Bild: Montblanc
Die Feder im Blick – Wie wird eigentlich ein Füller hergestellt? Ich habe einen Besuch bei Montblanc in Hamburg angefragt und siehe da, der wertvollste Koi-Karpfen unter den sonstigen Füllfeder-Goldfischen hat angebissen und zugesagt. Ein paar Tage später war ich live vor Ort, habe mich umgeschaut und wissbegierig die Fertigungsschritte des Traditionshauses aufgesogen. Nach einer Geschichtsauffrischung (den ersten Teil gibt es hier zum Nachlesen), stelle ich euch nun die Federmanufaktur vor.
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Ich passiere etliche Flure und verliere langsam die Orientierung. Noch immer suche ich nach versteckten Montblanc-Hinweisen in Kunstwerken: Eva & Adele, Jonathan Meese und viele weitere renommierte Künstler hängen an den Wänden und laden zum Rätseln ein. Plötzlich halten wir vor einer gläsernen Tür und werden ausführlich über Sicherheitsvorkehrungen unterrichtet. Langsam kribbelt es, die Aufregung steigt. Eine Glastür zur Federmanufaktur öffnet sich. Wir treten ein, die Tür schließt sich sofort. „Mon dieu, Montblanc“ – Wie sieht es hier denn aus!? Hektisches Treiben und Weitläufigkeit? Fehlanzeige! Versteinerte Mienen und ächzende Maschinen? Fehlanzeige, die Zweite! Ich fühle mich dabei ertappt, dass ich bislang eine sehr vereinfachte Auffassung von Manufakturarbeit hatte.
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Fabrikähnliche Zustände und schweißtreibende Arbeit, so habe ich mir ehrlicherweise einen Besuch vorgestellt. Bestenfalls Feuerfunken, die durch die Luft schnellen (okay, das ist jetzt ein wenig übertrieben). Auf jeden Fall aber schwere Geräte, schmutzige Hände und ungeheurer Lärm. Kaum eingetreten, werde ich eines Besseren belehrt: Hochwertiges Parkett, eine beneidenswerte Ordnung und Ruhe – „Wo ist der Krach“, denke ich mir und starre mit großen Augen auf zwei Damen. Sie lächeln mich an und lachen. Haben sie vielleicht meine Gedanken lesen können? Ich versuche meine Verwunderung zu kaschieren und schaue abwechselnd nach links, rechts, oben und unten. Ich bin fasziniert, hier gefällt es mir. Die Damen sitzen an einem schreibtischähnlichen Konstrukt und untersuchen in aller Seelenruhe Schreibfedern.
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Apropos Seele, zum ersten Mal verstehe ich den Expertenspruch „die Federfertigung ist der Seelenmacher des Füllfederhalters“. Klingt einleuchtend, hier wird alles höchst akkurat vollzogen: Die Mitarbeiter/innen arbeiten im Team und schulen sich gegenseitig. Teamarbeit wird hier groß geschrieben, die einzelnen Arbeitsvorgänge werden in einem Rotationssystem aus unterschiedlicher Hand vollzogen. Monotonie sieht meiner Meinung nach anders aus! Die lachenden Damen zeigen mir in aller Ruhe, woran sie arbeiten. Soviel steht fest: Zittrige Hände sind in der Federmanufaktur fehl am Platz. Ich kriege erklärt, dass es an die 35 Arbeitsgänge für eine einzelne Feder bedarf. Wirklich? Meine Augen werden noch größer und ich horche gespannt, was Elena, meine versierte Führung, berichtet:
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Für die Schreibfedern von Montblanc werden Goldbänder (Goldcoils) mit einem Gewicht von bis zu 10 Kilogramm geordert und anschließend im hauseigenen Tresor aufbewahrt. Bemerkenswert ist dabei, dass ausschließlich Goldfedern angefertigt werden: Das liegt zum einen daran, dass Gold sehr langlebig und hochwertig ist, zum anderen überzeugt es durch exzellente Federeigenschaften. Wer an dieser Stelle ungläubig mit dem Kopf schüttelt, sollte bei Gelegenheit jeweils eine Gold- und Stahlfeder Probe schreiben. Der Unterschied ist spürbar, die Goldfeder schreibt wesentlich weicher. Ich liebäugle mit dem 18-karätigen Goldband und rechne fleißig in meinem Kopf hoch: Hier liegen bestimmt 150.000 Euro aufgerollt, incroyable!
