Am Samstag wurde im Rahmen des Hamburger Filmfestes eine Dokumentation gezeigt, die es auf dem Fernsehsender N3 am 30.Oktober um 24.00 Uhr geben wird. Nicht gerade ein Prime-Time Sendeplatz, aber ich würde alles tun, um an dem Tag wach zu bleiben und diese Sendung zu sehen. Wach bleiben kann ich nur jedem Mode-Interessierten auch raten, denn was dann kommt, ist eine wahre Sternstunde.
Der Regisseur Oliver Schwabe hat die 60 minütige Dokumentation, die der NDR produzierte, der Frau gewidmet, die wie keine andere das modische Empfinden und das Wissen über Mode vermittelt hat: Antonia Hilke. Ihr wird er mehr als gerecht – auf eine subtile und faszinierende Weise.
Mit ihren Sendungen „Neues vom Rond Point“ und später „Neues vom Kleidermarkt“ hat sie den Muff aus deutschen Kleiderschränken seit 1958 versucht zu vertreiben – zunächst durch fast schon wissenschaftliche Einblicke in die Pariser Haute Couture und ab den 60er Jahren auch dem Prêt-à-Porter und immer mit dem Blickwinkel, Mode als Kultur und Genuss zu vermitteln.
Keine Sendung gab es, die jemals vergleichbar war und geschweige denn heute gibt es etwas, was dem auch nur Nahe kommt. Karl Lagerfeld berichtet begeistert von ihrer Seriosität und der Kultur Redakteur der Vogue, Bernd Skupin, erklärt in dieser sensationellen Doku genau, worin das Phänomen Antonia Hilke lag.
Sie war eigentlich eine scheue Frau, von unheimlich gutem Niveau, der sich Tor und Tür durch ihre Art und der Qualität ihrer Berichterstattung öffneten. Eigentlich war sie Illustratorin und konnte die Trends und Linien direkt für den Zuschauer umsetzten – ihre Zeichnungen sind legendär. Ich dachte als Kind, dass alle Modezeichnungen auf der Welt einen kleinen Hund im selben Outfit, ihrem Markenzeichen der Zeichnungen, hätten.
Ab 1958 berichtete die 1922 in Berlin geborene, in Hamburg lebende Antonia Hilke von den Defilees im Frühjahr und Herbst in Paris. Am Tag schaute sie sich die Modenschauen in den Häusern an, die teilweise damals dreieinhalb Stunden dauerten, und Abends wurde im Studio vor weißen Hintergrund (womit sie ein Essential der Modeproduktion erfand) dann die Key-Looks mit Models gefilmt. Getanzt oder inszeniert – zum Beispiel mit den Kessler Zwillingen oder Mädchen, die sich bewegen konnten. Dazu zeichnete sie die Tendenzen und erklärte fast wie eine Zoologin inwieweit sich die Silhouetten veränderten.
Später kam das Prêt-à-Porter auf und sie leistete echte Überzeugungsarbeit, dass das Fernsehen Zutritt zu den Schauen bekam. Angst vor Kopisten und das negative Image des Fernsehens konnte sie durch kontinuierliche Verlässlichkeit und ihr ruhige, sachliche Art widerlegen. Außerdem hielt sie, heute kaum vorstellbar, immer ein, dass die Aufnahmen erst ein halbes Jahr später in der laufenden Saison gezeigt wurden. Neben den Defilees und Tendenzen brachte sie das Ganze in einen wirtschaftlichen und kulturellen Kontext. Deutschland war über Jahrzehnte der größte Textil-Exporteur der Welt und Frau Hilke versuchte immer wieder dem Phänomen auf die Spur zu kommen, warum die Deutschen Mode nicht ernst nahmen (bis heute ein Stiefkind) und versuchte dem Ganzen einen höheren Stellenwert zu verpassen.
