Erinnert ihr euch noch an den großartigen Patrick Kelly Artikel von Peter? Auf diesen Artikel ist das Magazin ‚Fairy Tale‚ aufmerksam geworden und hat Peter gebeten, diesen Artikel veröffentlichen zu dürfen. Weil Peter aber noch viel mehr über Patrick Kelly zu berichten weiß, bat ihn das Magazin zu einem großartigem Interview über Patrick Kelly, über den heutigen Stellenwert der Mode und wie das damals so war, als Peter mit 12 Karl Lagerfeld einen Brief schrieb…
Das Fairy Tale Magazine gibt es übrigens im ausgewählten Zeitschriftenhandel – so zum Beispiel bei Do You Read Me? in Berlin.
Wr wünschen viel Spaß beim Lesen des Interviews!
PATRICK KELLY
Interview with Peter Kempe
FT: Obwohl es noch nicht sehr lange her ist, war das Ende der 1980er Jahre kompett unterschiedlich im Vergleich zu heute. Auch im Modebereich war es schwierig an Bild- oder Filmmaterial zu kommen. Modenschauen wirkten, im Gegensatz zu heute, eher privat und improvisiert.
Empfandest du diese Zeit als inspirativer, als noch nicht alle Bilder sofort verfügbar waren und sich viel in der eigenen Gedankenwelt abspielte (abspielen musste)?
Peter Kempe: 1982 kamen die ersten Kaufvideos in den Handel, damals für 5000 DM. Die Videos zeigten Zusammenschnitte der Prêt-à-porter-Schauen in Paris: Sie waren für Stylisten gedacht, um die Trends zu erkennen. Damals wurde dies als massive Bedrohung empfunden, denn in den Modenschauen saßen nur die Einkäufer und wenige ausgewählte Journalisten, wie z.B. von Vogue, Harpers Bazaar oder Elle. Es gab Presse-mappen mit Beschreibungen der Modelle und dazu drei oder vier Fotos. Japaner standen vor den Zelten und fragten einen, ob sie gegen Bezahlung in die Mappen schauen durften, um Eindrücke der Linie oder der Modelle zu bekommen. Es gab natürlich weder Internet, Blogs oder ähnliches. Die großen Modehäuser gaben nach einem ausgewählten System die Modelle für Produktionen nur an einige ausgewählte Magazine, die dann, wenn die Ware in der Saison in die Geschäfte kam, darüber berichteten und die Highlights aufzeigten. Für den Endverbraucher waren die Sachen dann, wenn sie in die Läden kamen, eine echte Überraschung. Vor allem wusste man natürlich auch nicht, was es in den nächsten Kollektionen gab. Es gab zwei Kollektionen pro Jahr, Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter, keine Zwischenprogramme, Croisière-Kollektionen, Vorprogramme etc.
Modenschauen waren mehr zur Information, weniger als Spektakel organisiert. Selbst die Löwenhäuser wie Chanel und Dior zeigten nach heutigen Maßstäben in einem winzigen Rahmen. Die meisten Modeschöpfer verkauften an Multi-brandstores. Eigene Filialen waren noch sehr unterrepräsentiert. Monostores waren eventuell in Paris, Mailand oder London vorhanden.
Die Zeit war viel innovativer, weil die Produkte weniger im Vordergrund standen als die eigenständige Silhouette und Linie des jeweiligen Modehauses. Es gab zwar schon kommerzielle Gedanken, aber im Grunde nur in winzigen Ansätzen. Qualität und Exklusivität standen im Vordergrund. Jeder Modeschöpfer hatte ein kleines fast geschlossenes Klientel. Wer Scherrer trug, der trug kein Dior. Wer Gaultier, Montana oder Mugler trug, der trug keine japanischen Designer.
Wer Japaner trug wie Miyake, Yamamoto oder Koshino, konnte mit europäischen Modeschöpfern wenig anfangen. Häuser wie Chanel produzierten erst ab 1977 Prêt-à-porter. Jüngere Labels wie z.B. Chloé waren gerade erst am aufstreben. Ende der siebziger Jahre hatte Yves Saint Laurent mit seiner Rive-Gauche-Kollektion den Löwenanteil bei den schicken Frauen. Die Objekte der Begierde zu dieser Zeit kamen meist aus seinen Kollektionen.
