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Social Responsibility oder Lip Service?

Märkte sind Menschen. Und diese Menschen sind alle irgendwie gleich, wenn es ums Einkaufen geht. Wir machen große Augen, um die schönsten Stücke zum besten Preis zu erspähen und verschließen dieselben vor der Realität – Denn: Irgendwer in der Kette kommt immer zu kurz. So viel steht fest, wir sind es nicht. Darum kümmern sich die Textilhandelsketten, die nur erfolgreich sind, wenn sie uns bei Laune halten. Auch mit absurden Preisen. Die so niedrig sind, dass jedem Laien schon an der Kasse klar ist, da musste jemand draufzahlen, damit wir so billig einkaufen konnten, wofür wir ohne Mühe einen fairen Preis zahlen könnten. Aber das wiederum will die Textilhandelskette nicht, deren Gewinn auch deshalb so hoch ist, weil es Teil der Strategie ist, Textilien billig zu verkaufen, die eigentlich mehr kosten müssten, wenn es gerecht zuginge. Und gerecht wäre es dann, wenn auch die Menschen ihren Teil davon abbekommen würden, die das billige Kleidungsstück oft unter widrigsten Bedingungen herstellen.

Rücksichtsvollerweise dort, wo wir das produktive Elend nicht mit ansehen müssen. Nur manchmal denken wir daran. Zum Beispiel dann, wenn Gawker.com meldet, dass bei The GAP mit der Feed USA Bag, einer Charity Tasche, etwas gründlich schief gelaufen ist. Die trägt den Aufdruck Made in USA, wird aber laut Etikett in China produziert. Das liefert uns dann Gründe, uns ein wenig künstlich aufzuregen. Aber worüber eigentlich? Der Zweck ist gut! Heiligt er aber dieses Mittel, die Taschen in China herstellen zu lassen? Ja, und Nein! Einerseits ist nichts dagegen einzuwenden, in einem ehemaligen Schwellenland bei günstigeren Lohnstückkosten produzieren zu lassen. Andererseits müsste dann aber auch gewährleistet sein, dass die Arbeitsbedingungen und Löhne der Chinesen in den Fabriken denen von Textilarbeitern in den USA oder sonst wo in der westlichen Hemisphäre entsprechen – und das tun sie sehr oft nicht. Naturgemäß haben alle Textilketten längst große Social Responsibility Programme und Abteilungen implementiert und kommunizieren sehr gerne darüber, wie wichtig dem Unternehmen Nachhaltigkeit ist und wie viel Wert man auf den Faktor Mensch allüberall legt. Das hat was, oder besser, das hätte etwas. Denn de Facto sichert man sich mit Verträgen und Codizes dagegen ab, dass Skandale an den wertvollen Markennamen hängenbleiben können. Lieferanten und vor- oder nachgelagerte Subauftragnehmer werden zur Abgabe von dahingehenden Garantien gezwungen. Andernfalls würde man sie nicht mehr beauftragen. Dass sich die Auftragnehmer dann in der Regel selbst kontrollieren oder die Textilkette nicht bis ins letzte Glied darüber informiert ist, wie die oft auf Jahre festgeschriebenen Fantasiepreise zustande kommen, ist nur einer der Schönheitsfehler, die da noch dringend zu beheben wären. Denn, wirklich wichtig ist den Entscheidern bei The GAP, H&M und Co. doch nur, wie wir Verbraucher uns fühlen, wenn wir aus dem Vollen schöpfen können. Welche Preiserwartungen wir haben. Woher wir unsere „Preisvorstellungen“ haben, erklärt H&M damit, dass es eben der gelernte Preis sei. Einer dieser gelernten Preise sind 4,95 Euro für das einfache T-Shirt, das nunmehr sogar in der ZEIT gelandet ist. Das ist natürlich gar nicht schön, was da zu lesen steht. Aber eigentlich auch nicht neu. Für mich nur ein Reminder. Wenn H&M die Preise so kalkuliert, denkt der ungeschulte Verbraucher, dann wir dabei schon alles mit rechten Dingen zugehen, oder? Nach der Lektüre weiß man mehr und könnte richtig darauf reagieren. Tut es aber oft nicht. Weil die Konzerne immer stärker sind. Dort gibt es nicht zweimal im Jahr Berge neuer Ware, es gibt fast täglich was Neues. Die Läden sind immer dort, wo Jedermann vorbei muss. Hennes & Mauritz erwirtschaftet fünfundzwanzig Prozent seines weltweiten Umsatz in Deutschland. Möge jeder für sich beurteilen, ob das noch gesund ist, was wir alle in unseren Schränken rumfliegen haben. Es gibt ja nicht nur das T-Shirt für 4,95 Euro, das politisch korrekte Modeblogger nun sicher nicht mehr empfehlen oder kaufen werden. Einfach alles, das dort hängt, wird von Menschen hergestellt, deren Löhne gerade dafür reichen, nicht zu verhungern. Und das wissen wir ganz genau. Nicht erst seit gerade eben. Das Einzige, das dagegen hilft, ist nicht länger wie verrückt zu kaufen, so bald dort was Neues an den Stangen hängt. Sich ab und zu daran zu erinnern, das Alles, was wir tun, mit Allem in der Welt zusammenhängt. Dass wir mit dem, was wir konsumieren auch Verantwortung für den Produktionsprozess übernehmen. Ich freue mich immer noch über gute Models und hübsch fotografierte Plakate bei H&M, kaufe aber erst mal gar nichts mehr dort (schon seit drei Jahren), weil mit der Laden langsam unheimlich ist. Ich mag es nicht, wenn irgendwo auf der Welt Menschen schlechter als meine Landsleute behandelt werden, die das herstellen, was ich kaufe, Ich mag es auch nicht, dass viele Modeblogs in Deutschland langsam wie Sektengurus auf jeden neuen Gürtel bei H&M hinweisen und damit das Geschäft der Textilkette promoten. Und es ist mir ohnehin viel lieber, Dinge zu kaufen, die wertiger sind und nicht nach kurzer Zeit zu Modesondermüll werden … und auch davon kaufe ich nur so viel oder wenig, wie ich wirklich brauche oder mir eben was wirklich Schönes, das mich dann Jahre begleitet, gönnen will. Aber schön zu erfahren, dass Modeblogger nun die ZEIT für sich entdeckt haben. Wenn das mal nicht haarscharf in die richtige Richtung geht ….. mehr Wissen, weniger religiöse Verehrung von Textilketten und hoffentlich bald mal weniger Lippenbekenntnisse!

