Esther Heesch für Closed Frühjahr-Sommer 2013 fotografiert von Benjamin Alexander Huseby
Fräuleinwunder ist ein Wort, was heute eigentlich gar nicht mehr vorkommt. Das ‚Fräulein‘ ist offiziell abgeschafft ist und kaum einer weiß noch, warum es auch mit Mode zu tun hat, dass es nach dem zweiten Weltkrieg das „Fräuleinwunder“ überhaupt gab. Genau genommen hieß es ursprünglich – damals noch getrennt geschrieben – „Frollein Wunder“, denn amerikanische Soldaten bezeichneten die hübschen deutschen Mädels als solche. Just zum gerade aufkommenden Wirtschaftswunder erklärte dann die amerikanische Zeitschrift „Life“ das erste berühmte Topmodell deutscher Herkunft zum „Fräulein Wunder“: Susanne Erichsen.
Esther Heesch für Vogue Turkey, December 2013; Foto: Horst Diekgerdes
Vor dem Krieg hatte jedes Modehaus seine hauseigenen, fest angestellten Mannequins, die meist aus Mädchen aus der Gesellschaft oder auch adelige Töchter waren. Das änderte sich, als das erste Prêt-à-porter aufkam und Häuser wie Dior oder Jacques Fath mit ihren Kollektionen nach Amerika reisten, um internationales Klientel zu erreichen. Mädchen wie die Südamerikanerin Vera Valdez kamen zu Schiaparelli und Chanel und auch die erste Deutsche eröffnete eine lange Reihe von Topmodels, die aus dem Land kommen, dem man kein großes Modebewusstsein nachsagt.
Als Christian Dior nach Berlin kam, fiel ihm eine große sehr schlanke Frau auf, die mit großen Augen aus einem flächigen markanten Gesicht schaute und in den Berliner Modehäusern Nachmittag für Nachmittag und bei der „Berliner Durchreise“ – einer Urahnin der Fashion Week – vorführte. Susanne Erichsen hatte wenige Jahre vorher noch in einem Lager unter den Nazis gelitten und sich niemals träumen lassen, dass sie später die Kreationen des berühmtesten Modeschöpfers der Welt zeigt und sogar die Mutter einer Kette werden sollte, die Deutschlands Ruf der schönen Frauen auf den internationalen Catwalks begründet.
Esther Heesch für Elle; Fotos: Elle
Bald entdeckten auch die anderen Mode-Virtuosen den Vorzug, der als verlässlich und diszipliniert geltenden deutschen Mädchen und Models wie Marie-Louise Steinbauer oder Bettina Lauer liefen in den Defilees oder tauchten vor den Linsen der Fotografen F.C. Gundlach, Irving Penn oder Bert Stern auf. Sie machten alle internationale Karrieren und legten den Grundstein für die nachfolgenden Generationen von deutschen Mädchen wie Nadja Auermann und Claudia Schiffer. Legendär ist die Entdeckungsgeschichte von der „neuen Bardot“, wie Claudia genannt wurde, in der Düsseldorfer Disco „Checker’s“, die dann zur Weltkarriere unter anderem durch die intensive Zusammenarbeit mit Karl Lagerfeld wurde und zur Garde der sogenannten Supermodels, den bestbezahlten ihrer Branche, gehörte. Auch die zweite Deutsche im Bunde der neben Naomi Campbell, Linda Evangelista und Cindy Crawford agierende Modellegenden der Neunziger kam aus der Bundesrepublik: Tatjana Patitz.
Alle haben eines gemeinsam – sie wurden durch Zufall entdeckt und stiegen auf ungeheuer hohem Niveau ein. Alle liefen Schauen und posierten für internationale Magazine und von Valentino bis zu Calvin Klein rissen sich alle um sie. Kaum eine Schau, die nicht auf deutsche Gesichter à la Claudia und Nadja zurückgriff.
Als die Mutter aller Castingshows, ein TV-Format, in dem angeblich Topmodels entdeckt werden sollten, Heidi Klum, auftauchte und auch als Topmodel bezeichnet wurde, wunderte sich nicht nur Karl Lagerfeld, denn sie hatte nicht den Weg beschritten, den alle ihre Vorgängerinnen gegangen waren. Klum wurde insbesondere durch die Medien und besonders durch die Schau des amerikanischen Dessousherstellers „Victoria’s Secret“ bekannt. Böse Zungen behaupten, dass das Netz regelmäßig während der in Las Vegas Manier aufgemachten Schauen zusammenbricht, weil sich Voyeure millionenfach dazu schalten …
Kaum ein Mädchen, die an diesen fraglichen Contests teilnehmen, schafft es auf die wirklichen bedeutenden Designer zu laufen oder vor den Kameras von Testino, Demarchelier, Simms oder Craig McDean zu landen. Es scheint so, als ob das Geheimnis der erfolgreichen Models der Zufall und das „zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein“ ist. Toni Garrn, derzeit die Deutsche im Geschäft, könnte das ebenso bestätigen, wie die leise und heimlich in die oberste Garde aufgestiegene Lübecker Schülerin Esther Heesch.