FT: In deinem Artikel schreibst du auch über Jean-Paul Gaultier. Ich kann mich erinnern, dass ich als Schüler der Oberstufe ein Paar schwarze Gaultier-Schuhe getragen habe.
Im Rückblick wirkt Gaultier jetzt fast klassisch. Wie hat man das damals in den 1980er Jahren empfunden?
PK: Jean-Paul Gaultier war Anfang der 1980er Jahre so etwas wie ein Enfant Terrible in Paris. Wobei seine Kollektionen rückwirkend nach bester Handwerkstradition gemacht waren und heute noch die Einzelteile völlig klassisch und wunderbar wirken. Seine Revolution bestand in der Art der Zusammenstellung, des Stylings und der Art der Vorführung.
Seine Models waren für damalige Begriffe total schräg. Keine Einladung ersehnte man so sehnsüchtig, wie die zu seinen Modenschauen.
Ich kann mich an eine Schau im Cirque d’hiver erinnern, bei der es fast zu Zusammenbrüchen von Fashion Victims vor den Eingängen kam, weil so viele hinein wollten.
Er hatte als erstes Transvestiten als Models und arbeitete mit dicken Frauen. Natürlich auch, dass er eine Männerkollektion machte, die stilistisch den Mädchen angeglichen war, war eine Sensation. Nicht nur sein Männerrock löste Modewellen aus, eigentlich war jede Kollektion ein besonderes Ereignis. Er ist bis heute ein Meister.
Seine Sachen sind super durchdacht, er macht immer noch Kollektionen nach Themen und er hat seinen völlig eigenen Stil.
Hatte man für eine Gaultier-Schau eine Einladung, dann kam das einem Ritterschlag gleich.
FT: Wie bist du in den Modebereich gekommen?
PK: Ich habe mich früh für Mode interessiert, weil meine Mutter aus der Branche kam und für Jaques Fath, Dior und Chanel schwärmte. Sie war eine supertreue Kundin von Sonia Rykiel und sie entsprach Ende der Sechziger Jahre, Anfang der siebziger genau dem Typus Frau von damals. Mit zwölf Jahren schrieb ich an Karl Lagerfeld und er schickte mir eine Einladung zur Chloé-Modenschau nach Paris. Da war es um mich geschehen – bis heute. Es gibt, glaube ich, nichts, was mich so fasziniert wie Haute Couture und der Pariser Modezirkus.
Mit der Zeit lernte ich natürlich immer mehr Leute kennen, die aus dieser Welt kamen. Mein Liebling ist bis heute Christian Lacroix.
FT: Christian Lacroix hatte 1987 seinen großen internationalen Durchbruch. Suzy Menkes sprach damals von einem “Erdbeben”. Lacroix war sehr schwärmerisch, opulent.
In Deutschland hatten wir zu der Zeit gerade die “Gegenbewegung” durch Jil Sander.
Wie wirkte Lacroix, der mehr oder weniger mit seiner Mode auch eine Art Märchenerzähler war, auf dich? Wie hast du diese Form der Mode erlebt?
PK: Die Premiere von Lacroix habe ich live in Paris miterlebt. Das Ding war, und das hatte selbst Christian nicht einkalkuliert, dass niemand ahnte, dass es so ein Trafalgar werden würde. Er war ja zwei Jahre bei Patou gewesen und hatte dort auch schon völlig andersartige Kollektionen gemacht als alle anderen damaligen Couturiers. Es gab keinen anderen, der historische Kostüme und fast theatrale Kreationen in die Jetztzeit transportierte. Damals gab es noch nicht so etwas wie einen Vintage Trend oder dass historische Themen in aktuelle Kollektionen aufgenommen wurden. Dann kam dazu, dass er der erste war, der ein Couture-Haus eröffnete (es war auch zunächst nur Couture vorgesehen), denn es herrschte genau die Gegenbewegung: die Couture galt als sterbend. Prêt-à-porter und fertige, eher in sportlichere Richtung gehende Kleidung galten als zukunftsweisend.
