Ein Kommentar von Martin Labisch
Virgil Abloh ist ein Star. Damit müssen Kritiker sich abfinden. Zu seiner zweiten Show für Louis Vuitton, “Sliding, Backwards, Slowly” betitelt, kam die Einladung in Form eines weißen, mit Straßsteinen besetzten Handschuhs als direkter Querverweis auf die Inspiration der Kollektion: Michael Jackson. Die allgemeine Befürchtung, es würde eine Kollektion folgen, die nach „Streetwear à la Virgil trifft Michael Jacksons Garderobe“ aussieht, wurde zum Glück nicht erfüllt. Die zahlreichen Referenzen an den größten Showman der letzten Jahrzehnte lassen vor allem deutlich werden, dass Louis Vuittons Artistic Director im Stile von Jackson die bestmögliche Show abliefern möchte. Das machen Stars von diesem Kaliber nun mal. So sah es dann aus:
Das gelungene Setting von den Graffiti Artists Jim Joe, Lewy BTM and Futura versetzt den Zuschauer in die Straßen New Yorks, in denen Jacksons „Billie Jean“-Video spielt. Dev Hynes aka Blood Orange hat den Original Soundtrack “You Know What’s Good” erst am Tag vor der Show geschrieben und hat gemeinsam mit dem Sänger Mikey Freedom, Hart am Bass und Jason Arce am Saxophon und an der Flöte eine überzeugende, die Präsentation der Kleidung positiv musikalisch begleitende Live-Performance abgeliefert, bis die eher unwürdige, die Show abschließende Interpretation des MJ Klassikers „Wanna be Startin Something“ als kleiner Minuspunkt verzeichnet werden muss.
Ein kulturell – zumindest für die Zielgruppe U25 – ikonisches Bild lieferte Virgil direkt zu Beginn der Show: Der New Yorker Rapper und „Mo Bamba“-Interpret Sheck Wes läuft vorneweg. Jugendkultur 2019 an der Spitze einer Vuitton Show. Wird die anvisierte Zielgruppe folgen?
Die monochromen Looks der Show sind wirklich cool und könnten zu einem der Trends des nächsten Herbstes avancieren. Doch irgendwie hat man jedes Teil schon gesehen. Innovationen sucht man in den von Virgil gerne bei Raf Simons abgeschauten Schnitten vergebens. Das Atelier Louis Vuittons macht aus Ablohs quer in der gesamten Modewelt geklauten Ideen, ähm, ich meine das Atelier macht aus Ablohs zeitgenössischen Vorstellungen der männlichen Silhouette natürlich durchweg Tailoring auf allerhöchstem Niveau, das auch sonst gewöhnlichen Teile hervorragend aussehen lassen.
Man kann die Kollektion als Weiterentwicklung der ersten, zur Zeit in die Boutiquen kommende Kollektion sehen und es funktioniert auch. Der Louis Vuitton Mann sieht nächsten Herbst erwachsener aus als in den „Wizard of Oz“ inspirierten Teilen, nach denen ab jetzt auf den Straßen Ausschau gehalten werden darf. Schafft es Abloh mehr als nur Accessoires zu verkaufen? Bringt er LV Textilien trotz des hohen Price Points auch an den Mann oder kreiert er nur das Image, das seine Follower die kleinen, eventuell noch bezahlbaren Lederwaren begehren lässt? In Japan werden die ersten Virgil x Vuitton Accessoires jedenfalls direkt zu höheren Resell-Preisen in den einschlägigen Second Hand Boutiquen angeboten.
Die Accessoires bleiben weiterhin etwas kitschig. Nach den Gliederketten im Kunststoff-Look der Frühjahr/Sommer Kollektion 2019 folgen nun bunt leuchtende Keepalls, damit der gut betuchte Louis Vuitton Kunde auch im Dunkeln direkt erkannt werden kann. Der Showeffekt ist natürlich sehr schön, spricht allerdings vermutlich eher die Philipp Plein Zielgruppe an, lassen mich insgesamt aus irgendeinem Grund auch an Jeff Koons denken: Kitsch eben.
