(Bild: Courtesy of Jacquemus Paris; PR)
Es gibt sie noch, die Sternstunden der Mode. Diese besonderen Kollektionen, die man früher „Trafalgars“ nannte und in denen die Kreationen gezeigt werden, die mehr als eine Saison gelten. Meist leiten sie eine neue Ära ein oder stehen als Symbol für eine Trendwende.
Solche Kollektionen schreiben oft Modegeschichte und man spürt intuitiv, dass es sich nicht nur um Kleidung dreht, sondern um den Ausdruck einer Zeitgeistwende. So einen Moment gab es auch bei den letzten Prêt-à-porter-Schauen im letzten Oktober, als die Frühjahr/Sommer-Kollektionen 2017 gezeigt wurden, die jetzt in den Handel kommen: „Les Santons de Provence“ des französischen Labels Jacquemus.
Der Mann der Stunde heißt Simon Porte Jacquemus. Er wird im Januar 27 Jahre alt und ist 1990 in Salon-de-Provence im tiefen Süden Frankreichs geboren. Ein Geheimtipp ist Jacquemus in einer transparenten Welt nicht mehr, aber es lohnt sich, bei ihm ganz genau hinzuschauen und seine Geschichte zu erzählen. Jacquemus verkörpert einen jungen Designertyp, der völlig bodenständig ist und der es trotzdem schafft, genau das Raffinement in seine Kreationen zu legen, das den Geist und die Quintessenz dessen beschreibt, was den Geist und das Besondere der traditionellen französischen Mode ausmacht. Seine Inspirationen wirken für mich wie ein Fest, das dem von Marketing gesteuerten derzeitigen Fashionsystem spielerisch beweist, dass intelligente, höchst moderne und dem jetzigen Zeitgeist entsprechende Mode mit urfranzösischen, handwerklichen, klassischen Hintergrund möglich ist.
Simon Porte Jacquemus liefert Kollektionen ab, die nicht für den Massenmarkt geeignet sind; er bekennt sich zur eigenen Handschrift und gestattet sich Themen, die immer den Reiz der Mode ausmachten und seine Welt verkörpern. Dabei scheint alles unbeschwert und sonnenklar. Der Franzose schöpft aus dem, was seine Wurzeln sind und greift hemmungslos auf das zurück, was ihn reizt, in neuen Kontext zu stellen.
Seine Maxime stellt Jacquemus bei Instagram als Wahlspruch da: „Ich heiße Simon, liebe Weiß und Blau; Streifen, Früchte, Marseille und die Achtziger Jahre.“ Seine Lieblingsjahrzehnte sind neben den Achtziger Jahren das Ende der Sechziger. Wenn man 1990 geboren ist und dort auf Entdeckungsreise geht, es aber nicht erlebt hat und mit seiner Kreativität arbeitet, kommen – zumindest in seinem Fall – frappierend gute Sachen heraus. Dabei ist er niemand, der die Vergangenheit verklärt: „Ich bin wirklich jemand, der in die heutige Zeit passt, meine Mode auch, sie soll tragbar, bezahlbar und von heute sein. Ich liebe die Musik aus den Achtziger Jahren – auch für meine Schauen.“ Und so läuft während der Schauen alles, was Jacquemus bewundert – von „Ca plane pour moi“ von Plastic Bertrand bis hin zu Filmmusiken aus der Zeit.
Jacquemus‘ Weg ging nicht von Anfang an steil bergauf. Mit 18 Jahren ging er nach Paris um Modedesign zu studieren, brach das Studium aber nach drei Monaten ab, weil seine Mutter starb. Nicht zu warten, auf das, was er machen wollte, wurde ihm dadurch bewusst und so startete er als Autodidakt, ähnlich wie Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld. Was einem fast als naiv erscheint, ist bis heute Jacquemus Erfolgsrezept.
Zur VOGUE Fashion Night Out 2010 schickt Jacquemus Freundinnen in von ihm entworfenen Teilen in die Fashion Crowd der überbordenden Avenue Montaigne und spricht Fotografen und Interessierte direkt an. Carine Roitfeld, damals noch bei der französischen VOGUE, wird auf ihn aufmerksam. Im zweiten Jahr gibt es dann schon so etwas, was man „Kollektion“ nennen kann und nicht nur noch aus Einzelteilen besteht.
Bis heute rekrutiert Simon Porte Jacquemus seine Models häufig über Facebook und Instagram, denn sein Ausgangspunkt für jede Saison ist eine Frau oder Frauentyp, der ihn fasziniert. Natürlich meist französische Frauen wie die Stilikone Caroline de Maigret oder auch die französische Schauspielerin Isabelle Adjani. Überhaupt, wenn man ihn fragt, welche Elemente und Einflüsse ihn bewegen, ist die Antwort meist „very French Chic“. Schaut man sich den Clip zu seiner Kollektion „Sport 90“ an, ist man sofort in der Welt von „La Boum“ mit Sophie Marceau und in der Disco „Le Palace“, während die Musik aus dem Film „Acht Frauen“ stammt.
