochen wird. „Du kannst Dir aussuchen, was du willst und es kombinieren, wie du magst“, scheint seine Devise zu sein. Das Styling wirkt so, als würde ein Freund für einen die Garderobe zusammenstellen. Der Pelzmantel wird über den Häkelpullover geworfen, der Faltenrock zur Bluse als Metallic-Totallook wie ein schimmerndes Insekt getragen. Michele verwirrt und begeistert. Bei ihm bekommt Mode wieder das, was sie ausmacht: Fantasie, Glamour und Individualität.
Die Hippie-Kleider, die mit asiatischen Motiven und Insekten bestickt sind oder aus messingfarbenem Gazar bestehen, sind der große Auftritt schlechthin und jetzt schon meine absoluten Favoriten. Die Männeroutfits, mit dreißiger Jahre Pullunder, Baskenmütze und Chiffonhemd und Blütenbrosche oder College Jacke zu Shorts in Flora-Print, wirken wie starke Überzeichnungen von neunmalklugen Fashion Victims, die aber sofort faszinieren. Es ist halt alles anders und neu bei Gucci – und das finde ich nicht nur mutig. Es steigert die Neugierde auf die nächste Saison und auf die Entwicklung von Alessandro Michele. Denn jetzt gibt es kein Zurück mehr, nur noch in die Zukunft denken.
Bilder: Gucci; PR
Mit dieser Kollektion hat uns Alessandro Michele eine Sternstunde bereitet. Es wird nicht seine letzte gewesen sein. Ein großer Schritt für die Zukunft der Luxusmode.
blomquist
9. Juni 2015 at 15:45Ich finde diese Cruise-Kollektion so unfassbar großartig! Alessandro Michele ist mein neuer Held und macht Gucci für mich so begehrenswert wie noch nie!
Tim
9. Juni 2015 at 16:06Sehr gute Analyse, tragen möchte ich es aber nicht 😉
Siegmar
9. Juni 2015 at 16:23sehr guter Artikel, die Damenmode ist gelungen, gefällt mir sehr, bei den Herren habe ich bisher zu wenig gesehen, Gucci hat einen komplett anderen Look, ehrlich gesagt, für mich doch gewöhnungsbedürftig bedürftig. 🙂
Markus
9. Juni 2015 at 18:09super, ich freu mich schon wenn die Kollektion in die Läden kommt, genial geschrieben von Peter
jan who
9. Juni 2015 at 18:24Eine Biene? Das kennen wir doch schon … ?!?!?! 😀
Horst
9. Juni 2015 at 21:12Schön anzuschauen auf jeden Fall, und subtil sexy (auch bei den Jungs), nur für mich z.T. zu feminines Styling.
Horst
9. Juni 2015 at 21:13@Jan Hilf uns mal auf die Sprünge – welche Biene kennen wir woher?
Monsieur_Didier
10. Juni 2015 at 09:28…da sind ganz viele Teile bei, die mir ehr gut gefallen…
auch im Männerbereich, z.B. diese beiden sehr schönen Mäntel (ich hoffe, die sind BEIDE für Männer 😉 )
dieser seidige Kurzhosen-Spielanzug ist eher grauselig, wie soll ich einen Mann ernst nehmen, wenn er SO ETWAS trägt…
aber das Styling ist mir eindeutig zu effiminiert…
aber seis drum, Aufsehen eregend gestylt und tolle Bilder…
und auch ich kann nur anmerken: …toll geschrieben, Peter 🙂
Monsieur_Didier
10. Juni 2015 at 09:32…und beim nächsten Mal klappt es auch wieder mit meiner Rechtschreibung 😉
Junikäfer
10. Juni 2015 at 10:56Gefällt mir gar nicht.
Es handelt sich doch hier nur ein buntes Sammelsurium verstaubter Vintage-Klamotten von Omas Dachboden. Dazu eine Nerd-Brille und eine Baskenmütze. Im Vergleich zur Herbst-Winter-Kollektion sehe ich keinen Unterschied: Die gleichen Silhouetten, die gleichen Schluppen-Blusen, dieselben kurzen Ärmel. Sonst auch die gleichen wild bestickten Strickwaren, plissierten Röcke, Blümchen- und 70er-Drucke…
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