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Peter’s Cuttings – Als Hedi Slimane die Männermode revolutionierte

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Bild: Hedi Slimane für Yves Saint Laurent; 2000

Ein neues Jahrtausend brach an und das sich einiges ändern sollte, hatte man uns ja durch den allgemeinen Milleniums-Rausch 1999 suggeriert. Nachdem nicht alle Computer in der Silvesternacht ausgefallen waren und es auch nicht zur allgemeinen Katastrophe kam, wie viele befürchtet hatten, steht im Sommer 2000 aber eine andere Art von Revolution vor der Tür, und zwar die der Männermode …
Was ein „Trafalgar“ in der Mode bedeutet, haben wir euch ja schon häufiger erklärt. Meistens ist es aber ein Modell, das besonders wirkt. Es stellt alles infrage, ist uns so neuartig und erscheint unerwartet. In ganz wenigen Fällen ist ein Trafalgar eine komplette Kollektion, die eine neue Epoche in der Mode einleitet.
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Bild: Hedi Slimane für Yves Saint Laurent; 2000

Aber es gibt, leider zu selten, Kollektionen, die auf Jahre hinaus das gesamte Wirken der Mode und von fast allen Designern verändert haben. Die Kreationen bleiben unvergessen und haben ihre Schöpfer weltberühmt gemacht. Christian Diors New Look Kollektion gehört dazu, ebenso wie die Vorkriegs-Kollektionen von Poiret oder Yves Saint Laurents Beatnik Kollektion für Dior und seine „Trümmerfrauen“ aus dem Jahre 1971 für sein eigenes Label. Kleidungstücke, wie das kleine Schwarze von Chanel oder auch der Smoking von Saint Laurent, werden bis heute in unveränderter, höchstens aktualisierter Form getragen. Solche Kollektionen oder auch Einzelteile können die Branche ganz schön auf den Kopf stellen und auf Jahrzehnte beeinflussen.
Kein Mensch hätte eine Handtasche aus Nylon-Material getragen, bevor Miuccia Prada Ende der 80er Jahre ihre Modelle vorstellte und damit das ganze Genre veränderte. Keine Frau würde eine Satteltasche eines Pferdes tragen, wenn Hermès nicht auf Wunsch einer Kundin eine Handtasche daraus gemacht hätte. Niemand würde eine Jeans tragen, wenn ein deutscher Einwanderer nicht den Arbeitern der Minen in Amerika eine praktische Arbeitshose geschneidert hätte. Die Mode lebt von Menschen, die träumen, eine Vision haben – manchmal via Intuition oder auch aus Verstand, oder weil sie selbst damit unzufrieden sind, dass es etwas nicht gibt, das sie gerne hätten.
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Bild: Hedi Slimane für Yves Saint Laurent; 2000

Dass jemand das Bild seines ganzen Geschlechts verändert und eine völlig neue Silhouette kreiert, die Maßstäbe bis heute setzt, ist selten. 1996 kommt ein junger Designer zu Yves Saint Laurent und soll die etwas vernachlässigte Herrenkollektion des Hauses auf Vordermann bringen. Es ist Hedi Slimane, der in den nächsten zehn Jahren zum erfolgreichsten und trendsetzendsten Herrenmode-Designer avancieren wird. Ähnlich wie Karl Lagerfeld, arbeitet Slimane nicht unter eigenem Label aber trotzdem kennt seinen Namen jeder, der sich auch nur am Rande mit Mode beschäftigt.
Nebenbei bemerkt: zur gleichen Zeit wird auch ein anderer Kollege von Pierre Bergé bei Saint Laurent eingestellt, der später Lanvin, das älteste noch existierende Modehaus der Welt, wieder zu Weltruhm führt: Alber Elbaz.
Slimane erinnert von seiner Gestalt, und das wird auch sofort in Vogue und Co. lanciert, an den schlanken, scheuen und jungen Saint Laurent, nur dass er sich ausschließlich für Männermode interessiert.
Bei YSL liegen die großen Erfolge im Herrenbereich in den 70er Jahren. Der „Saint Laurent Mann“ war so angezogen, wie damals auch seine „Rive Gauche Frauen“. Saharienne, Sakkos mit breiten Aufschlägen, Seidentüchern – eben sehr Seventies.

Slimane sieht darin eine große Chance, denn er muss nicht ununterbrochen die Codes eines Hauses modifizieren und kann eigene Linien und ein völlig neues Männerbild kreieren. Die ersten Kollektionen sind gut aber noch etwas zu schüchtern, um die eigentliche Konsequenz der Revolution zu ziehen. Slimane selbst erinnert in seiner unspektakulären Schlichtheit eines ganz normalen Jungen eher an eine Mischung aus Beatnik, Mod und normalen Jungen der Straße. Ein bisschen mehr London als Paris. Schmale (hatte damals niemand) Jeans, T-Shirt, alte, schmale Wrangler Trucker Jacke, Stan Smith Tackies. kein Dekor, keine Accessoires.