Seine 2014 vor weißen Blusen strotzenden Teile erklärt er mit: „Ich glaube, es sind Filme, die mich am stärksten beeinflussen. ‚L’été meurtrier‘, ‚Ein mörderischer Sommer‘ besonders, ein französischer Film aus den 80er-Jahren, der in Südfrankreich gedreht wurde. Er hat alle Elemente, die ich liebe: etwas Verrücktes, Isabelle Adjani, etwas Übertriebenes, Klassisches und einfach eine perfekte Ästhetik.“
Schon der Winter 2016 spielt mit Dekonstruktion und der verbreiterten Schultersilhouette, die fast zweidimensional wirkt und an Montana, Mugler oder Angelo Tarlazzi erinnert. Ähnlich wie bei Vetements etwas, das aktuell viele junge Designer wieder ins Spiel zu bringen wollen, was aber schwer in die jetzige, wesentlich lässiger gewordene Zeit umzusetzen ist. Simon Porte Jacquemus gelingt es trotzdem, Weichheit hineinzubringen und schafft damit eine zeitgemässe, neue Silhouette. 2016 hat er dann seinen wirklichen Durchbruch und beliefert immerhin 90 Geschäfte weltweit, darunter Opening Ceremony in New York, Colette und The Broken Arm in Paris, Gago in Aix-en-Provence und Dover Street Market in London und Tokio. Für ihn der Punkt, darüber nachzudenken, dass er ein Unternehmen führt, das im Fashion Business klein und verletzlich ist, aber auch schon professionelle Kollektionen mit hohem Risiko erfordert.
Spring/Summer 2017; Bilder: Courtesy of Jacquemus Paris; PR
Dann im Oktober der Geniestreich für den Sommer 2017. „Les Santons de Provence“ knüpft eng an seine Wurzeln und stellt als Quelle die traditionellen Trachten der Frauen seiner Heimat in den Fokus. Doch Jacquemus schafft es, Romantik in einer völlig neuartigen puren Stringenz zu interpretieren, die nichts mit Kostümhistorie zu tun hat. Mir kommt sofort – und nicht nur weil Christian Lacroix aus Arles stammt – die Assoziation „so müsste Lacroix 2017 sein“ in den Sinn.
Spring/Summer 2017; Bilder: Courtesy of Jacquemus Paris; PR
Seine weiten Hosen, die Blusen mit weiten Keulen-Ärmeln im Stil von Gianfranco Ferré bei Dior, die braunen Gaultier Nadelstreifenblazer der Achtziger und die Bloomer Suits entzünden ein Feuerwerk der Ideen, die weit abseits liegen von allem, was im Moment gezeigt wird. Alle Models tragen die flachen Strohhüte seiner Heimat, dazu Schuhe mit klobigen Absätzen und grafische Taschen. Die Show war klassisch romantisch, fast wehmütig, wie eine Couture Schau aus der Vergangenheit. Er will moderne Frauen zum Träumen bringen, ohne sie einzuengen oder zu verkleiden.
Spring/Summer 2017; Bilder: Courtesy of Jacquemus Paris; PR
Die Kombinationen, wie übergroße Polka-Dot-Bluse mit schwarzer Hose und breitem roten Kummerbundgürtel lassen mich schmunzeln, weil genau die Torero-Ensembles Christian Lacroix bei Jean Patou Anfang der Achtziger die gesamte Couture auf den Kopf stellen ließen. Simon Laporte Jacquemus macht mit viel Feingefühl Anspielungen, lässt aber etwas völlig Neues daraus entstehen.
Sein weißes, pures Baumwollkleid mit Spitzen gehört wohl in seiner Reinheit und Raffinesse zu den schönsten Kleidern, die man in den letzten Saisons gesehen hat. Jeder Look wirkt wohldurchdacht und Jacquemus sagt, dass er das erste Mal in einem wirklich durchgehenden Kollektionsgedanken gearbeitet hat. Obwohl mit Grandezza an Couture erinnernden Schnitten und Silhouetten bleibt, schafft er es, die Bodenhaftung nicht zu verlieren und eine neue Tragbarkeit zu transportieren. Jacquemus ist keine Uniform, aber wer will auch schon das hundertste gleiche Teil im Kleiderschrank haben?
Spring/Summer 2017; Bilder: Courtesy of Jacquemus Paris; PR
Simon Porte Jacquemus ist ein wahrhafter und wahnsinnig sympathischer Könner, von dem wir sicherlich noch sehr schöne Kollektionen zu erwarten haben und der sicherlich einen nicht immer einfachen, aber sehr eigenständigen und besonderen Weg gehen wird. Dass er auch Kommerz kann, hat er 2015 mit seiner Capsule Kollektion für das Versandhaus „La Redoute“ gezeigt, aber ich hoffe, dass er seine Möglichkeiten weiter so vielfältig erprobt wie bisher. Denn Simon Porte Jacquemus hat das Potenzial, einer der wirklich Großen zu werden. Man kann nur hoffen, dass er sich und seinen Inspirationen treu bleibt und nicht als Designer für ein großes Label entdeckt und verheizt wird. Simon Porte Jacquemus bildet für mich eines der größten Ausnahmetalente in der Mode; modern mit Visionen, die tief verwurzelt in dem sind, was der französischen Mode ihren weltweiten Ruf eingebracht hat.
Spring/Summer 2017; Bilder: Courtesy of Jacquemus Paris; PR
„Les Santons de Provence“ lässt einen schon jetzt auf den Sommer freuen. Warum der Sommer in Südfrankreich so anders ist, zeigt Simon Porte Jacquemus auf seinem Instagramprofil – dann weiß man auch, warum er die Sonne im Herzen hat.
Siegmar
9. Januar 2017 at 14:36Toller Artikel, sehr tolle Entwürfe und sehr modern. Wirklich ein Talent auf dem Weg nach ganz oben.
René
9. Januar 2017 at 17:52Schöner Beitrag, kannte das Label nicht. Erinnert mich an Escada.
Elke Kempe
10. Januar 2017 at 10:50Schöner Beitrag, die Sachen erinnern ein wenig an Montana.
Die Woche auf Horstson – KW 02/2017 | Horstson
15. Januar 2017 at 15:46[…] Peter konnte man am Montag ganz viel über das zur Zeit wohl angenagteste Frauenlabel – Jacquemus – […]