Man wollte das Rad lieber neu erfinden wie Claude Montana oder Thierry Mugler, die damals gerade ihre Hoch-Zeit hatten. In Deutschland wurde zu der Zeit erst das Bekenntnis zur Mode entdeckt.
Jil Sander kreierte so etwas wie den ersten emanzipierten Karrierefrauen-Look, ähnlich wie Donna Karan in New York oder Genny in Italien. Jil Sander blickte aber eher nach Mailand zu Armani und Co. Überhaupt galt die Mode aus Mailand als alltagstauglicher, sportlicher und selbstverständlicher. Paris galt in Deutschland immer als eher untragbar und entsprach auch mehr einem “Weibchenfrauenbild”, als einem emanzipierten, unabhängigen. Die Deutschen haben bis heute nicht verstanden, dass man durchaus “couturig” angezogen und trotzdem praktisch veranlagt sein kann.
Lacroix‘ Auffassung von Mode war nie kommerziell, er war immer ein Geschichtenerzähler und genau diese Auffassung macht Mode aus und nicht Klamottenbusiness. Neben Yves Saint Laurent ist er für mich der größte Couturier und ein Genie des 20. Jahrhunderts. Chanel sehe ich eher als Wegbereiterin der Prêt-à-porter, obwohl sie selbst als Couturière nie welche gemacht hat. Diese Komponente hat eher Karl Lagerfeld in das Haus Chanel gebracht.
FT: Lacroix hatte ein grauhaariges Model namens Marie, die nach meinem damaligen Verständnis nicht dem entsprach, was ich mir unter einem Model vorgestellt habe.
Heute kann ich die Entscheidung von Lacroix nachvollziehen. Marie entsprach, ähnlich wie Inès de la Fressange, einem “Typ”.
Heute wirken viele Models auf den Schauen austauschbar. Weder Namen noch Gesichter prägen sich ein. Wie empfandest bzw. empfindest du das Arbeiten mit Models, die ihren eigenen Charakter in die Arbeit einbringen?
PK: Marie war 30 Jahre alt, also nicht sehr alt. Sie hatte einfach nur von Natur aus graues Haar. Wenn Inès de la Fressange ein Outfit trug, dann wurde es automatisch zum Bestseller.
Heute, finde ich, kann man nur noch Stella Tennant oder Kate Moss in diese Riege einreihen. Die Mädchen, die so herausragten und -ragen, sind meistens aber auch Persönlichkeiten und rasant intelligent. Außerdem wurden Modenschauen früher nicht so gleichförmig präsentiert und die Mädchen latschten nicht so freudlos, wie heute. Mode bedeutete Vergnügen, Freude und Stolz, dass man sie vorführen durfte.
Jedes Model hatte einen eigenen Stil und eine eigene Aura. Dalma war eine Lady und hatte eine beeindruckende Grazie. Kartoucha und Khadija bei Saint Laurent wirkten wie Panterinnen, die den Dschungel in Couture-Roben erobern wollten.
Pat Cleveland, die Freundin von Patrick Kelly, wirbelte wie ein Korkenzieher tanzend über die Laufstege.
Außerdem waren die meisten Mädchen, auch wenn sie für mehrere liefen, meist enger an das jeweilige Modehaus gebunden. Für mich ist es ein unvorstellbarer “Einheitsbrei”, was heute für Mädchen über die Laufstege laufen.
Ich sehne mich nach mehr Persönlichkeiten.
FT: Lacroix oder Gaultier, auch Rykiel sind in ihren modischen Aussagen sehr französisch.
Wie ist das bei Kelly, gibt es für ihn eine Zuordnung?
PK: Patrick Kelly war ein Vertreter dessen, was man “Fun Couture” nannte, obwohl er ja Prêt-à-porter machte.
Er hat Mode so gesehen wie ein Kind oder wie ein Amerikaner Paris und die französische Mode sieht. Es wirkte wie eine einzige Hommage an die Spielerei und das nächtliche Paris.