Was er im Juli 1999 für den ersten Sommer des neuen Jahrtausends in Paris zeigte, stellte nicht nur die langweilige und unspektakuläre Männermode der End-90er völlig auf den Kopf und infrage, sondern auch das ganze Geschlechterbild. Die Schau war völlig schnörkellos und nur in weißem, neutralen Dekor in einer Halle in Bercy, vorgetragen nicht von den üblichen Models, sondern blutjungen, androgyn und von der Straße gecasteten, fast unsicher wirkenden Jungs, die eben noch in Hip-Hop T-Shirts und Baggy-Jeans steckten und in irgendeiner Pariser Vorstadt zu Hause waren. Immerhin hatte es bei Saint Laurent so etwas noch nie gegeben. Das war durchgehend neu und anders und alle spürten, dass ein großer Wechsel bevorstand. Als die ersten Modelle gezeigt wurden, ahnte man sofort, dass neben astreinen Materialien die Kleidungsstücke nicht mehr zu benennen waren. Hemden, die wie Sakkos aussahen aber ohne Arme waren. Chasubles und lange, wie Umhänge wirkende Überwürfe, die Jacketts ersetzten. Narrow geschnittene Silhouette, wie sie keiner hatte und eine monochrome Farbigkeit: Schwarz und Weiß.
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Bild: Hedi Slimane für Yves Saint Laurent; 2000

Rasiermesser scharfe Schnitte und im dritten Durchgang schon die Meilensteine der nächsten zehn Jahre der Mode: weißes Hemd, schmal geschnittene 60er Jahre Krawatte in Schwarz. Schmaler Anzug, Hemden mit überlangen Umschlag Manschetten. Off-Shoulder Tops für Männer, Tuniken und Kaftane hatte es das letzte Mal vor dreißig Jahren gegeben. Die Kollektion wirkte fast futuristisch. Dazu glatte Haarschnitte und die Mützen der Pariser Arbeiter – nur in modern und fast wie eine Fechtmaske vors Gesicht gezogen. Die Kollektion war so Hedi Slimane – ein Alleingang erster Klasse, aber trotzdem in ihren Elementen unverkennbar Saint Laurent.
Nur wenige Farben, wie das warme, sandige Beige und Opium-Rot setzten Akzente, aber das auch als monochrome Total-Looks …

Mit der nächsten Kollektion für den Winter, der sogenannten „Black Tie“ Kollektion, vervollständigte Hedi Slimane alle seine Bausteine, die auch nach seinem Weggang bei Saint Laurent, die Dior Homme Kollektion, zu der erfolgreichsten Herrenkollektion machten. Es entstand ein großer Hype um Skinny Jeans in schwarz, scharf geschnittene Hemden und Anzüge, die androgyn und schmal eine unbeschreibliche Klasse hatten. Er brachte Hoodies in grauer Baumwolle genau wie andere Streetwear zu enormen Preisen in die ehrwürdigen Couture Häuser – auch das hat vor ihm keiner geschafft. Viele haben ihm vorgeworfen, ein gewisses Stricher-Image als Leitbild zu haben, aber vielleicht ist es genau das, was seine Kollektionen so scharf und andersartig machte.

Bis heute tragen wir schmale Jeans und genau Hedis Silhouette hat in den letzten dreizehn Jahren die gesamte Branche und durchgehend alle Kollektionen beeinflusst – das hat vor ihm fast keiner geschafft. Die Sommerkollektion 2000 für Yves Saint Laurent war ein absolutes „Trafalgar“ und an der Place Saint Sulpice gab es eine Herrenladen, wie es ihn nie wieder gab. Die Saint Laurent Rive Gauche Homme Boutique bestand aus einem fast leeren Raum, in dessen Mitte ein großer runder Theatervorhang von der Decke hing, der einen Ring bildete und in dem man sich umzog. Wenigste Stücke hingen auf einer langen Stange oder lagen „eins bei eins“ in den puristischen Regalen. Der Laden war ein Meisterwerk.
Hedi Slimane Saint Laurent 2000
Bild: Hedi Slimane für Yves Saint Laurent; 2000

Obwohl ich mich damals selbstständig gemacht habe und keinen Pfennig hatte, musste ich, wie eine Art von Fetisch, Stücke aus dieser Kollektion kaufen. Ich wusste, dass man so etwas nur mit etwas Glück im Leben wieder erleben durfte – eine absolute Moderevolution.
Die rote Hose, die Sandalen, die Hemden, das Tunika-Hemd und die caramelfarbene Badehose liegen noch heute in den Saint Laurent Kästen und werden sorgsam von mir aufbewahrt. Ab und zu trage ich sie auch mal, denn sie sind absolut zeitlos. Hedi Slimane hat die Männermode absolut revolutioniert und völlig auf den Kopf gestellt und ist damit der Mann, der das 21. Jahrhundert mit seinem Einfluss bis heute eingeleitet hat. Er hat die Männermode nicht nur verjüngt, sondern auch von der Geschlechterteilung befreit, denn die treuesten Kunden seiner Kollektion für Yves Saint Laurent und später auch für Dior waren die Frauen.