Die Dokumentation zeigt nicht nur die Entwicklung der Mode und den Fortschritt der Berichterstattung von Antonia Hilke, sondern auch wie sehr der Zeitgeist eine Rolle spielte und wie vorausschauend diese Sendung war. Absolute Höhepunkte, wie der Besuch in Yves Saint Laurents Wohnung 1971, in der die schüchterne aufgeregte Moderatorin auf den ebenso zurückhaltenden Saint Laurent, sitzend auf Schafen von François-Xavier Lalanne trifft, gehört ebenso zu den absoluten Highlights wie die Verfolgung des Tagesablaufs des jungen Designers Kenzo vom Aufstehen über das Duschen bis zur Arbeit an der neuen Kollektion.
Alles wirkt fast familiär und diese Nähe wäre heute überhaupt nicht mehr vorstellbar, weil keinem Medium mehr vertraut wird (mit gutem Grund!). Karl Lagerfeld gibt bekannt, dass „Stoffe-entwerfen“ seine Sonntags-Beschäftigung ist und zeigt seine erste Herrenkollektion in seiner Art Deco Wohnung an seinen Pariser Männer-Freunden Jacques de Bascher, Gilles Dufour, Antonio und François Marie Banier. Die Modewelt bekam bei dieser, eigentlich distanzierten, Frau eine ungeheure Nähe und das intime Dabei sein – auch eine ihrer großen Gaben.
Bei Frau Hilke wirken durch ihre absolute Sachlichkeit der Anspruch und das Niveau für diese Mode, die für die Zuschauer meist unbezahlbar war und zu der Zeit ja auch für die meisten Menschen gar nicht zu bekommen war (die Kollektionen gab es in Deutschland meist nur in drei bis vier Geschäften und außer Saint Laurent hatte ja keiner eigene Läden) völlig greifbar und normal. Es war einfach klar, dass man sich an dieser Qualität und den Tendenzen orientierte.
Ich weiß, dass wenn eine Sendung gelaufen war, meine Mutter am nächsten Tag zu einer Freundin sagte, dass man dieses und jenes jetzt brauchte, weil das bei Antonia Hilke gezeigt wurde. Sie brachte Paris und die Mode von Sonia Rykiel, Dorothee Bis, Anne Marie Beretta und Ungaro in die Wohnzimmer und in die Läden, denn der gesamte deutsche Textilhandel saß ja auch vor dem Fernseher.
Das Aufkommen der Japaner Kenzo, Issey Miyake, Rai Kawakubo, Kansai und Yoshi Yamamoto wurde genauso von Anfang an von ihr begleitet, wie Castelbajac, Montana und Thierry Mugler. Ihre Favoriten Montana, Saint Laurent und Karl Lagerfeld (anfangs mit Chloé, später mit Chanel) nahmen große Strecken in den Endsiebzigern und Anfang der 80er Jahre ein.
Bei den Zeitzeugen und Weggefährten wird schnell klar, welch Kompetenz Antonia Hilke hatte – vielleicht kann man sie am ehesten mit einer deutschen Suzy Menkes, auf eine ganz andere Weise, aber von der Qualität her, vergleichen.
1990 mit 68 Jahren hörte sie auf – ohne großes Brimborium einfach mit einer letzten Sendung, dann gab es „Neues vom Kleidermarkt“ nicht mehr. Und nicht nur das – es gab nie wieder eine richtige Modesendung, schon gar nicht von der Qualität. Das absolute Mirakel ist, das alle Menschen die ich kenne, die diese Sendungen regelmäßig gesehen haben, unheimlich davon geprägt sind und nachhaltig beeinflusst.
Ihre Sprache, ihre Tonalität haben uns bis heute beeinflusst, wie auch überhaupt zwei ganze Generationen die Abläufe von Modekollektionen, Vorbereitungen und Hintergründe der Mode von ihr gelernt haben und geprägt worden sind.
Heerscharen von Designern und Moderedakteuren haben ihren Beruf ergriffen weil sie durch Antonia Hilke begeistert wurden. Kam einmal im halben Jahr die Sendung am Samstagnachmittag, wurde unser Wohnzimmer wie ein Atomkraftwerk abgeschottet – alles war mucksmäuschenstill um ja kein Detail zu verpassen. An Information war schwer zu kommen und so haben auch aufgrund der Sendezeit viele Kinder vor dem Bildschirm gesessen und wurden nachhaltig geprägt. Viktor und Rolf, Dries van Noten und viele andere geben das immer wieder als ihr Schlüsselerlebnis an.
