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Peter’s Cuttings – 1984 Boy George beats the London Style


Bilder aus der Boy George Pressemappe; Bild: Virgin Records

Neulichst entdeckte ich in meinen Archiven zwei Photos, die mich in eine völlig vergessene Welt transportierten und beim Betrachten der Bilder fiel mir ein, wie stilbildend und faszinierend London 1984 auf mich gewirkt hatte. Die Bilder gehören zur original Boy George Pressemappe von Virgin Music.
Leider wird manchmal der ungeheure Einfluss von Personen und deren Stilistiken sowie Leistung fast durch unser heutiges Bild oder Ereignissen verdrängt – so werden eher die Umstände, wie zum Beispiel John Galliano Dior verließ, unser Bild prägen, als seine großartige kreative Leistung über Jahre wie die legendäre Massai- oder Pocahontas-Kollektion. Genau so ist es im Fall von Boy George. Überhaupt, außer dass beide Engländer der gleichen Generation sind, gibt es viele Parallelen beider Männer und ihre Wurzeln und Prägungen stammen aus dem selben Zeitgeist. Ihre geniale Kreativität wird bei beiden durch das, was man das Leben nennt und ihre Labilität immer wieder eingeholt, trotzdem darf man ihr Werk nicht unterschätzen.

Die Clubszene in London war ab Anfang der 80er Jahre gigantisch und alles was mit Punk- und Popper-Welle Ende der 70er aus London begonnen hatte und zu uns herüber schwappte, nahmen wir begierig auf.
Ob Depeche Mode, Pet Shop Boys, Duran Duran oder meine damaligen Lieblinge, Visage mit Steve Strange – englische Gruppen und Musik waren tonangebend. London hatte trotz beinharter konservativer Thatcher Regierung als Gegenpol seine Extreme und Exzentrik bewahrt und entwickelte, vielleicht genau aus dem Grund der harten Politik seine Buntheit – ähnlich wie in den 60er Jahren voller Kreativität. Im Gegensatz zu Paris, wo chic und eher Eleganz eine Rolle spielten, wurde London von den Leitbildern der Musik und der Subkultur geprägt. Ein völlig neuer Stil entwickelte sich mit den New Romantics und einzelne Gallionsfiguren brachten total eigenständige Stilistiken hervor, die zwar Punkwurzeln hatten, aber wesentlich abgeschwächter und in mehr spielerischen Varianten daher kamen.
So etwas wie sanfter Protest, Friedensbewegung, gegen Aufrüstung und Pershing II Abkommen färbten auch auf die Londoner Kreateure ab – allen voran Katharine Hamnett (Bild oben mit Margaret Thatcher). Am Tag herrschte in England Konservatismus, abends lebte man sich in den Clubs aus. Das spiegelte sich damals in den Kollektionen wider und jeder versuchte seine Individualität gegen die Uniformiertheit zu setzen.

Boy George, im Juni 1961 als drittes von sechs Kindern in London geboren, begann schon sehr früh im Teenageralter mit Fashion und Klamotten zu experimentieren. Plateau Schuhe, langes glattes Haar und Männerröcke waren seine Antwort auf die Schuluniformen seiner Mitschüler.
Mit vierzehn verließ er die Schule und die nächsten fünf Jahre brachten ihm Gelegenheitsjobs vom Shopverkäufer über Dekorateur für Schaufenster bis zum Stylisten für die Royal Shakespeare Company für ein Punk Theaterstück, das „Naked Robots“ hieß. Alles das tat er nur, um seine allabendlichen Clubbesuche zu finanzieren, die ein perfekter Hintergrund waren um seine stilistischen Entwicklungen immer mehr zu verfeinern und auszuleben. Er wurde ein fester Bestandteil der Londoner Clubs und fast so etwas wie der Beginn einer Ikone. Prägend für ihn war damals vor allem der Post Punk und der legendär gewordene Music Club „Blitz“. Dort traf er auch die Leute die zum Schlüssel seines Musikstarts und schließlich auch seiner Musikkarriere wurden.
George O’Dowd, wie er damals noch hieß, begann 1980 als Background Sänger bei der Gruppe „Bow Wow Wow“. Das brachte ihn auf den Geschmack und bestätigte ihn, seinen eigenen Weg in der Musik Szene zu gehen. Mit Mikey Craig, Jon Moss und John Suede gründete er seine Band „Sex Gang Children“.
Nach sechs Monaten verließ Suede die Band und Roy Hay kam hinzu und sie nannten sich fortan „Culture Club“. Nach Live Gigs in den Clubs wurde Virgin Records auf sie aufmerksam und bot ihnen einen Vertrag an, zwei Singles folgten und nach einem Jahr kam dann die Sensation: das Album „Do You Really Want To Hurt Me“ schlug nicht nur in England wie eine Bombe ein, sondern in allen Ländern in denen es herausgebracht wurde – inklusive in den USA ganz hoch in die Charts aufsteigend, kannte die Band und ihren exzentrischen Sänger plötzlich die ganze Welt. Sein Look wurde millionenfach kopiert und Badges an den Jacken, fließende Viscose Hemden etc. tauchten massig in den Kollektionen auf. Seine Stilistik prägte die 80er deutlich sichtbar. „Karma Chameleon“ wurde genauso ein Hit und vier Alben folgten bis zum ersten Breakdown und Skandal im Jahre 1986.
Trotzdem engagierte sich Boy George in der Unterstützung der Aids-Stiftungen und als Teilnehmer von „Ferry Aid“, einem Charity Project zu Gunsten des damals alle erschütternden Fährenunglücks von Zeebrügge in Belgien und startet eine Solokarriere.