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Der erste Arbeitsgang, das Walzen wird erklärt: Von den Bändern werden kleine Streifen konisch (kegelförmig) gewalzt. Im Fachjargon spricht man vom Strakverlauf, der maßgeblich entscheidend für die Härte oder Weiche der Schreibfeder ist. Anschließend wird die Federplatine ausgeschnitten. Das charakteristische Herzloch der Feder ist jetzt erkennbar. Ganz wichtig, sorgfältiges Recycling: Im Anschluss an diesen Arbeitsschritt, wird das überflüssige Gold, beinahe 60% des Streifens, rückgewonnen und wiederverwertet. Im zweiten Arbeitsgang wird die Goldplatine mit einem Gravurstempel geprägt: Treue Leser wissen, dass die Ziffern 4810 für die Höhe des Mont Blancs stehen. Zusätzlich wird die jeweilige Karatzahl, der hauseigene Schriftzug und das Montblanc Emblem verewigt.
Limitierte Editionen werden sogar mit Prägebildern verziert, wahlweise mit Ornamenten oder Portraits. Ich bin ein klitzekleines bisschen größenwahnsinnig und stelle mir vor, dass ich mein eigenes Antlitz auf einer Füllfederfeder verewigt hätte. Ich könnte mich an den Gedanken gewöhnen, das wäre ein garantiertes Alleinstellungsmerkmal bei der nächsten Universitätsprüfung. Zurück zum eigentlichen Thema: Das Stempeldesign soll möglichst ausgeprägt und tief sein, dafür werden hydraulische Pressen von bis zu 25 Tonnen verwendet. Diese sollte man besser nicht zwischen die Finger bekommen. Im nächsten Schritt wird die Federplatine in einem hochglanzpolierten Federgesenk in ihre Form gebracht. In aufwändiger Detailarbeit wird eine gleichmäßige Druckverteilung und passende Federgeometrie erzielt – natürlich werden dafür die Drücker des Federgesenks per Hand bearbeitet.
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Mit großem Staunen verfolge ich, wie viel Fingerspitzengefühl für diesen Arbeitsvorgang benötigt wird: Das Stempelbild darf nicht beschädigt werden und die Goldfeder muss ebenfalls ihre ursprüngliche Federeigenschaft bewahren. Hier ist handwerkliches Geschick gefragt, jede falsche Bewegung kostet der Feder wortwörtlich ihre „Seele“. Bei auftretenden Fehlern und Komplikationen wird das Gold wiederverwertet und der Prozess beginnt wieder ganz von vorne. Wir gehen vom Besten aus und schreiten zum vierten Arbeitsschritt, der Schweißarbeit: Jede Feder erhält einen Schreibpunkt an der Goldfederspitze. Dieser muss aus einem sehr harten Material sein und darf keinesfalls verschleißen. Montblanc verwendet hierfür Iridium, das über gute Gleiteigenschaften beim Schreiben verfügt. Ohne diesen Schreibpunkt aus Iridium würde sich die empfindliche Feder innerhalb kürzester Zeit abnutzen.
