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Zu Besuch im … Espace Louis Vuitton München

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Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Grüß Gott & Servus – Ich habe erstmals München unsicher gemacht und dabei den Espace Louis Vuitton besuchen dürfen: Anlässlich des neuartigen Residency- und Open Studio Programms IN SITU-1, wurden drei international renommierte Künstlerinnen nach München, Paris und Tokio eingeladen, um vor Ort ihren kreativen Ideen nachgehen zu können. Simryn Gill, bildende Künstlerin mit Fokus auf Fotografie und den Einsatz von gefundenen Gegenständen, hat hierfür zwischen September und November ihr Atelier in den Münchener Espace des Traditionshauses verlegt …
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„let them eat potatoes“, Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Interessierten Besuchern bot Gill dabei die Möglichkeit, ihren kreativen Schaffensprozess von der weißen Leinwand, der „carte blanche“, bis hin zur abschließenden Ausstellung mitzuverfolgen. Apropos, die Künstlerin – 1959 in Singapur geboren – lebt und arbeitet hauptsächlich in Australien sowie Malaysia. Europaweiten Anklang fand sie vor allem durch ihre Einzelausstellung „Here art grows on trees“ im Rahmen der 55. Biennale in Venedig, ihre Beiträge auf der documenta 12 und 13 (Kassel) und ausgestellte Werke im Tate Modern (London). In den Staaten wurden ihre Arbeit schon in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, die Liste der Museen ist dabei nicht zu verachten: Vom Guggenheim, Getty Center bis hin zum MoMA, Gills Name gehört sich definitiv gemerkt. Ihre Arbeiten beschäftigen sich oftmals mit Ort und Herkunft, einer Reflexion erlebter Erfahrungen.
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Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Kunst? Liegt mir am Herzen! Nicht erst seitdem ich im Museum Wache stand und haptisch erprobten Besuchern auf die Finger schaute. Aufmerksamen Lesern wird bekannt sein, dass ich am Rockzipfel einer äußerst kunstaffinen Mutter hing: Ich wurde zu gefühlt jeder Ausstellung mitgeschleppt, der weitläufige Louvre galt damals als maximales Schreckgespenst meiner Vorstellungen. Mehrere Stunden ruhig durch die Räume flanieren und keinesfalls daneben benehmen? Schwer vorstellbar für Freigeister und Halbwüchsige. Ich habe mir damals genau zwei Dinge gewünscht: Sitzmöglichkeiten, die nicht von Rentnergruppen belagert werden und ansprechende Kunst. Diese sollte idealerweise mehr offerieren, als reines „an der Wand hängen“. Mittlerweile hat sich diese kindliche Kunstauffassung rausgewachsen.
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„Domino Theory“, Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Fast, denn meine Leidenschaft für außergewöhnliche Kunst, die nicht nur „an der Wand hängt“ und ihr berühmtes Dasein fristet, besteht bis heute. Simryn Gill hat im Espace Louis Vuitton auf verschiedenen Ebenen ihre Arbeiten entwickelt und präsentiert sie alles andere als angepasst: Im Erdgeschoss des Ausstellungsraumes wird man von mehreren großformatigen Vitrinen empfangen, die von der belgischen Architektin Hilde Daem entworfen worden sind. Ich fühle mich an archäologische Museen erinnert, die ich schon immer spannend gefunden habe. Statt prähistorischer Seltenheiten werden hier jedoch Fundstücke aus Port Dickson in Malaysia ausgestellt und bilden eine großformatige Installation. Korallen, Steine, Tonscherben und Ziegel wurden in beachtlicher Feinarbeit und entsprechend ihrer Form und Farbe sortiert.
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„Domino Theory“, Simryn Gill; Bilder: Courtesy of Louis Vuitton

Die Vitrine mit verschiedenen Würfeln, geformt aus Termitenerde, hat es mir dabei ganz besonders angetan. Eine Funktionstrennung der einzelnen Gegenstände beansprucht mein persönliches Bild von Ordnung und ertappt mich dabei, herausfinden zu wollen, nach welchen (System-)Kategorien die Künstlerin gearbeitet hat? Wie lässt sich der serielle Charakter der Installation interpretieren? Steht die Interpretationsebene überhaupt im Vordergrund? Vielleicht lassen sich anhand des Arbeitstitels Erklärungsansätze finden: „Domino Theory“, gleichzeitig der Titel der gesamten Ausstellung, bezieht sich auf einen gleichnamigen Begriff der U.S. Regierung während des Kalten Krieges. Nun gut, statt etwaiger Antworten stehe ich vor einem größeren Rätsel.
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„let them eat potatoes“, Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Ich entscheide mich an dieser Stelle für das weltweite Netz und bedauere einmal mehr, dass ich im Geschichtsunterricht nicht immer aufmerksam zugehört habe. Also, Wissensauffrischung: Der Begriff sagte damals vorher, dass ein Domino-Effekt folgen würde, alsbald einer der Staaten in Südostasien unter den Einfluss des Kommunismus geriete. Die umliegenden Länder würden auf diese Weise ebenfalls vom Kommunismus geprägt werden.
Klingt einleuchtend. Spitzfindig wie ich bin, habe ich zusätzlich den Rat eines anwesenden Guides eingeholt. Dieser verwies auf eine mögliche Anknüpfung daran, die zunehmende Ausbreitung einer Kultur des Konsums und Kapitals. Ebenfalls ein Domino-Effekt, könnte passen. Ich bin fasziniert, schleiche ununterbrochen um die Vitrinen herum und suche nach Anhaltspunkten. Vergeblich. Was bleibt, ist meine eigene Vorstellungskraft und die, mehr als gelungene, Umsetzung von Simryn Gill.
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Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Im Obergeschoss der Ausstellungsräume erwarten mich zwei Druckserien mit dem Arbeitstitel „Let them eat potatoes“. Marie Antoinette, hello! Wobei, hieß es bei ihr nicht „Let them eat cake“? Bei Gill spielt jedoch die Kartoffel eine entscheidende Rolle, wohl eher 40 unterschiedliche Kartoffelsorten. Sie trug die Erdäpfel auf lokalen Märkten zusammen und nutzte sie anschließend hier, in ihrem temporären Atelier im Obergeschoss der Espace, als Hauptbestandteil einer außergewöhnlichen Studie: Verschiedene „Portraits“ von einzelnen Kartoffel- und Studienblätter, ausgeführt mit einem Dutzend Schreibtinten aus dem Hause Louis Vuitton. Auf zwei Papiersorten untersuchte sie dabei Farbe, Form und Papierqualität. Diese Studie diente zusätzlich als Vorbereitung für großformatige Drucke mit Tinte, ich bin begeistert von der einzigartigen Farbkraft.
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„let them eat potatoes“, Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Den letzten Abschnitt des Projekts bildet „Channel“, eine Fotografie-Serie, die an der Küste von Gills Heimat Port Dickson aufgenommen wurde. Im Fokus stehen dabei grüne Mangrovenwälder, die in verschiedenen Bildausschnitten durch farbige Akzentuierungen verstärkt werden. Farbige Akzente? Bevor ich in langatmigen Worthülsen versinke, berichte ich lieber vom ungeschönten Hintergrund der Aufnahmen und lasse die Fotografien für sich selbst sprechen: Die malaysische Küstenstadt Port Dickson liegt an der Straße von Malakka, einer Meerenge, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer der meistbefahrensten Wasserstraßen der Welt entwickelt hat. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung lässt sich zum einen an rund 2.000 durchfahrenden Schiffen pro Tag (wohlgemerkt, pro Tag!) messen, zum anderen an der zunehmenden Umweltzerstörung durch Abgase, Exkremente und Müll.
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Simryn Gill; Bild: Courtesy of Louis Vuitton

Simryn Gill gilt meiner Meinung nach als perfekte Wahl für das Residency- und Open Studio Programm des französischen Traditionshauses. Sie ist ihrer „carte blanche“ auf ungewöhnliche Weise entgegen getreten und hat dabei ein polarisierendes Werk erschaffen. Zurück in Hamburg, studiere ich Zeile für Zeile das beiliegende Pressematerial. Die Schriftstellerin Katja Eichinger fasst in ihrem ergänzenden Essay „Das weiße Rauschen“ die Idee der weißen Leinwand mehr als treffend zusammen: „Weißer Boden, weiße Decke, weißes Licht und zu beiden Seiten eine endlose Flucht weißer Türen. Hinter jeder Tür, so stelle ich mir vor, wartet eine schöne neue Welt. Jede Tür birgt ein Abenteuer, das ich erleben könnte, wenn ich mich doch nur für eine entscheiden würde. Aber anstatt mich zu entscheiden – ich könnte ja möglicherweise eine noch schönere oder aufregendere Welt verpassen –, gehe ich ewig weiter. Und erreiche niemals irgendein Ziel.“

Ihr wollt euch persönlich von der Zusammenarbeit überzeugen oder misstraut meiner subjektiven Annäherung? Auf in den Espace Louis Vuitton München, bis zum 18. Januar 2015 kann man sich ein eigenes Bild von Gills erster Solo-Show in Deutschland machen. Ich freue mich über zahlreiche Erfahrungsberichte und ganz nebenbei, der Eintritt ist frei!

Espace Louis Vuitton München
Maximilianstraße 2a
80539 München
Öffnungszeiten: Montag – Freitag, 12 – 19 Uhr
Samstag, 10 – 18 Uhr

  • Siegmar
    3. Dezember 2014 at 15:27

    wunderbarer Beitrag über eine bemerkenswerte Künstlerin, die Zusammenarbeit von Künstlern und LV ist immer wieder spannend und gelungen.

  • thomash
    4. Dezember 2014 at 17:13

    super interessant und neugierig machend. und schön, dass ein bisschen geld aus dem lv-geldspeicher in etwas schönes und wertvolles wie kunst fließt.

  • “Le fil rouge” – der rote Faden im Espace Louis Vuitton | Horstson
    2. Februar 2015 at 10:09

    […] “No Such Thing As History: Four Collections and One Artist” und jüngst “IN SITU-1” feierte dort nun “Le fil rouge” seine Premiere. Tracey Emin; Foto: Courtesy of […]