2000 war das Jahr, als Hedi Slimane zum Superstar der Mode wurde und alles anders war als je zuvor. Er ist ein absoluter Visionär und hat wie kein anderer den Eintritt der Mode in das neue Jahrtausend gestaltet …

  • Stephan Berlin
    1. April 2013 at 14:09

    Un rêve! Hedi ließ Tom Ford plötzlich alt aussehen!
    Und dann dieses Paris- Flair! Ende der Neunziger waren ja auch die französischen DJs plötzlich super-chic, Catherine Delneuve saß im Publikum, die ganze Attitude…
    Die Schau läßt sich sehr gut auf Youtube anschauen, Yves Saint Laurent Homme Summer 2000!

  • Ludger
    1. April 2013 at 16:40

    Ich werde Slimane für diese Bulemie-Orgie immer verachten. Slimane hat den Mann zerstört und das Bübchen zum Leitmotive erkoren. Narzissmus (s.a. Lagerfeld), Selbstverliebtheit und Egoismus sind das Ergebnis. Schade um eine ganze Generation von Männern die einem vergblichen Traum hinterherlaufen. Selbst Lagerfeld passt nicht mehr in Slimane…

  • Stephan Berlin
    1. April 2013 at 17:39

    Es bleibt doch immer noch die Eigenverantwortung und momentan tragen doch sowieso alle wieder Vollbart und Karohemd, zumindest hier in Berlin 🙂 Daß der Mann zerstört ist und es schade ist um eine ganze Generation, sehe ich nicht.

  • Monsieur_Didier
    1. April 2013 at 19:36

    …es kann ja nicht schade um eine ganze Generation sein, denn es wird ja auch niemand gezwungen, diese Looks zu tragen…

    aber ich habe mich neulich mit einem Bekannten unterhalten und er meinte, die ganzen Bärte und „butchen“ Looks, die hier in Berlin gerade so en vogue sind, sind die Reaktion auf Slimanes Männerbild der 00er Jahre…
    Bärte und Karos, damit man sich auch wieder als „Mann“ definieren kann nach einer längeren androgynen Zeit…

  • Monsieur_Didier
    1. April 2013 at 19:37

    …und bevor ich es vergesse: Danke und großes Kompliment für einen wahrlich tollen Artikel, lieber Peter…!

  • Stephan Berlin
    1. April 2013 at 20:24

    Na ja, so butch sind die Jungs auch nicht, die da in Neukölln auf Brooklyn, bzw.Williamsburg machen und an Fahrrädern basteln und Brot backen.
    Der alte Hedi Look lebt natürlich auch noch weiter, aber mehr der etwas spätere Dior-Look, weniger der frühe YSL-Look.
    Das ist jetzt aber echter Fashion-Talk…

  • PeterKempe
    1. April 2013 at 21:00

    @Stephan Berlin

    Remember they are Not all 30 years in Fashion like us …. Love you !

  • PeterKempe
    1. April 2013 at 21:02

    @ Didier
    Tausend Dank für deine Anerkennung du weißt das ich dich und deine Meinung Ungeheuer Schätze und achte,deshalb besonders schön wenn du das magst !

  • HappyFace313
    1. April 2013 at 21:03

    Super Artikel!
    Allerdings dachte ich diese klapperdürr-dünn Diskussion sei nur Frauen vorbehalten. Wie schön, dass dem nicht so ist.
    Schönen Ostermontag noch! 🙂

  • Siegmar
    2. April 2013 at 10:28

    Ein ganz toller Artikel über den Superstar Slimane. Wie jeder der sich für Mode interessiert war ich begeistert, die schmale Silhouette war neu und toll, leider fand ich die Models oft wirklich sehr daneben, wirklich zu jung und oft zu dünn.

  • Daisydora
    2. April 2013 at 13:52

    Dankeschön … Mal wieder ein tolles Stück Modegeschicht aus Deiner Feder, Peter!

    Ich fand und finde diese androgyne Silhouette spanned, obwohl ich den Typ Mann (Model), den Hedi Slimane damit auch hoffähig gemacht hat, ganz schrecklich finde. Da weiß man manchmal nicht, aus welchem Gebüsch die Jungs schnell flüchten mussten…. Das Männerbild Slimanes ist mir zu einschlägig. Aber es geht ja um die Klamotten 🙂

  • vk
    3. April 2013 at 22:47

    ja. – sehr schoen. – ich hab tatsaechlich noch nen smoking, nen anzug, nen frock coat, diversen kleinkram und sogar die legendaere goldene hose aus den kollektionen 2000/02.
    war ne grossartige zeit. und: man konnte die zeit fassen, beruehren und am leibe tragen. – passiert nicht oft. – ein grosses privileg.

  • vk
    4. April 2013 at 01:06

    und – full disclosure – bei mir ist sonst eher weniger ‚fashion‘ sondern deutlich mehr tweed und loden. die goldene hose trag ich heute gerne mit gummistiefeln und hunden in feld und wiese.