Seine gestapelten Eiffeltürme oder Mona-Lisa T-Shirts waren Kult. Seine Spielzimmer-Couture war dabei aber durchaus tragbar und aus den klassischen Materialien der französischen Mode hergestellt.
FT: Die Titel seiner Kleidungsstücke klingen exotisch. Wie bezeichnend ist das für die Zeit?
PK: Eigentlich war das für die Zeit unkonventionell.
Man wollte ja moderner werden und Namen für Modelle zu vergeben, war eigentlich nur noch bei Dior und Lacroix üblich, wo die Modelle dann “Caramba” oder “Fanfare“ hießen. Es war eher Patricks Rückgriff auf die fünfziger Jahre, in denen Dior oder Jaques Fath prägend waren und Amerika eroberten.
Anfang der achtziger Jahre war die Blütezeit von Bob Marley und auch in der Mode waren karibische Einflüsse sehr beliebt. Patrick verwendete in seiner Arbeit auch gerne Bananen- oder Ananasmotive als Drucke.
FT: Schaut man sich die Bilder der Präsentationen von Kelly an, so merkt man, dass Spaß, Freude und auch Individualität für ihn sehr wichtig sind. Was denkst du, welche Botschaft hat Kelly mit seiner Arbeit verfolgt?
PK: Sicherlich die Botschaft, dass Mode – besonders hochwertige Mode – zu dem Zeitpunkt jünger und lustiger werden sollte und dass Kundinnen, die solche Mode kauften, jünger als die Couture-Kundinnen sein und auch einen “normalen Alltag” haben sollten. Er wendete sich nicht an Societyfrauen, sondern eher an deren Enkelinnen.
FT: Kelly war und ist (leider) einer der wenigen “schwarzen” Modedesigner. Findest du, dass sich das in seiner Arbeit in irgendeiner Form zeigt, war das ein Thema für ihn?
PK: Ich finde, dass dieser Aspekt in seiner Arbeit eher kein Thema war. Ausser in seinem Privatleben. Er sammelte die klassischen, von Weißen erdachten “Negerpuppen”. Ich fand ihn damals cool, aber auch irgendwie süß.
Man wollte aber eher mit ihm im Sandkasten spielen, als dass er erotisch gewirkt hätte. Auch seine Mode war nicht sexy, sondern eher fröhlich.
FT: Kelly wirkt auf seinen Bildern immer lustig und fröhlich. Gleichzeitig verkörpert dies auch das Klischee von einem immer fröhlichen “Schwarzen”.
Er nannte sich selbst einen “big happy clown”.
Hätte Kelly auch eine Chance in einem von “Weißen” dominierten “Business” gehabt, wenn er weniger fröhlich, eher ernst und verschlossen gewirkt hätte?
PK: Das kann ich nicht abschätzen. Auf jeden Fall hätte er in dem Fall ein eher intellektuelles Outfit gebraucht oder vielleicht ein seriöseres. Seine großen Latzhosen etc. hätten dazu nicht mehr gepasst.
Ich glaube, dass bei ihm Outfit und Modestil dann ganz anders ausgesehen hätten und vielleicht wäre er dann nicht so gut gewesen.
FT: Siehst du Parallelen zwischen Kelly und dem auch sehr früh verstorbenen Franco Moschino?
PK: Sicherlich verbindet beide der Humor und die Persiflage von Mode. Allerdings haben sie total unterschiedliche Wurzeln. Moschino war von Anfang an breiter und auch kommerzieller orientiert als Kelly. Kelly war und wäre auch auf die Dauer in einer totalen Nische geblieben. Ähnlich wie zu der Zeit Lolita Lempicka. Moschinos großes Vorbild war Chanel, aber in persiflierter Form. Auch das Fashion-System spielte bei Moschino eine große Rolle. Er wollte immer den Modeopfern den Spiegel vorhalten, um ihnen dann genau die Sachen zu verkaufen, die sie zu Modeopfern machten. Ich glaube, für Kelly spielte so etwas alles keine Rolle.
FT: Denkst du, Kelly hätte zur gleichen Zeit in einem anderen Land eine ähnliche Karriere machen können, oder war das nur in Frankreich möglich? Wie wäre seine Situation z.B. in den USA gewesen?
