(Bild: Shirin Ourmutchi)
Bildhauer, Objekt- und Installationskünstler: Wer auf der Suche nach dem einen, passenden Titel von Michael Sailstorfer ist, begibt sich auf gefährlich dünnes Eis. Google spuckte erstere drei aus und ich wage nicht mal den Versuch, das deutsche Ausnahmetalent auf eine der Berufsbezeichnungen festzusetzen – zu groß die Gefahr, einzubrechen.
1979 in Bayern geboren, wächst Michael Sailstorfer seit Kindesbeinen mit Kunst auf und kommt früh mit der Bildhauerei in Berührung: Sein Vater studiert in dem Fach, später nehmen ihn seine Eltern mit auf die documenta und Skulptur Projekte. Nach seinem Schulabschluss knüpft er an die gesammelten Erfahrungen an, studiert an der renommierten Akademie der Bildenden Künste München sowie dem Goldsmith College London. Zum Gesprächsthema der internationalen Kunstszene wird er nur kurze Zeit später, als er 2002 seine erste Einzelausstellung auf dem Museumsplatz des Münchener Lenbachhauses vorstellt. Ein Echo hallt durch die Presse, euphorisch und sicher zu gleich: „Und sie bewegt sich doch“ sollte der Startschuss für eine beeindruckende Karriere sein, die bis heute anhält. Seine unverwechselbare Handschrift? Mitunter deformierte, zerlegte Alltagsgegenstände und Fundstücke, die er anschließend in einen neuen Zusammenhang bringt! Eine einzigartige skulpturale Gestaltung, Neuinterpretationen mit performativen Charakter! Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Aspekt des Geschmacks, zumindest bewusst, nicht für ihn entscheidend ist!
Mir wird ganz schwindelig, als ich vor wenigen Tagen eine Interviewanfrage mit ihm erhalte und so klicke ich mich als Vorbereitung durch jede Menge Ausstellungskataloge, Bild- und Videoaufnahmen von ihm (und seinen Installationen). Wie komme ich aber zu der Ehre mich mit dem Künstler unterhalten zu dürfen? Anlässlich des Gallery Weekends präsentiert der Wahlberliner eine exklusive Kooperation mit COS und fertigte hierfür die Installation Silver Cloud an. Meine favorisierten Modemacher werden immer öfter in einem Atemzug mit vielversprechenden Kunstprojekten genannt, so habe ich in der Vergangenheit bereits hier über die Zusammenarbeit mit Snarkitecture, hier von der Kooperation mit der Serpentine Gallery oder hier über das Projekt mit den Arbeiten von Donald Judd in New York berichtet – ich finde diese Entwicklung natürlich mehr als spannend und freue mich riesig über die kleine Nachfragerunde. Los geht’s, wärmen wir uns auf:
Vielen Dank, dass Du Dir für unser Gespräch so kurzfristig Zeit genommen hast! Woran arbeitest Du gerade?
Aktuell sind einige Ausstellungen in Planung, die neuere Arbeiten zeigen werden. Seit geraumer Zeit beschäftigt mich die Ausdehnung des skulpturalen Mediums in Richtung Architektur: In einer Serie von stehenden und Wandobjekten versuche ich Schnittmengen zwischen Porträt, Maske und Fassade skulptural zu formulieren. Dabei geht es allgemeiner um den Bezug, den Menschen zu Objekten aufbauen – um Spielräume der Adressierung durch verschiedene Formen und Materialien.
Bild: Studio Michael Sailstorfer
Klingt spannend. Wo genau sitzt Du eigentlich?
In Berlin Weißensee, in den historischen Gebäuden der ehemaligen Stummfilmstudios.
Wie kann man sich einen Tag bei Dir im Atelier vorstellen?
Normalerweise werden innerhalb regulärer Arbeitszeiten anstehende Projekte parallel ausgeführt oder beaufsichtigt. Entwurf, Planung und Modellbau erfolgen im Atelier.
Apropos Planung, dein aktueller Kooperationspartner ist das Modelabel COS: Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Als mich die Anfrage von COS erreichte, im Rahmen einer Kooperation einen künstlerischen Entwurf zu entwickeln, war das eine sehr willkommene Gelegenheit für mich. Ich dachte bereits seit längerer Zeit über ein aufwändiges Projekt nach, das an meine aktuellen Überlegungen über Zerstörung und Gestaltung an der Schnittstelle von Skulptur und Architektur anschließen sollte. Das Bild einer regnenden Wolke, die zur gestalterischen Kraft wird und Spuren ihrer Bewegungen in eine Betonfläche einschreibt wird mit Silver Cloud Realität. Die sorgfältige technische Planung hinter der performativen Installation soll den unvorhersehbaren, unberechenbaren Moment der Interaktion zwischen Stahl und Beton gewährleisten.
Was hat Dir dabei als Inspiration dienen können?
Im Sommer 2015 habe ich drei Eisenskulpturen in Tränenform so lange wiederholt auf ein Landhaus abwerfen lassen, bis es zu einer Trümmerskulptur umgestaltet war. Eine Wolke in Bewegung und mit einer befestigten Fläche in Interaktion zu setzen ist in gewisser Weise eine verdichtete Fortsetzung dieses Gedankens.
Trümmer, Tränenform und Interaktion – Welchen Stellenwert hat Ästhetik bei der Erarbeitung Deiner Installationen?
In erster Linie geht es mir bei meiner Arbeit um konzeptuelle Stringenz.