Wenn Virgil versucht, den gelungenen monochromen Outfits der Kollektion eine weitere Facette hinzuzufügen, nämlich Farbe, wird es trashig. Ein sonderlich gutes Gespür für deren Einsatz hat er noch nicht. Vor allem die Silhouetten mit Flaggen diverser Nationen sind furchtbar. Die Idee wird doch schon alle zwei bis vier Jahre zu jeder Fußball-EM, WM und zu Olympia von sämtlichen Brands durchgekaut. Hier sollen sie aber zeigen: „We are the World“. Michael Jacksons Songtext ist in Printform auch auf einem Shirt wiederzufinden. Passenderweise gab es in den äußerst lesenswerten Shownotizen, auf diese komme ich noch zu sprechen, eine Weltkarte, auf der die Herkunftsstädte der für “Sliding, Backwards, Slowly” gelaufenen Models und derer Eltern eingetragen sind. Eine sehr schöne Geste und ein Bekenntnis zur Diversität, welche in der Modewelt bedauerlicherweise oft zu kurz kommt.
Zurück zum Wesentlichen. Geht es um Virgil, wird man eben oft vom eigentlichen Thema abgelenkt, was der Mode aber auch eine so wünschenswerte zusätzliche Ebene verleihen oder eben über Schwächen hinwegtäuschen kann. Was jeweils auf eine Kollektion zutrifft, muss jeder für sich selbst entscheiden, was das Thema Mode ja erst so großartig macht: Es gibt kein Ideal, es gibt viele Ideale. Darüber zu schreiben kann nur als Entscheidungshilfe für Unentschlossene dienen. Von einem Ideal möchte Virgil jedoch abweichen: “I want to get my young audience out of the sneaker world.” Und er hat Recht. Die Zielgruppe scheint Sneaker so allmählich satt zu haben. Folgt ein neuer Bruch in der Mode? Weg von der Streetwear? Virgil hat Loafers und Brogues auf den Laufsteg geschickt. Und immer noch, wenn auch unter den weiten Säumen der Hosen versteckt, uninspirierte Kopien von Sneaker-Ikonen. Muss nicht sein.
Was beim Thema Abloh sauer aufstößt, ist seine neuerliche Verweigerung von Interviews über seine Mode. Ganz nach einem seiner großen Vorbilder – Martin Margiela – will er seine Kleidung für sich sprechen lassen. Und die umfangreichen, bereits erwähnten Shownotizen.
In diesen schreibt er selbst, dass seine erste Kollektion für LV im Stile ihrer Inspiration „Wizard of Oz“ von der Pubertät handelte und nun also die Weiterentwicklung dessen folgte. Im Stile Michael Jacksons geschieht Virgils Coming of Age vor unser aller Augen, während er im Inneren weiterhin Kind bleiben möchte. Wie sein Vorbild Michael Jackson eben. Ganz schön eingebildeter Vergleich, den Abloh da aufzustellen versucht. Dazu passt auch die Veröffentlichung seines eigenen Vokabulars:
Er möchte seine eigene Geschichte schreiben, sein neues Vokabular für die Mode regelrecht manifestieren. Eigentlich wollte ich erst schreiben, dass diese tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema Mode Virgil sympathisch macht, finde ihn nach der Durchschau seines Design-Alphabets allerdings nur noch hochnäsiger und abgehobener als zuvor. Seine Vokabeln sind Manifest und Ausrede zugleich. Vor allem die 3% Regel gleich zu Beginn wirkt wie eine Beleidigung für kreativ Schaffende eines jeden Handwerks. Insgeheim wünsche ich mir, dass Virgil Abloh einfach aufhört.
