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Peter’s Cuttings – Aladins Schatz-Schmiede für Chanel

Eines der Anliegen unserer montäglichen Kolumne ist es, die Geschichten in der Mode zu erzählen, die hinter den Kleidungsstücken und der Vergänglichkeit von Trends und Kollektionen liegen. Es macht immer wieder Spaß, neue Facetten des Handwerks zu entdecken oder die Beweggründe der Menschen hinter den Marken und der Kreativität darzustellen.
Vielleicht ist es genau das, was die Aura und die Wirkung von so mancher Kollektion ausmacht – die Liebe und die Mühe, die alle Beteiligten investieren, um, wie es Karl Lagerfeld sagt „immer den nächsten Millimeter an der Perfektion zu finden“. Schließlich und endlich ist es auch genau das, was nicht nur den Preis- und Qualitätsunterschied, sondern auch die Differenz zwischen Wegwerf-Klamotte und ewigem Klassiker ausmacht.
Inspiriert durch ein Making-of Video, wollen wir heute, sozusagen anhand eines Paradebeispieles des Hauses Chanel, genau diese Differenz erklären.

Die Paris-Bombay-Kollektion aus dem Jahre 2012 als Arts et Métiers Kollektion war eine der aufwendigsten und opulentesten Kollektionen, die Karl Lagerfeld für Chanel im Prêt-à-porter Bereich kreiert hat. Die Stoffe, und vor allem die Accessoires, sind allesamt spezielle Entwicklungen für genau diese Kollektion. Sie hatten alle eine lang vorausgeplante Entwicklungszeit und einen Vorlauf von teilweise zwei Jahren.
Für das Gesamtkonzept einer solchen Kollektion bereist im Vorhinein ein großes Team von Chanel nicht nur das Land, in diesem Falle Indien – es findet parallel eine Sammlung von Materialien, Dokumenten, Vintage-Textilien und Farben statt, die alle in die Konzeption der Kollektion einfließen. Kaum nachvollziehbar für den Laien, sind es aber genau die Dinge, die später fast unbemerkt die Raffinesse und die Ausstrahlung der vielen Einzelteile ausmachen, die das harmonische Ganze ergeben.
Am eindrucksvollsten kann man dieses in der Bombay-Kollektion anhand der Stickereien und des Schmuckes nachvollziehen. Aus den Paraffection Ateliers der Maison François Lesage und Desrues fahren einzelne Meister zu den „Original“-Handwerkern und arbeiten sich eine Weile in die alten Handwerkstechniken ein. Sicherlich sind sie eh Meister ihres Faches, aber von Kontinent zu Kontinent gibt es Techniken, die in Europa längst ausgestorben sind oder hier nie so üblich waren. Um den richtigen indischen „Touch“ zu bekommen, sind von den Desrues Handwerkern zum Beispiel die abweichenden Techniken zu erlernen, wie man Glasfluss Steine in ihre Fassungen bringt. Auch die verschlungenen Muster des Metall-Filigranes unterscheiden sich komplett von den europäischen Macharten.

Brochierte Stoffe, wie sie teilweise seit langen Jahren aufgrund mangelnder Nachfrage oder auch dem Nichtvorhandensein der speziellen Webstühle in Europa nicht mehr gefertigt werden, bildeten eine der Schwerpunkte der Paris-Bombay-Kollektion. Die Mitarbeiter der Ateliers von Lesage konnten früher auf die Profis von Webern, wie zum Beispiel der Schweizer Abraham AG, zurückgreifen, die spezialisiert auf solche Gewebe waren. Heute müssen sie, um an Stoffe derartiger Qualität zu kommen, die traditionellen Handwerksschritte rekonstruieren, bzw. wird versucht, durch das Übersticken von Hand die gleichen Effekte zu erzielen.

Das Handwerk ist nicht nur irrsinnig langwierig und mühevoll, sondern, fast wie Ingenieurs-Kunst, langwierig in der Planung der Arbeitsschritte und Abläufe. Nur noch wenige Häuser haben aber die finanzielle Energie, sich nicht nur mit dem Erhalt und der Ausführung solcher Handwerke zu beschäftigen, sondern auch die benötigte Zeit: Die Kollektions-Rhythmen und die Fertigungszeiten werden immer schnelllebiger. Um parallel planen zu können, fehlt meistens das Personal, denn kaum ein Haus arbeitet mit doppelter Mitarbeiterzahl, um langfristig und unabhängig von der aktuellen Kollektion, solche Entwicklungen zu betreiben.
Chanel denkt dabei nicht nur an eine Kollektion, denn die Fertigkeiten, die dafür benutzt oder in manchem Fall sogar zurückgewonnen werden, dienen der ganzen Branche für den Erhalt und der Zukunft der Kunsthandwerker.

Das Video zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass ein Taschen-Verschluss nicht nur ein Clip ist, sondern dass, bevor das Gerüst für die Fassung entsteht, eine Form für den Gussprozess hergestellt wird und dann aus flüssigem Glas oder Kristall jeder einzelne „Stein“ eingepasst werden muss. Bei Handwerk gleicht kein Stück dem anderen, was eine zusätzliche Erschwerung bei Konfektionierung bedeutet. Beeindruckend finde ich auch, dass solche Handwerke immer eine ungeheure Ruhe, Präzision und eine völlige Konzentriertheit ausdrücken.
Stoffe, die auf den ersten Blick wie gemustert aussehen, sind von ihrer Grundkonsistenz schon komplizierteste Gebilde und werden dann noch mal komplett nachgestickt. Chanel hat in den letzten Jahren diese Techniken stark weiterentwickelt und ist, wie man eindrucksvoll in der letzten Frühjahrs-Haute Couture sah, komplett dazu übergegangen, wie Drucke aussehende Gewebe in Stickereien umzusetzen.

Wer sich in diese wundervolle Welt des Handwerks begibt und sich damit beschäftigt, wird nicht nur fasziniert und immer wieder überrascht, sondern versteht auch, dass solche Dinge nicht einfach nur teuer sind, sondern – im wahrsten Sinne des Wortes – ihren Preis wert sind. Es geht nicht darum, dass alle Menschen so etwas kaufen müssen und können. Es geht darum, dass es wichtig ist, das Menschen, die über die Mittel verfügen, so etwas kaufen, damit unsere Kultur und das Handwerk weiter existieren und vor allem weiterentwickelt werden können.

Für mich ist es jedes Mal ein Phänomen, was der Mensch, meist mit relativ einfachen und seit Jahrhunderten existierenden Werkzeugen, mit seinen Händen erschaffen kann – in diesem Fall die Welt Indiens, mit den europäischen Augen von Karl Lagerfeld für Chanel gesehen.
Und so wird nicht nur eine Kollektion daraus, sondern auch ein weiteres Kapitel in der wunderbaren Welt des Handwerks und unserer Kulturgeschichte. Das ist es auch, was einen Teil der Faszination der Mode ausmacht und sie unvergänglich macht …

  • Siegmar
    22. April 2013 at 10:00

    ich liebe die Montagmorgen-Artikel von Peter, ganz grossartig!

  • Volker
    22. April 2013 at 12:45

    Artikel, handwerklicher Aufwand und Hintergrund sind immer wieder beeindruckend.

  • Monsieur_Didier
    22. April 2013 at 15:00

    …die Paris-Bombay-Kollektion hat mir ausserordentlich gut gefallen und es ist sehr schön, dazu zusätzliche Hintergrund-Informationen zu lesen…

    vielen Dank dafür…!