Heute gibt es Anna Wintour, die legendär die amerikanische Vogue leitet. Wenn man sich das Ganze in zehnfacher Steigerung und Extravaganz vorstellt und zu einer Zeit, in der nichts unmöglich war, dann hat man sie vor Augen: Diana Vreeland.
Chefredakteurin von Harper’s Bazaar und danach von Vogue in New York. Am Ende ihres Lebens machte sie für das Metropolitan Museum sagenhafte Kostümausstellungen. Ihrem Modegott Balenciaga widmete sie 1973 die erste Retrospektive. Darauf folgten Filmkostüme in Hollywood, das zaristische Russland und 1983 die erste Ausstellung, die einem lebenden Modeschöpfer gewidmet war: Yves Saint Laurent.
Keine verstand es so, den amerikanischen Lebensstil und den europäischen zu verbinden; Trash meets Haute Couture hätte von ihr erfunden werden können.
Aus einer sagenhaft reichen Familie stammend kam sie schon als Kind nach Europa und war sofort infiziert von der Welt der Haute Couture. Nachdem sie T.Reed Vreeland geheiratet hatte und zwei Söhne zur Welt gebracht hatte, begann sie, das Modebild in amerikanischen Zeitschriften zu revolutionieren.
Ihre Produktionen sprengten jeden Rahmen und sie verlangte, stets in Metaphern sprechend, Billardtisch-grüne Hintergründe für Stills. Schafften die Assistenten welche ran sagte sie dann, dass sie nur das Fluidum von Billardtisch-Grün suchte, keine Billardtische.
„Gib den Menschen das vor, wovon sie nicht zu träumen wagen“ war ihre Devise und sie war perfekt und brachte ihre Mitarbeiter bis an den Rand des Wahnsinns.
Avedon war ihr Lieblingsphotograph und die junge Lauren Bacall nebst ihrer Schwester Betty ihr bevorzugtes Model in den Dreißigerjahren. Legendär ist bis heute ihre Kolumne „Why don’t you“, in der sie lebenswichtige Fragen stellte wie: Warum nehmen sie nicht ihre gotische Tapisserie als Badematte? …. oder, warum spülen sie das blonde Haar ihrer Kinder nicht im abgestandenen Champagner von gestern? …. oder, warum hängen sie keine Weltkarte ins Zimmer ihres Kindes, damit es weltläufig wird?
Und diese Fragen stellte sie, als der Zweite Weltkrieg in vollem Gange war und die Menschheit sicherlich andere Probleme hatte.
Nachdem sie bei Harper’s Bazaar gefeuert wurde ging sie mit den Worten zu Vogue: „Sie bieten mir 20 Cent und ein Himmelreich“ und machte über fast zwanzig Jahre hinweg die besten Hefte in der Geschichte von Condé Nast. Vogue wurde zu dem tonangebenden Magazin, das die Mode regierte.
Ende der Sechzigerjahre – mit dem Nachlassen von Glamour und dem Einfluss der Haute Couture – hatten sich ihre Produktionen zu sehr ins Unermessliche gesteigert und waren vom Budget her nicht mehr tragbar. Mit heutigen Maßstäben wären solche Produktionen überhaupt nicht mehr zu realisieren.
Sie hatte einen unvergleichlichen Geschmack und ungeheuren Einfluss, hatte immer eine eigene Meinung und hat diese auch eisenhart durchgesetzt.
Eine Chefredakteurin wie Diana Vreeland wäre wahrscheinlich heute die Feindin eines jeden Verlegers. Sie ist eine Legende und eine der schillerndsten Figuren der Modewelt des 20. Jahrhunderts. Ich wünsche mir ein kleines bisschen, dass jede Chefredakteurin einer Modezeitschrift heute nur ein ganz klein wenig der Charaktereigenschaften dieser Frau hätte – dann gäbe es nur noch tolle Modezeitschriften.
Jana Goldberg
10. Oktober 2011 at 10:19Peter, ein sehr schöner Artikel mit einer persönlichen Note. Danke. Gibt es eigentlich empfehlenswerte Biografien von ihr?
LG
Jana
Rene Schaller
10. Oktober 2011 at 10:30Schöner Artikel!
@Jana: Ich fand ‚Allure – Der Roman meines Lebens‘ ganz gut.
Rene Schaller
10. Oktober 2011 at 10:36Nein, eigentlich find ich den sogar ganz grandios! (Im Link oben die Buchbesprechung.)
Sören
10. Oktober 2011 at 11:03Ja, Allure kann ich auch nur empfehlen.
(Wobei das ja tatsächlich eher Roman als Biographie ist, soviel wie D.V. da herumgesponnen hat, passt aber so auch besser, denke ich.)
Herrlicher Artikel.
Und den Endgedanken kenne ich sehr gut. Ich möchte Magazine lesen, die von solchen Persönlichkeiten gemacht werden.
Allerdings bin ich jedesmal, wenn ich das Bild von ihrem roten Wohnzimmer sehe, gleichermaßen fasziniert wie abgeschreckt.
peter kempe
10. Oktober 2011 at 11:55@sören
darum heißt es ja auch die rote hölle:-)))sie war zeitlebens auf der suche nach dem vollkommenden rot!!!!
es gibt auch noch einen wunderbaren bildband „Allure“ bei Alfred A.Knopf und den Katalog in Tigerstoff gehüllt zur Ausstellung über sie im Metropolitain Museum sehr empfehlenswert!!
Jana Goldberg
10. Oktober 2011 at 12:06Lieben Dank für die Empfehlung, meine Herren!
Daisydora
10. Oktober 2011 at 13:46Eine herlich exaltierte Persönlichkeit … und mal wieder ein sehr vergnüglicher Ausflug in eine andere Welt, sehr schön zu lesen und zu wissem, danke, Peter 🙂
Daisydora
10. Oktober 2011 at 13:51Eine herlich exaltierte Persönlichkeit … und mal wieder ein sehr vergnüglicher Ausflug in eine andere Welt, sehr schön zu lesen und zu wissen, danke, Peter 🙂
siegmarberlin
10. Oktober 2011 at 14:31@ peter kempe
ich gebe daisy recht, wirklich exalierte Frau, aber sehr toll. Vergleichbar mit Peggy Guggenheim deren tolle Biographie ich gerade wieder mal gelesen habe.
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16. Oktober 2011 at 10:06[…] findet auch Horst. Siehe Freitag. 6) Am Montag ging es wieder zurück in die Modevergangenheit. In Peter’s Cuttings ging es um Diana Vreeland… Tags » Autor: Blomquist Datum: Sonntag, 16. Oktober 2011 10:03 Trackback: Trackback-URL […]
Paul
20. Februar 2012 at 23:47„Aus einer sagenhaft reichen Familie stammend kam sie schon als Kind nach Europa und war sofort infiziert von der Welt der Haute Couture.“
das stimmt nicht ganz. sie kam sehr früh nach europa, denn
sie wurde dort geboren. genauer gesagt, in paris (1903).
dennoch toller artikel! danke!
P