PK: In den USA hätte er damals und auch heute keine Chance gehabt. Obama wird heute noch, auch wenn die Amerikaner es nicht zugeben, von den Leuten nicht gewählt, weil er schwarz ist. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass sein Stil, der ja sehr auf der Sehnsucht nach dem europäischen bzw. französischen Stil beruhte, in Amerika funktioniert hätte.
FT: Ich sehe in Kelly modisch einen massiven Wegbereiter der frühen 1990er Jahre.
Viele Musikvideos, die wir aus dieser Zeit kennen, erinnern mich an die Silhouetten von Kelly.
PK: Zu der Zeit war die Ästethik, wie ich sie beschreiben würde, eher durch breite, etwas zweidimensionale Silhouetten geprägt.
Jean-Paul Goude ist ein gutes Beispiel für die Zeit mit seinen überdimensionalen Stufen und mit dem Blick auf Kasimir Malewitsch und die russischen Konstruktivisten. Überhaupt waren wir damals begeistert von einer gewissen Technik (die ja damals im Gegensatz zu heute noch in den Kinderschuhen steckte). Ich weiß noch wie die Figuren, die Goude für das Bicentenaire von Frankreich schuf, in allen Modekollektionen der damaligen Zeit auftauchten.
“Curiosity killed the cat” machten damals Videos, die ich mir heute noch gern anschaue.
FT: War Kelly so etwas wie ein früher “Hip-Hop”- Designer?
PK: Mag man fast annehmen aufgrund der übergroßen Latzhosen. Auf jeden Fall war er der Wegbereiter dafür, dass Sportswear auch in die gehobene Prêt–à-porter-Welt einzog. Man sah seiner Mode auf jeden Fall an, dass sie eher von der Straße in die Salons gelangte als andersherum. Das war, glaube ich, sein Erfolgsrezept. Selbstverständlich und mit großem Lachen sollte man seine Mode tragen.
FT: Obwohl es heute eine Fülle von Bildern und einen schnellen Zugriff auf alles gibt, sind Kelly wie auch Moschino, heute weitgehend aus dem “allgemeinen Gedächtnis” verschwunden.
Werden die Designer aus der “Vor-Internetzeit” vergessen, weil sie zeitlich durchs Raster fallen?
PK: Es gibt mittlerweile wenigstens ein bisschen was im Internet. Aber viele Sachen sind nicht aufbewahrt oder noch nicht digitalisiert worden. Wenn man aus der Zeit Designer wie Anne Marie Beretta, Dorothee Bis oder auch die Italiener wie Callaghan oder Krizia sucht: alles Fehlanzeige. Wenn ich mal viel Zeit habe, werde ich meine ganzen Archive digitalisieren – dann gibt es dazu mehr Informationen. Die aktuelle Helmut Newton Ausstellung in Paris hat die Anfragen bei mir, über diese Zeit Auskunft zu geben, drastisch verstärkt.
Ich glaube, das kommt jetzt wieder.
FT: Kelly war, wie auch Gaultier in dieser Zeit, sehr experimentell. Das Publikum hat das damals dankbar aufgenommen. Es gab meiner Meinung nach in den 1980er-Jahren einen “Hunger nach Mode”, wie es in der Kunst auch einen “Hunger nach Bildern” gab.
Denkt man auch an Montana oder Mugler zu dieser Zeit, so scheint es, der Phantasie der Kreateure waren nach oben keine Grenzen gesetzt.
Wie sieht das heute aus, welchen Stellenwert hat heute Phantasie und Kreation in der Mode?
PK: Weniger Stellenwert. Das liegt aber auch daran, dass in den achtziger Jahren die Designer und auch deren Firmen fast alle eigenständig waren oder zumindest nur in Kleinstgruppen zusammen gefasst waren. Es gab keine Blöcke wie LVMH oder Pinault.
Es gab keine riesigen Marketingabteilungen, die ganze Konzerne und ihre Untermarken gleichschalteten. Montana machte Montana-Stil.