  • Rene Schaller
    27. Dezember 2010 at 09:39

    Ich erinnere mich an einen Arte Themenabend, da ging es auch um Herstellungsmethoden und ‚Mode‘ die mit dutzenden Schadstoffen belastet ist. Arte beschrieb nicht nur das Elend, sie zeigten es sogar. Das geisterte genauso umher, viele schrieben darüber und regten sich auf. Dann war wieder Ruhe und alles wie vorher, das ‚Goldene Kalb‘ wurde wieder masslos angebetet.
    Leider wird es sich nicht anders mit dem Zeit-Artikel verhalten. Er wurde bei den meisten doch nur benutzt und die sonstigen Posts ein bisschen intellektuell aufzupolieren. Sobald H&M die nächste Rundmail schickt ist das wieder vergessen und alle pilgern in die nächste Filiale.

  • Daisydora
    27. Dezember 2010 at 10:32

    @Johann

    Alles kann nur dann peu à peu besser werden, wenn man sich erst mal bei jedem Stück dafür interessiert, unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde …. und die völlig durchgeknallten Kaufräusche, die Textilhandelsketten auch mit Hilfe der Handlangerschaft von Modeblogs bei ihren Kunden auslösen, bedingen auf jeden Fall unmenschlichere Produktionsbedingungen, weil da ja das Geld bei H&M ins Marketing bzw. die Kommunikation wandert. Sprich: Hauptsache es gibt weiterhin luxuriöse Kaffeefahrten für sogenannte Pressevertreter nach New York, ist ja viel wichtiger, PR-Multiplikatoren zu verzücken, als die Leute anständig zu bezahlen, die alles herstellen …

    @René

    Schon richtig, es geht um das Goldene Kalb. Und man fühlt sich eben bedeutend, weil man für ein Lifestylemagazin oder einen Modeblog schreibt und regelmäßig jeden Pups von H&M aktiv mitgeteilt bekommt. Das mit dem intellektuell aufpolieren hat bei mir jedenfalls nicht geklappt; ich musste innerlich Schmunzeln, als mir die Zeit zumindest per Erwähnung bei Dandy Diary und LesMads begegnete …. so weit, einen ganzen Bericht mit mehreren Sätzen, sprich Gedanken, zum Thema zu schreiben, wollte man dort aber nicht gleich gehen … 🙂

  • beautydelicious
    27. Dezember 2010 at 14:00

    Diese Problem kann man aber nicht nur den großen Textilhandelsketten anlasten, die sehr günstige Mode anbieten. Auch Designer und hochwertige Outdoor-Hersteller lassen unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen herstellen. Hier ein guter Artikel zu dem Thema:
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,705681,00.html
    Egal ob günstig oder teuer, man muß eigentlich immer nachfragen, wie produziert wird, wenn man mit gutem Gewissen einkaufen möchte.

  • Daisydora
    27. Dezember 2010 at 21:53

    @beautydelicious

    Danke für den Link, ich kannte den Artikel und selbstverständlich würde das zu kurz greifen, nur bei den großen Textilketten Vorsicht walten zu lassen …. man sollte einfach öfter bei seinen Quellen nachfragen und nicht aufhören damit, Druck auf die Hersteller zu machen. Das kann ja nicht normal sein und so bleiben, dass diese unhaltbaren Zustände Normalität sein sollen…