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Was für eine Flasche!

Ich erinnere mich noch gut an einen Nachmittag im Quartier 206 in Berlin als ich nach einem Geschenk in der Parfumabteilung suchte. Ich stand vor einem klaren Kristallflakon, wunderschön hergerichtet und um die 1000 Euro teuer. Ich fragte wie denn der hohe Preis zu Stande käme. Die Antwort war so simpel wie absurd. Es lag nicht etwa nur am Kristall. Es lag daran, dass das Öffnungsgeräusch sowie das Geräusch beim Schließen der Flasche exakt dem Klacken einer Rolls Royce oder Bentleytür nachempfunden war (ich weiß es einfach nicht mehr genau vielleicht war es auch ein Maybach). Und ich dachte damals das wäre teuer.
Der Flakon um den es jetzt aber geht, ist ganze 7,9 Millionen Euro wert und macht nicht einmal Geräusche. Dafür ist er fast 100 Jahre alt und befand sich bis vor kurzem noch bei Yves Saint Laurent. Er trägt den wunderschön klingenden Namen „Belle Haleine“ und stand nun für genau 72 Stunden bis einschließlich 0.00 Uhr am 30.1.2011 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Aber was ist daran jetzt eigentlich so außergewöhnlich?

Es ist nicht einfach ein Parfum um das es hier geht. Es ist Kunst. Und zwar dadaistisch/surrealistische Konzeptkunst des Künstlers Marcel Duchamp. Dieser erfand um 1910 die sogenannten Readymades. Industriell gefertigte Objekte, die nur durch den Künstler zum Kunstobjekt ernannt wurden. Am bekanntesten ist wohl „Fountain“ aus dem Jahr 1917. Ein umgedrehtes Urinal, ebenfalls von Duchamp.
„Belle Haleine“ sticht aus der Reihe erschaffener Readymades von Duchamp hervor. Es ist nicht nur das letzte erhaltene Readymade, sondern zeitgleich auch das einzige „Assisted Readymade“. Das bedeutet, dass er zwar auch in diesem Fall etwas industriell gefertigtes verwendete (der Flakon stammt von der französischen Firma Rigaud), es wurde jedoch von ihm modifiziert.
Die kleine Glasflasche sieht von nahem aus wie ein alter, aber immer noch hübscher Parfumflakon. Auf dem Etikett sieht man eine Dame mit Schlapphut aus den zwanziger Jahren. Das glaubt man zumindest. Diese Dame ist nämlich Marcel Duchamp selbst. Fotografiert als sein alter Ego „Rrose Sélavy“ (wenn das mal kein Wortspiel ist) von niemand geringerem als Man Ray (den kann jetzt jeder einmal selber googlen, sonst sprengt das den Rahmen). Deshalb also assisted. Das macht es schon zu etwas Besonderem. Zudem befand sich der Flakon bisher (nachdem Duchamp ihn ursprünglich seiner Geliebten Yvonne Cratti schenkte) in diversen Privatbesitzen. Zuletzt eben von Yves Saint Laurent. Im Zuge der großen Versteigerung nach seinem Ableben wurde der Flakon für überraschende 7,9 Millionen Euro an einen privaten Sammler versteigert. Die Nationalgalerie schaffte es aber den Sammler davon zu überzeugen den Flakon für 72 Stunden zu verleihen und stellte ihn in der großen Eingangshalle aus.
Eine Premiere also. Die auch nach einer besonderen Präsentation verlangt. Die riesigen Glasfronten des Baus von Mies van der Rohe waren schwarz abgehangen und der Flakon thronte in einer hohen Glasvitrine in der Mitte der Eingangshalle. Einige verglichen die Wirkung mit der Nofretete im Neuen Museum. Ganz so spektakulär war es jetzt nicht. Dennoch ein Erlebnis, da von der Flasche eine wahnsinnige Faszination ausgeht. Wohl auch deshalb, weil der Gedanke, dass ein Künstler einen einfachen Gegenstand zur Kunst ernennt und so einen Mythos um einen Gegenstand erzeugen kann schwer nachvollziehbar ist. Und vor allem so ein Preis. Ich habe mich außerdem gefragt: Zu welchem Anlass hat Pierre Yves (oder umgekehrt) so einen Flakon geschenkt? Wahrscheinlich hatte Pierre einfach schon alle Sondereditionen von Opium.

Bilder: privat; Marcel Duchamp als Rrose Selavy, 1921 via www.artscenecal.com

  • siegmarberlin
    1. Februar 2011 at 16:36

    @ jan who

    wirklich toller Artikel, da die “ neue Nationalgalerie “ für mich eines der schönsten Gebäude in Berlin ist. Man Ray´s Fotos sind alle wegweisend für die Moderne. Es gibt ein wunderbares Foto von 1920 das heißt “ Marcel Duchamp with Large Glass “ würde ich gerne besitzen, der Preis wird ähnlich des Flacons sein.

  • Daisydora
    1. Februar 2011 at 17:23

    @jan who

    So jung und schon soooo gut …. schöööner Artikel!

    Danke, Jan! 🙂

  • Jan Who
    1. Februar 2011 at 21:56

    Vielen Dank euch 🙂