Es bleibt jedoch sehr tragbare und gute Kleidung übrig. Ich würde einiges aus dieser Kollektion tragen und muss zugestehen, dass es vielleicht die Beste aller für Herbst/Winter 2019 gezeigten Herrenmodenschauen war. Virgil bringt mich dazu, mir selbst zu widersprechen. Andere Labels schauen mittlerweile auf Virgil und reagieren. Nur die Avantgardisten der Branche sind schon einen Schritt weiter. Doch der größte Popstar der Mode ist tonangebend. Und das ist Virgil aktuell, ihr Star. Louis Vuitton ist sein Merchandise.
fred
23. Januar 2019 at 13:34@Martin Labisch
Toll geschrieben. Danke!
Ich habe die Show nicht live gesehen: ich kenne nur die Bilder. Zu den Sneakern. Jeder, wirklich jeder, der über 25 ist und sich etwas damit befasst, trägt seit Jahren keine Sneaker mehr. Er hat das nicht erfunden und bringt das auch nicht als Novum in die Mode ein. Es liegt einfach in der Luft. Seit Jahren. Und die Notizen. Da gebe ich recht. Es ist hochnäsig und affig. Vielleicht denkt er, er wäre Sol Lewitt. Na ja, er macht Mäntel für LV. das sollte man nicht unter-, aber auch nicht überbewerten. Toller Artikel. Nochmal danke!
Søren
23. Januar 2019 at 16:34„Jeder, wirklich jeder, der über 25 ist und sich etwas damit befasst, trägt seit Jahren keine Sneaker mehr.“
Haha, ich bin 31 und trage so gut wie immer Sneaker.
So weit ich das beurteilen kann, geht es dem gesamten Horston-Team ähnlich.
Ich finde bei Virgil Abloh nur problematisch, dass er wahnsinnig viel kopiert ohne die „Inspiration“ zu benennen.
Gerade bei OffWhite ist kaum eigene Kreativität (mehr) zu erkennen.
Das bislang gezeigte bei LV gefällt mir aber ziemlich gut.
fred
23. Januar 2019 at 18:46@SØREN
31 und noch Sneaker? Wohnst Du im Osten?
Obwohl mit 31 ist man noch so jung, das sieht noch alles gut aus. Aber ab 40 ist dann endgültig Schluss.
Ab 60/65 ist das dann wieder ok.
Ansonsten gebe ich dir völlig recht. OffWhite halte ich auch nicht für besonders toll. Auch das mit dem
kopieren stimmt.
fred
23. Januar 2019 at 19:40@SØREN
Der Osten war als Scherz gemeint. Es steht ja auch jedem frei, zu tragen, was er mag und worin er sich gut fühlt. Mit meiner bemerkung wollte ich lediglich sagen, dass nicht Abloh den Niedergang der Sneaker ausruft, sondern dass es einfach eine zeitliche Gegebenheit ist und es seit einiger zeit einfach sinnvolle Alternativen zum Sneaker gibt. Aber wie gesagt, jeder natürlich, wie er mag.
Manfred
23. Januar 2019 at 20:01Danke für den durchdachten Beitrag.
Ich hab mir vorhin die Preise der SS Kollektion angeschaut. Ich glaube dass ist alles nur Marketing um Speedys zu verkaufen. 😉
vk
24. Januar 2019 at 14:34@Martin Labisch
toll geschriben. rund recherchiert. grosses vernuegen! herzlichen dank fuer den beitrag.
bin in allen punkten mit dabei, nur meist auf der gegenueberliegenden seite: die farben sind toll (flaggen zaehlen nicht), anziehen wuerde ich von alldem nie etwas, die 3% regel und das ganze ABC ist doch wunderbar. ja, gerne sol lewitt oder beuys oder merzbau-schwitters! genau das braucht es. mit heiligem ernst abstruseste gebaeude zu errichten. ich habe dafuer sehr viel uebrig.
Stephanberlin
24. Januar 2019 at 19:27Mir kommt es so vor, als soll die doch recht banale Mode irgendwie bedeutungsschwer aufgeladen werden und das find ich ziemlich kitschig. Ich hatte zu Marc Jacobs Zeiten ein paar Koffer und Taschen von LV, hab aber alles verkauft, weil ich mir doof vorkam, wenn ich mich am Flughafen in einer Scheibe mit dem Teil gespiegelt sah!