Bild: Studio Michael Sailstorfer
Alles andere als standardisiertes Denken: Was möchtest Du damit beim Betrachter auslösen?
Ich möchte die Rezeption meiner Arbeiten nicht endgültig festlegen. Oft setzen sie unmittelbar einleuchtende Themen – Zeitlichkeit, Transformation, Gewalt, Ironie. Aber es geht ja bei der Erfahrung von Kunst nicht nur um Verstehen, sondern um affektive Adressierung. Bestenfalls öffnen sich also Imaginationsräume, worin die Arbeiten zu individuell prägenden Bildern werden.
Damit kommen wir nun auch schon zu der Frage aller Fragen, die mir beim Betrachten deiner Arbeiten auf der Zunge brennt: Wie definierst Du den Begriff Kunst für Dich?
Der Begriff Kunst greift dort, wo nichts gemusst wird – wo es nicht um eine einzige optimale Lösung geht.
Lässt du Dich bei der Umsetzung neuer Ideen von tagesaktuellen und –politischen Begebenheiten beeinflussen?
Als Künstler reflektiert man natürlich ständig über tagesaktuelle und -politische Begebenheiten. Diese fließen in die Arbeiten ein. Aber ich finde Arbeiten, die visuell und inhaltlich stark genug sind, um gegen diese Einflüsse ausgelegt werden zu können – die diesen also in gewisser Weise standhalten – am gelungensten.
Du sprichst von gelungenen Arbeiten: Hast Du Vorbilder im Kunstbereich?
Es gibt immer wieder Referenzen, die in meinen Arbeiten sichtbar werden. Ich denke etwa an eine bestimmte kinetische und (post-)minimalistische Linie der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre. Oft integriere ich Verweise auf historische konzeptuelle Positionen in meine Praxis. Für die performative Installation Silver Cloud ist Michael Heizers Arbeit Bern Depression von 1969 beispielsweise eine wichtige Referenz. Mit der Unterstützung Harald Szeemanns bearbeitete der Künstler im Rahmen der Ausstellung When Attitudes Become Form bekanntlich den Bürgersteig vor der Kunsthalle Bern mit einer Abrissbirne.
Die berühmt-berüchtigte Ausstellung wurde später noch in anderen Städten gezeigt: Was passiert im Anschluss mit deiner Installation Silver Cloud?
Die Spuren des Wolkenregens sind ephemer – die Betonfläche soll wiederhergestellt werden. Die Wolke bleibt als Skulptur bestehen. Während der performativen Installation entsteht ein Video, das durch unterschiedliche Einstellungen und Aufnahmegeschwindigkeit die onirischen Aspekte des Handlungsablaufs hervorstellen soll.
Bild: Studio Michael Sailstorfer
Deine Arbeiten sind von Umwandlung, vielmehr Umgestaltung geprägt: Wann hast Du diese Form der künstlerischen Auseinandersetzung für Dich entdeckt?
Diese Haltung war von Beginn an da. Meine Kunst lebt von der Auseinandersetzung mit dem Gegebenen, und zwar in einem sehr buchstäblichen, materiellen Sinn.
Was hältst du von der zunehmenden Kommerzialisierung des Kunstbereichs?
Historisch gesehen waren Kunst und Kommerz in unserem westlichen Kontext nie strikt getrennt. Der Leitgedanke guter Kunst war aber zu keinem Zeitpunkt ein kommerzieller. In diesem Sinn geht es mir immer wieder um die Herausforderung, die nächste gute Arbeit zu entwerfen.
Hat sich die Bedeutung von Kunst in unserer Gesellschaft verändert?
Die Frage ist doch immer, welche Zeit und Art von Kunst gemeint ist: Es gibt trotz des Anscheins eines vereinheitlichten Kunstfelds aktuell ein breites Spektrum künstlerischer Praktiken und Zirkulationszusammenhänge. Die Frage nach der Bedeutung lässt sich, finde ich, nicht ohne weiteres beantworten.
Na, das hört sich doch, ganz gleich ob ausführlich beantwortet oder nicht, als Abschluss sehr gut an. Ich bedanke mich für das interessante Gespräch!
Eine unbeantwortete Frage, die zum Nachdenken anregt – ein mehr als passendes Ende für das Interview… Ich freue mich über den neuen Input und mache mich gleich mal auf den Weg zur Installation in Berlin. Falls Ihr auch Interesse an Silver Cloud, seiner Kooperation mit COS haben solltet, schaut vom 28. April bis 1. Mai 2016 zwischen 10 und 16 Uhr in seinem Studio vorbei. Ich freue mich über euern Erfahrungsbericht und vielleicht sieht man sich ja vor Ort!
Bild: Julian Gadatsch
COS x Michael Sailstorfer Installation Silver Cloud
Studio Michael Sailstorfer
Liebermannstraße 24
13088 Berlin
Siegmar
28. April 2016 at 12:38Interessantes Gespräch, lohnt sich nach Weißensee zu fahren, ab morgen ist in Berlin Galerie-Weekend, der gibt es spannende Arbeiten zu sehen, besonders in den Galerien auf der Potsdamer Str., besonders Harland Miller bei Blain/Southern. Bin gespannt.
Nachgefragt bei … Karin Gustafsson und Martin Andersson von COS / Teil II des Interviews | Horstson
10. Juni 2016 at 10:54[…] Bestandteil bei COS: Künstlerkooperationen! Erinnert Ihr euch noch an die erste Begegnung mit Michael Sailstorfer? KG: Wir wollten schon immer mal mit einem Künstler innerhalb von Deutschland […]