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Im nächsten Schritt ist erneut Fingerspitzengefühl erforderlich: Es wird geschnitten. Eine sehr empfindliche Scheibe sorgt für den finalen Federschnitt, der beim Schreiben die Tinte zum Papier transportiert. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich bereits bei meinem ersten Füller gefragt habe, wie und wo dieser Schnitt in der Mitte der Feder herkommt. Bislang habe ich nie eine Antwort gefunden, endlich habe ich eine grobe Idee davon – „Wissen macht Ah!“ für Fortgeschrittene. Der sechste Schritt sorgt für den passenden Schliff. Jeder Federpunkt (zur Erinnerung, der Iridium-Punkt zum Schreiben) wird per Handarbeit zurecht geschliffen. Die richtige Geometrie der Federbreite ist entscheidend für den weiteren Verlauf des Füllers, erst jetzt wird jede Montblanc-Schreibfeder zum echten Unikat.
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Mir wird erklärt, dass es sich hierbei mit um einen der schwierigsten Arbeitsschritte handelt. Mitarbeiter/innen werden in einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten für diesen Handschliff ausgebildet und müssen über ein sehr gutes Sehvermögen verfügen. Quelle misère, ich kann mit meinen schlechten Augen nicht nur den Pilotenberuf streichen, sondern auch eine Tätigkeit als Schleifer bei Montblanc. Scherz beiseite, allein schon wegen meiner überschaubaren Fingerfertigkeit hätte ich keine Chance in der Federmanufaktur Anschluss zu finden. Das Polieren der Goldfeder wird im Anschluss vollzogen, jedoch nicht irgendwie und wahllos: Die Qualitätsansprüche sind so hoch, dass der beim Spiegeln entstehende Lichtkegel komplett gleichmäßig über die Feder fließt. Selbst hier würde ich ordentlich ins Schwitzen geraten und platze fast vor Ehrfurcht, als ich die ambitionierten Mitarbeiter/innen beim Polieren beobachte.
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Bis zur Perfektion poliert, wird die Goldfeder anschließend rhodiniert. Ich fühle mich in den Chemieunterricht zurückversetzt, lasse mir aber nichts anmerken: Rhodium, ein Platinmetall, wird in einer dünnen Schicht galvanisch über die Feder gezogen. Galvanisch? Ich kann nur entwarnen und zugegeben, dass ich den Begriff erst einmal googlen musste: Elektrochemischen Strom erzeugend. Hui, nicht umsonst wurde ich damals mit Ausreichend benotet. Soviel kann ich verraten, ohne mich zu blamieren: Es handelt sich um eine Beschichtung der Feder. Ich befreie mich aus der misslichen Lage und schreite zum abschließenden Schritt: Das Montieren des Federaggregats. Ein Zuführer und die dazugehörige Hülse werden mit der Goldfeder verbunden, für Laien ist es als Verbindungsstück erkennbar. Diese Zuführung/ Verbindung wird „Federaggregat“ genannt, wieder etwas dazugelernt!
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Als Letztes schaue ich mir die Schreibabteilung an: Schalldicht isoliert werden hier in akkurater Feinarbeit die Schreibfedern getestet und in jedem erdenklichen Winkel ausprobiert. Der Geheimtipp zum Feststellen der Federfähigkeiten? Achten schreiben! So werden sämtliche Winkel der Schreibspitze beansprucht und die Mitarbeiter/innen können dank ihres geschulten Gehörs am Kratzen der Feder etwaige Mängel rausfiltern. Mir bleibt der Mund offen stehen, ist das mit dem Gehör ernst gemeint? Definitiv! Bevor wir die Federmanufaktur verlassen, schaue ich mich noch einmal in aller Ruhe um. Es ist wirklich beachtlich, mit welcher Detailverliebtheit und Präzision vor Ort gearbeitet wird. Der Begriff Handarbeit hat seit heute eine ganz neue Bedeutung für mich und auf das erste „Meisterstück“ aus dem Hause Montblanc wird ab sofort gespart!
Siegmar
14. Januar 2015 at 10:54Julian, du hast wunderbar die Atmosphäre bei Montblanc beschrieben und mir vermittelt. Solche Artikel mag ich sehr und freue mich über jeden der noch einen Füllfederhalter benutzt. Meiner liegt auf dem Schreibtisch mit einem schönen Tintenfaß daneben.