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Über Mode nachdenken

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Der Versuch einer Selbstreflektion einer schreibenden Modeverrückten.
Sie war da schon mitten in ihrem Modestudium, als meine älteste Schwester unvermittelt mit beigem Burberry Trench und Hermès Foulard mit Schnepfen und Fasanen drauf, von einem maisgelbem Passepartout umrahmt, in der Tür stand, meiner Mutter und mir mit diesem „Modebild“ ein riesengroßes Fragezeichen ins Gesicht zauberte. Auf ihre Frage, „wie findet ihr meine neuen Sachen“, ich weiß das noch, als wäre es gestern gewesen, antwortete meine Mutter mit dem diplomatischen „sehr klassisch“ und ich stammelte ein „wirklich überraschend“ hinterdrein.

Aber in Wirklichkeit war dieser temporäre 180° Schwenk, den der Modegeschmack meiner Schwester da augenscheinlich vollzogen hatte, nicht zu verstehen. Auch wenn wir für Woodstock viel zu spät dran waren, gab es da überhaupt keinen Zweifel daran, dass wir uns wie Neo-Hippies, politische Revoluzzer oder Neo-Existenzialisten und anschließend an alle modischen Kinderkrankheiten, der stilbewußten Mutter zuliebe, wie Menschen mit halbwegs sicherem Geschmack und Hang zu modischem Raffinement kleiden würden.

Nun ist das aus heutiger Sicht bestimmt kein unverzeihlicher Mode-Fauxpas, als gerade mal Zwanzigjährige in beigem Trench mit Hermès-Carree durch die Tür zu kommen, aber langweilig ist es allemal. Oder gehe ich mir da schon wieder selbst auf den Leim?

Pathologischer Stil-Dogmatismus wurde zwar meines Wissens nicht als anerkannte Geisteskrankheit in die gerade erschienene 5. Ausgabe des DSM* aufgenommen, aber es fühlt sich manchmal trotzdem so an, wenn eigene oder fremde allzu reflexhafte Reaktionen auf abweichende Modeansichten und modische Gleichgültigkeit auftreten. An dieser Stelle darf ich ausnahmsweise so vermessen sein, zu schreiben, Karl Lagerfeld und ich. Wir sind vermutlich von derselben „Kritikerkrankheit“ befallen.

Der modische Preisrichter will einfach immer die Wertungstafel mit der Note für den „Modischen Gesamteindruck“ hochheben, so bald jemand von seinem Recht Gebrauch macht, sich dem beharrlich zu widersetzen, was man angeblich so nicht trägt oder gar tunlichst vermeiden sollte, um … und so weiter.

Ihr habt ja in Peters wunderbarem Bericht „Jersey ist das neue Jogging – oder wie man die Kontrolle über sein Leben wieder bekommt …“ gelesen, was Karl Lagerfeld allen Trägern von Jogginghosen hat ausrichten lassen: “Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.”

Ist das wirklich so?

Diese wahlweise weltbewegende oder stilentscheidende Frage sollte eigentlich gleich hier „aufgelöst“ werden, der Bericht war fertig, fragt Horst, ich habe mich aber dazu entschlossen, das lieber in „Die MarkenmacherInnen“ zu packen, weil der Text auf die Veränderungen bei den Luxusmarken eingeht, die sich an den Wünschen und Motiven der traditionellen und neuen Käufer dieser Mode orientieren müssen. Das ist sachlicher, als Lagerfelds PR-trächtige Statements zu zerpflücken.

