Karl Lagerfeld ist ein Fashion-Magier. Mal baut er Eisberge als Décor als Antwort auf die Klima-Konferenz von Kopenhagen für seine Winterkollektion 2010 im Grand Palais auf oder lässt für die „Cocomation“ Kollektion die Abraumhalden der Kohle-Bergwerke von Wales mystisch dampfen.
Das Umweltschutz und die Suche für die Zukunft nach alternativen Energien, dass Thema des 21. Jahrhunderts ist, führte er uns am Dienstag bei seinem Defilee für die Prêt-à-Porter Kollektion Frühjahr/Sommer 2013 vor Augen.
Das 140 Meter lange Podium glich einem gigantischen kombinierten Solar- und Windpark, der das ganze Grand Palais einnahm. „Die Zukunft hat begonnen“ und die Schönheit der tiefblauen Solarzellen und der japanische Architekt Tadao Andō dienten Lagerfeld als Inspiration, wie er selbst sagte.
„Mode ist permanentes Recycling, erfindet sich aus seinen Grundelementen immer wieder neu,“ Ökologie de Luxe ohne schaurig alternativ zu sein – auch das geht (David de Rothschild lässt Grüßen).
70 Modells führten eine Kollektion von 80 Modellen vor, die diesmal ganz ohne die typischen Ketten, Kamelien, Wolltressen und großen Logos auskommt.Vor den Augen von Chanel Anhängerinnen und Anhängern wie Jennifer López, dem Rapper Kanye West, Lou Doillon, Laetitia Casta und der Tänzerin Aurélie Dupont setzte Karl Lagerfeld die bereits in der letzten Sommerkollektion und der jetzigen Herbstkollektion begonnende klare, wesentlich konstruktivistischere und reduziertere Linie fort.
Fast macht es den Anschein, als lässt Lagerfeld die Möglichkeit, dass seine Kundinnen die Wahl haben. Die verspieltere, klassische und opulentere Chanel Liebhaberin findet ihre Heimat, wenn sie sich nicht Couture leistet, in den Reisen, die Herr Lagerfeld in den Arts et Métiers Kollektionen macht. Ob Bombay, Shanghai, Byzanz oder Moskau – hier findet man Kaskaden von Schmuck, Stickereien, Details von unendlicher Tiefe und Accessoires, die wie Kunstwerke erscheinen. Mode als Traum und Chanel-Fetische wie aus Mademoiselles Schatzkisten.
In den Hauptkollektionen, die moderne, urban lebende Chanel-Frau des 21. Jahrhunderts, die zwischen den Metropolen der Welt ihren Alltag lebt. Die Kollektion ist auf die Trapez und O-Silhouette aufgebaut und wirkt ein bisschen so, als wenn der Luftstrom der Windräder sanft unter die Kleider und Jacken geblasen hat. Körper-umschmeichelnde Silhouetten und weitere Schnitte dominieren. Klar und fast geometrisch spielt Lagerfeld mit den Farben schwarz und weiß.
Kleider und Hosenanzüge in Streifen-Gazar werden mit kleinen Micro-Jacken, die graphisch und flächig wie Cache Coeurs durchgängig die „neue“ Chanel-Jacke der Saison sind, getragen.
Kleider, uni schwarz oder weiß, sind all over mit Riesen-Perlen bestickt, die an Mademoiselles Ohrclips erinnern. Überhaupt sind wie Meterware anmutende, überdimensionale Perlen das Accessoire der Saison. Vier Lagen um den Hals als Choker oder Stränge-weise als Armband wie Kaskaden über den Handrücken fallend. Natur oder in Silbergrau, fast durchgängig an jedem Modell. Perlen als Knöpfe und die einfachen, im Nacken zusammengebundenen Frisuren, gehalten von einer großen Perle.
Bei den Farben für den nächsten Sommer hat sich Lagerfeld für klare, leuchtende Farben wie Rouge Vif (hochrot), Electric Blue (das der Sonnenkollektoren, es gibt auch ein komplettes Kleid in dem Muster), Jadegrün bei leichten graphischen Gouffré Ensembles und „pastellige“ Töne bei den Blütenranken auf einigen Abendkleidern runden die Farbpalette ab. Kleine Karos, Hahnentritt und Pepita bei den Schwarz weiß Durchgängen erinnern besonders bei den Micro-Jacken ein wenig an Courrèges.
„Hier gibt es keine Smokings,“ merkt Karl Lagerfeld als Anspielung auf die endlos in der letzten Woche gezeigten schwarzen Anzüge und Kleider an, „Chanel bietet andere Möglichkeiten.“
Für laue Sommer Nächte gibt es einfach geschnittene, gerade Bustier Kleider aus strukturiertem, geraffeltem Organza mit Blüten-Applikationen in Rhodoïd, einem an Zelluloid erinnerten Material. Oder lange, schlichte Sommerroben in Chanels 30er Jahre-Silhouette in weiß oder Marone, mit zurückhaltenden Perlen-Applikationen.