Esther Heesch ist ein Phänomen und blitzschnell, ganz ohne Castingshow, auf dem internationalen Toplevel eingestiegen und liefert ein beeindruckendes Ergebnis nach dem anderen ab. Dabei besticht die bescheidene und immer noch auf Lübecks Katharineum Gymnasium gehende Schülerin, die selbstverständlich ihr Abitur abschließen will und keinerlei Höhenflüge an den Tag legt, durch ihre nordische Natürlich- und ihre Wandelbarkeit.
Esther Heesch für Chanel; Bilder: Courtesy of Chanel
Wie es nur im richtigen Leben sein kann und nicht in angesetzten Contests, wurde sie in Hamburg beim Schuhkauf mit ihrer Mutter – Fünfzehnjährige gehen halt mit ihrer Mutter einkaufen – von einem Scout ihrer Agentur Modelwerk entdeckt und angesprochen. Im bürgerlichen Haushalt wurde dann überlegt und ein Vertrag unterschrieben. Dann folgte etwas, was sicherlich der Traumeinstieg eines jeden Mädchens ist: Raf Simons debütierte im Frühling 2012 unter der Aufmerksamkeit der gesamten Modegazetten mit seiner Couture für Christian Dior und erwählte Esther für seine erste Show. Die mit Millionen Blumen geschmückten Salons sind ihr immer in Erinnerung geblieben und waren die Ouvertüre für aufregende Saisons auf Top-Niveau.
Im Frühjahr 2013 lief sie dann schon bei den internationalen Fashion Weeks in New York, Mailand und Paris 55 Shows und wenig später weitere 44 im Herbst 2013. Unter anderen lief sie in ihrer noch kurzen Karriere für das Who’s Who der Mode: Prada, Chanel, Calvin Klein, Valentino, Céline, Miu Miu, Chloé, Dolce & Gabbana, Loewe, Isabel Marant, Roland Mouret, Lanvin, Dries Van Noten, Salvatore Ferragamo, Emilio Pucci, Sonia Rykiel, Hermès, Armani Privé, Elie Saab, Alexander McQueen, Stella McCartney, Paco Rabanne und eben Dior.
Valentinos Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli ließen ihre legendäre Renaissance-Schau sogar von Esther eröffnen, was einem Ritterschlag in dem Business gleichkommt. Die Kampagne wurde mit ihr ebenso fotografiert, wie sie auch das Gesicht des Hamburger Labels Closed war. Das ist sicherlich erst der Beginn, denn alle Deutschen „Fräuleins“ waren sehr lange erfolgreich und sie ist ja noch sehr jung.
Esther Heesch für Valentino; Bild: Craig McDean
Die Tradition der deutschen Models in den internationalen Top Rankings ist lang und erfolgreich.
Neben Toni Garrn könnte Esther Heesch das neue deutsche „Fräuleinwunder“ einleiten, denn sie besitzt genau die sympathischen Eigenschaften, neben unendlicher Schönheit, die die Welt an unser Nation schätzt: sie ist zuverlässig und ohne negative Allüre. Das ist kein Wunder, sondern Disziplin und harte Arbeit.
Good Luck Esther Heesch!
Siegmar
5. Januar 2015 at 13:03Wunderbarer Artikel lieber Peter und Esther Heesch ist für mich schon ganz oben angekommen. Ein Supermodel würde ich gerne noch erwähnen, Veruschka ( Gräfin Lehndorff ) habe sie vor kurzem „live“ erleben dürfen, eine sehr beeindruckende Frau.
peter
5. Januar 2015 at 14:27@Siegmar
Veruschka ist eine Ausnahmeerscheinung und sie bekommt natürlich eine Extra-Geschichte :-)))
Siegmar
5. Januar 2015 at 16:41@Peter
das dachte ich mir fast!
Horst
6. Januar 2015 at 10:03Veruschka ist natürlich großartig – sie hat das, was man am besten mit Charisma beschrieben kann!
Die Herkunft des „Frollein Wunders“ kannte ich nicht…
Eveline
10. Januar 2015 at 01:09Toller Artikel, danke! Freue mich auch schon auf den Veruschka Artikel
cacanito
16. Januar 2015 at 00:38Lieber Peter,
Susanne Erichsen kannte ich bis heute nicht. Ich dachte immer die erste „Fräulein Wunder“ war/ist Rita Jaeger, welche übrigens auch eine Erwähnung verdient hätte, da sie den Begriff der „Fräulein Wunder“ auch sehr stark geprägt/verkörpert hat.
Danke für den tollen Artikel <3