Mugler machte seinen Stil und Valentino sah wie Valentino aus. Auch gab es außer Karl Lagerfeld bei Chanel keinen Designer, der nicht auch unter seinem eigenen Namen Kollektionen machte. Es war nicht wie heute, dass alle zwei Jahre eine völlig neue Person auftauchte und die Kollektionen für ein Modehaus machte.
Es ging um das Statement und nicht um Shareholder Values. Die ganzen Modehäuser sind heute wie Banken, sie sollen nur Gewinn abwerfen und nicht mehr stilprägende Kollektionen machen.
Die Ballets Russes- oder die China-Kollektion wäre heute bei Yves Saint Laurent nicht mehr möglich. Und Montanas Freischützfrauen und Mechanikerinnen würden wegen Unwirtschaftlichkeit sofort gestrichen werden.
FT: Lacroix musste 2009 sein Haute Couture-Haus schließen und auch andere Designer der 1980er-Jahre (z.B. Montana) sind verschwunden. Wie wäre es Kelly die letzten 20 Jahre ergangen?
PK: Er wäre immer in einer Nische geblieben oder er wäre von LVMH oder Pinault gekauft worden, wenn er Glück gehabt hätte und wahrscheinlich zu einer Marke gleichgeschaltet worden. Vielleicht hätte er sich aber auch in eine ganz andere Richtung entwickelt. Man kann es schlecht sagen, aber sicherlich hätten seine Sachen immer noch ’nen Megahumor.
FT: Glaubst du, Dinge aus der Vergangenheit haben eine Relevanz für die Zukunft?
Gibt es so etwas wie “Zeitschlaufen” und jetzt ist wieder die Zeit, um sich mit den Arbeiten von Designern wie Patrick Kelly zu befassen?
PK: Die Zeit ist superreif für solche Designer wie Kelly! Zeitschlaufen gibt es auf jeden Fall. Schaut man sich die Chanel-Kollektionen an, sieht man es schon: Karl bringt die ganzen Themen, die er in den achtziger Jahren hatte, jetzt in veränderter Form wieder.
Die Winterkollektion erinnerte an Walter-Albini-Pullover und Hosen von Montana aus dieser Zeit. Außerdem glaube ich, dass die frühen italienischen Labels wie Coveri, Krizia, Genny etc. auf eine Wiederentdeckung warten. Man sollte sich immer mit historischen Dingen beschäftigen, denn nur aus der Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart entsteht die Zukunft.
FT: In deinem Artikel schreibst du, Patrick Kelly war ein “Sonnenschein”. Ist es das, was wir heute wieder brauchen?
PK: Ja. Wir brauchen mehr kreativen Optimismus und Spaß an der Mode. Vielleicht indem man bestimmte Dinge wieder zurückdreht. Es gibt zu viele Kollektionen im Jahr und überhaupt auf der Welt. Zwei würden reichen und weniger Ausverkäufe. Würde die Informationsflut nur um die Hälfte zurückgeschraubt, würde das die Mode wieder interessanter machen. Ich finde, Hermes geht da mit einem guten Beispiel voran. Sie werden in der Presse nur noch die Hälfte ihrer Taschen zeigen und zu den Modenschauen werden nur ein paar wenige Journalisten und Freunde des Hauses eingeladen. Wir brauchen Sonnenscheine in der Mode, solche wie Patrick Kelly oder Christian Lacroix, denn Mode bedeutet Lachen und seinen Traum zu leben.
Siegmar
16. Juli 2012 at 11:02tolles Interview, aber bei Peter nicht anders zu erwarten, es hat mir auch noch mal diese Zeit vor Augen geführt, wo es um Mode ging und nicht alleine um das Geld verdienen damit.
Renate
16. Juli 2012 at 11:12Du verschönerst mir jeden Regentag lieber Peter 🙂
thomasH
16. Juli 2012 at 16:23klug – klüger – kempe.
ein lebensstudium an wissen – und er vermittelt es leicht und voller freude.
jürgen
16. Juli 2012 at 22:13ich bin begeistert!
Horst
17. Juli 2012 at 01:01Ich bin wirklich sehr begeistert!!! toller Einblick in die leider schon fast in Vergessenheit geratene zeit…
FT
18. Juli 2012 at 01:53WOW!