Eines ist mir am Samstagnachmittag wieder klar geworden: ohne Antonia Hilke hätte ich mich nie für Mode interessiert und sie brachte nicht nur die Mode und aktuellen Trends in die Wohnzimmer, sondern auch Stil und vor allem Paris und das Prêt-à-Porter. Eigentlich ist sie bis heute diejenige, die am stärksten das Bild der Modeberichterstattung geprägt hat und das auf grandiosem Niveau.
Wenn man sich die fabelhafte Dokumentation anschaut und die Zeitzeugen aber auch die jüngeren Kommentatoren, die erst später diese Reportagen entdeckten, hört, kommt man schnell hinter das Faszinosum dieser Sendungen und dieser Frau. Genau so eine Sternstunde wie die „Neues vom Kleidermarkt“ Folgen ist auch die Doku – also unbedingt an gucken!!
Da es leider nur sehr wenige Bilder zu Frau Hilke gibt, zeigen wir als Hommage an sie Bilder aus einer Kollektion die sie sehr sehr mochte, von einem Mann, den sie ungeheuer verehrte – Yves Saint Laurents Rive Gauche Kollektion Frühjahr 1983, der ein langes Kapitel in ihrer Sendung gewidmet war. Hier photographiert von Helmut Newton.
Auf der einen Seite ist es schade, dass es eine Sendung wie diese nicht mehr gibt, zur Zeit als es kein Internet, keine Modebücher, noch nicht einmal die deutsche Vogue gab, bildete sie einen Leuchtturm von ungeheurer Strahlkraft. Aber vielleicht könnte man so etwas heute auch gar nicht mehr machen, denn das alles lief ohne Sponsoring ab und ohne den Druck von Werbung, Konzernen und Interessengruppen. Es folgte nur dem Gefühl, der Klugheit und dem Stilempfinden einer einzigen Frau: Antonia Hilke.
„Bienvenue im Kleidermarkt“ wird am 30.10.2012 um 24.00 Uhr auf N3 ausgestrahlt.
martine
8. Oktober 2012 at 11:11Ich bin begeistert, hier darüber zu lesen. Auch ich saß viele Samstagnachmittage vor dem Fernseher und verpaßte nicht eine Sekunde…!
loewenherzblut
8. Oktober 2012 at 11:32Hach…, Peter, mir geht das Herz auf, wenn ich Deine Zeilen lese. Bildungsfernsehen at its best! Prädikat „besonders wertvoll“.
Siegmar
8. Oktober 2012 at 12:00wunderbarer Artikel, leiber Peter! Mir erging es genauso ich habe diese Sendungen verschlungen und freue mich auf den 30.10. aber 24.00 h ist schon hart.
FrauFritz
8. Oktober 2012 at 12:43Auch ich saß gebannt vor dem Fernseher, sobald Antonia Hilkes Sendung kam, das gehört zu meinen allerersten Fernseherinnerungen.
Sehr bedauerlich, daß es heute nichts Vergleichbares mehr gibt.
Monsieur_Didier
8. Oktober 2012 at 13:25…super, lieber Peter…
ich habe damals vor dem Fernseher gesessen und wußte, in welchem Bereich ich gerne arbeiten möchte…
ja, Uhrzeit ist nicht so freundlich, aber da ich eh aus dem Modebereich alles aufnehme und auf DVD brenne wird auch das mit dieser Doku passieren…
ich freu mich schon jetzt wie Bolle…! 😀
Horst
8. Oktober 2012 at 13:32Ach guck – Blomquist und ich haben leider die Premiere am Samstag verpasst 🙁
Um so mehr freue ich mich auf den 30.Okt.
Antonia Hilke war damals Pflichtprogramm!!
Volker
8. Oktober 2012 at 19:32Guter Tipp, die Uhrzeit ist unmöglich. Mode wird in Deutschland einfach stiefmütterlich behandelt!
jürgen
8. Oktober 2012 at 20:28ich freu mich riesig drauf!!! vor allem auf viele zeichnungen mit einem kleinen hund dabei 😉
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