Heute hört man weniger musikalisches von ihm. „Alles im Leben hat seine Zeit,“ heißt es schon in der Bibel und Boy George prägte die 80er beispielhaft und sicherlich auch viele Jungs meiner Generation.
Schaut man sich die Photos an, weiß man, dass selbst heute noch zu spüren ist, was der Reiz und die Avantgarde seiner Looks war – vielleicht eine der Inspirationen für manchen Designer von morgen – auf jeden Fall hat er was gewagt und einen eigenen Stil kreiert – Good Luck Boy George!

Bilder: Virgin Records (2); Katharine Hamnett (1)

  • thomas
    5. November 2012 at 10:36

    ich weiß noch wie irritiert wir von Boy George zu Anfang waren. Ein junger Man mit geflochtenen Zöpfen, geschminkt wie eine Asiatin. Er ist ein feiner Typ.

  • Naïma Tenebris
    5. November 2012 at 10:47

    danke für diesen schönen Text

  • Siegmar
    5. November 2012 at 11:05

    Boy George war toll und das 2. Bild ist super, die Hamnett-T-Shirts mit politischen Statements waren meine Favoriten. Sehr schöner Artikel.

    Bin wieder da 🙂

  • blomquist
    5. November 2012 at 11:42

    London ist und bleibte meine absolute Lieblingsstadt und Boy George prägte meine Jugend.
    <3

  • Monsieur_Didier
    5. November 2012 at 12:32

    …@ Siegmar: …WUNDERBAR…!!!
    ich habe mir schon Gedanken gemacht…

  • Horst
    5. November 2012 at 12:42

    Ich war damals schon großer Boy George Fan und fand seine Leigh Bowery Phase besonders beeindruckend.
    Bei uns hängt ein von Boy George unterschriebenes Bild aus der Zeit… 🙂

    @Siegmar herzlich Willkommen zurück!

  • Monsieur_Didier
    5. November 2012 at 12:43

    …ja, das ist bei mir auch so, London ist und bleibt meine Lieblingsstadt…
    in den 80ern und frühen 90ern bin ich bisweilen 3 Mal pro Jahr da hingefahren…

    das war das Paradies und gelobte Land…

    und Boy George hat eine der besten Popstimme ever…

  • Monsieur_Didier
    5. November 2012 at 12:46

    …auch wenn Boy George mit Leigh Bowery zusammengearbeitet hat und die beiden befreundet waren konnte ich diese Phase bei ihm leider gar nicht nachvollziehen…

  • Horstson » Blog Archiv » Bowie Virus @ Arena Homme +
    5. November 2012 at 13:35

    […] Peter heute in einer Hommage an Boy George an dessen Stil und den bis heute zu spürenden Einfluss von ihm auf modische Strömungen […]

  • Horst
    5. November 2012 at 14:11

    @Monsieur da fand ich ihn sehr aufregend, zum Anfang etwas verstörend, weil er dann ja auch so merkwürdige Sachen und Videos gedreht hat, aber nach einer gewissen eingewöhnungszeit fand ich die Zeit eigentlich am aufregendsten 😀