Ein schwarzer Crêpe Chiffon Pyjama, mit an Federn erinnernden, ganz fein applizierten, bunten Gaze-Fransen an den Manschetten und Säumen, wirkt besonders raffiniert und spektakulär.
Der meist photographierte Outfit der Saison wird aber auf Grund der Accessoires, ein schwarz/weißer Badeanzug sein, zu dem die neue „Coco 2013“ Sonnenbrille getragen wird und eine Tasche, wie sie sich nur Karl ausdenken kann. Die Brille hat über dem rechten Glas eine komplette Scherenschnitt Silhouette von Mademoiselle Chanel mit Perlen-Collier und Ohrclip und die Tasche, überdimensional, wirkt wie ein Rhoenrad oder zwei Hula Hopp Reifen deren Hälfte ausgefüllt ist durch eine große, gesteppte Flap-Bag. Die ultimative Strandtasche 2013!!
Bei den Schuhen gibt’s die neue Version des Coco Schuhs: schwarze Spitze und gestreifte Sohlen und Absätze an Knöchelriemen-Plateaus – dem Schuh der Kollektion.
Multicolor Stepptaschen in Legostein-Farben und eine jetzt schon zu Kultstatus avancierte Clutch in giftgrün, die an die Duplo-Version von Lego erinnert, runden die Accessoires neben transparenten Rhodoïd Hüten mit Gazar-Stumpen ab.
Erneuerbare Energien und eine Chanel Frau, die sich mit riesigen Schritten in den nächsten Sommer begibt. Einen graphischen klaren Sommer, in dem es Altmeister Lagerfeld mal wieder gelingt, uns zu begeistern und zu verblüffen.
In dreißig Jahren Chanel hat er alles gemacht – Barbiepuppen-Kollektionen mit Claudia Schiffer, Biker Kollektionen, Frauen Männer-Unterhosen zu Tweedjacken angezogen, Shakespeare wieder auferstehen lassen, Strindbergs Purismus Ende der 90er lanciert, fast alle Kontinente als Einfluss gehabt.
Er ist mehr als ein Magier der Mode, auch weil er es immer wieder versteht, alle zu verzaubern. Er darf alles und man verzeiht ihm auch alles, weil er wie die Queen ist: weltbekannt, immer da und von einer Disziplin und einem Arbeitspensum, deren Energiequelle immer ein Mirakel bleiben wird.
Es ist höchste Kunst auch nach so vielen Jahren immer wieder so zu überraschen und nicht nur sich, sondern auch Chanel neu zu erfinden. Und das ist Karl Lagerfeld mal wieder gelungen und das auch noch ökologisch rein.
Wir freuen uns auf „Écologie de Luxe“, Chanels Frühjahr Sommer 2013 Kollektion. Ausflüge in den Windpark inbegriffen.
Alle Bilder: CHANEL
Sue
4. Oktober 2012 at 15:09hach Karl! I love you for this!
blomquist
4. Oktober 2012 at 15:29Und plötzlich gefällt mir diese Kollektion.
Jacob
4. Oktober 2012 at 16:19Klasse Beschreibung, die Kollektion macht sie aber nicht schöner. Sorry!
Siegmar
4. Oktober 2012 at 16:54schöner Artikel übr eine gelungene Kollektion, sieht sehr stimmig aus, meine kritik, wie immer, Schuhe kann er nicht ! 🙂
Siegmar
4. Oktober 2012 at 16:55und die “ Rhönrad-Tasche “ ist auch gewöhnungsbedürftig
Chanel Spring Summer 2013 | Les Attitudes
4. Oktober 2012 at 17:43[…] Horstson findet ihr eine besonders gelungene und ausführliche Erörterung der […]
anne
4. Oktober 2012 at 17:44besser hätte man die Kollektion nicht erötern können. toller artikel!
Horst
5. Oktober 2012 at 10:58Ich bin ja großer Fan der Rhönrad-Tasche!!! Tolle Kollektions-Besprechung!!!!
thomasH
6. Oktober 2012 at 11:44was ist das i-tüpfelchen, die kirsche auf dem sahnehäubchen jeder chanel-präsentation? peter kempes besprechung! du erkennst, was andere nur sehen. bin begeistert!
Horstson » Blog Archiv » Die Woche auf Horstson
7. Oktober 2012 at 09:41[…] Entwürfe der Männer-Kollektion. 5) Über die kommende Sommerkollektion von Chanel berichtete Peter am Donnerstag. 6) Horst ist ein bekennender Fan vom Farbklecks-Sneaker den er am Mittwoch als sein Objekt der […]
Markus Brunner
8. Oktober 2012 at 06:09Peter! was soll man noch sagen?