Überdies bin ich so noch so beschäftigt damit, meine eigenen Modesünden, -Neurosen und Fehlkäufe aufzuarbeiten …. Fest steht, man verrennt sich manchmal, wenn es um Mode geht, erst recht um das, was man selbst gut tragen kann … und es wird einem nicht in Bausch und Bogen geschenkt, zu wissen, was von all den Statements, Stilregeln und Modediktaten zumindest in Spuren einen Sinn ergibt.
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Pleats Please; Issey Miyake

Warum meide ich alles das nach Preppy-Style aussieht und die „Farbe“ Weiß, warum sind mir Polos ein Greuel, seit ich mich in zwei frühzeitlichen Teilen von Lacoste (Weiß und Dunkelrot-Weiß gestreift), schon direkt nach dem Kauf nicht leiden mochte? Im Falle des Weißen Pleats Please Ensembles, das als einer meiner größten Fehlkäufe bei mir hängen geblieben ist, weiß ich spät aber doch Bescheid: Weiß steht nicht jedem, mir jedenfalls überhaupt nicht. Und die plissierte Ausgabe (in Weiß) von Issey Miyake finde ich nur an Japanerinnen und einem Frauentyp wie Tilda Swinton gut.
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Birkin Bag; Hermès

Schlimm finde ich auch, mich hier als Luxushandtaschen-Phobikerin outen zu müssen, allerdings bin ich da schon auf einem guten Weg. Grund ist einzig und alleine meine fixe Idee, dass man damit irgendwie alt und tantig aussehen könnte. Dabei hätte mir die Birkin Bag in Jeans Blue schon wegen der Farbe und der silberfarbenen Beschläge exzellent gefallen. Unüberbrückbare Differenzen trennen hingegen diese typischen Handtaschen von Chanel mit Goldkette und mich lebenslang. Gold mag ich nicht und es steht mir auch nicht und in manchen Straßenzügen, die ich regelmäßig begehe, trägt gefühlt jede zweite Frau so eine Tasche. Das sind doch alles sehr gute Gründe, oder? Vermutlich bin ich damit auch nicht alleine, jedenfalls gibt es Chanel nun schon lange auch mit Silber und ohne diese Ketten-Henkel dran …
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Big Pony Polo von Ralph Lauren

Mittlerweile ergebe ich mich sehr gelassen der Tatsache, dass ich bei weitem nicht immer – noch nicht mal überwiegend – recht hatte, mit dem, was ich mir oder anderen modisch ersparen wollte. Wenn Menschen (Männer) ihre geliebten Ralph Lauren Polos in 33 Farben im Schrank haben und am liebsten zu Jeans und karamellfarbenen Schnürschuhen tragen, bitte sehr. Warum nicht in farbigem Jersey-Piqué schwelgen und über Ton-in-Ton Kompositionen in Tinten- und Preussischblau nicht nachdenken …
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Preppy Style von J.Crew

Manche Ansichten kommen und gehen wie Kinderkrankheiten. Mittlerweile sehe ich sogar ein, dass es Frauen und Männer gibt, die in Preppy-Style-Klamotten bis hin zu den Loafers an den Füßen richtig gut aussehen … Das kann also modisch gesehen alles am Ende noch ganz gut ausgehen, mit mir und meiner Kritikerkrankheit in eigener und fremder Sache. Ich arbeite dran und kann mir ansonsten nur zugutehalten, dass man mich privat dazu zwingen muss, meine Meinung zu Outfits, die ich nicht auf Anhieb verstehe, auch tatsächlich wahrheitsgetreu wiederzugeben. So wichtig ist das nun auch wieder nicht, wer, was, warum trägt oder niemals tragen würde …

Wie seht ihr das mit der Modekritik, liebe LeserInnen?

Wir sind hier ja fataler weise auf einem Modeblog zugange und da kann ich mich ja nicht immer aus der Affäre ziehen und muss manchmal Farbe bekennen und Modemeinung machen!

Trotzdem: Man kann auch mal ein Auge zudrücken, wenn stiltechnisch was nicht ganz rund läuft und muss akzeptieren, dass der weitaus überwiegende Teil der Weltbevölkerung an Mode schlichtweg nicht interessiert ist … oder andere Probleme hat!

Man kann aber auch weiter an allem Kritik üben … am Ende ist auch der totale Modewahnsinn irgendwie normal, oder?

*https://de.wikipedia.org/wiki/DSM-5 DSM5: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders