Interview

Nachgefragt bei … Christian von der Heide

Bild: Atelier Christian von der Heide

Billige Massenproduktion? Fehlanzeige! Christian von der Heide ehrt mit seinen Arbeiten die klassische Handwerkskunst und zeigt einmal mehr, dass Luxus nicht zwangsläufig mit Dekadenz und Protz einhergehen muss: Die streng limitierten „objects trouvés“-Editionen seines Markenkonzeptes chvdh gefallen mir dabei mindestens so gut, wie seine selbstgestalteten Duft-Flakons. Für Horstson habe ich den sympathischen Designer zum Gespräch gebeten und nebenbei sein Hamburger Atelier kennenlernen dürfen

Welche Rolle spielt Ästhetik für dich?
Eine unerlässliche Rolle. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ich mit meinen Arbeiten immer die herkömmliche Auffassung von Ästhetik bediene. Ich mag mindestens genauso gerne Brüche. Wobei, in denen steckt ja auch wieder der Anspruch von Ästhetik. Man muss die Formen von Ästhetik erst einmal kennenlernen, um sie anschließend brechen zu können.

In deinem Pressematerial sprichst du von der „Verweigerung der oberflächlichen Welt“: Was ist damit gemeint?
Ich bin oftmals ein anstrengender Gesprächspartner, weil ich immer alles wissen möchte und Gesagtes auch infrage stelle. Mein Wesen an sich, vermutlich liegt es an meiner Erziehung, verneint ein passives Konsumieren. Wir sind leider viel zu oft dazu verführt, alles wunderbar zu finden: Dieses passive Berieseln verhindert eine Reibung, die durchaus wichtig für Kreativität ist. Genau deshalb spreche ich von Verweigerung. Mir geht es dabei weniger darum, die gesellschaftliche Peitsche rauszuholen. Das ist nicht das Ziel meiner Arbeit. Ich persönlich wünsche mir mehr Leute, denen diese dekorative Oberfläche nicht ausreicht, die genauer hinschauen.

Das wiederum entkräftet unser eigentliches Bild von Mode, nicht?
Genau darum geht es mir. Ich habe ursprünglich Mode in Hamburg studiert und tatsächlich lag dieser Punkt, dieses oftmals oberflächliche Bild von Mode, nicht in meinem Interessensgebiet. Erfolgreich Mode „made in Germany“ zu fertigen, ist beinahe unmöglich geworden. Das Bild von Mode wird bei uns allzu gerne künstlich überzogen: Mode muss exklusiv sein, glänzen und noch immer größer aufgezogen werden.

Nicht kleckern sondern klotzen…
Ich stelle mir an diesem Punkt folgende Frage: Was ist wirklich echt? Ist ein Modeschmuck, der exorbitant teuer vermarktet wird, mehr wert als etwas, das vom Materialwert teurer ist? Ich möchte diesen Prozess überhaupt nicht werten, denn Künstlichkeit ist auch Teil meiner Arbeit: Ich breche sie auf und lote sie im Anschluss neu aus. Wie und wo lassen sich Begehrlichkeiten finden, die wir noch nicht kennen?

Wo siehst du dich selbst: Kunst oder Mode?
In der Mode sehe ich mich definitiv nicht im Bereich der Bekleidung, jedoch bewege ich mich mit der Entwicklung von Düften ganz nah an der zugehörigen Schnittstelle. Bei Dita von Teese ging es zum Beispiel darum, wie das Kleid zum Flakon passen könnte. Keine einfache Aufgabe, vor allem, wenn eine Kampagne gestaltet werden soll.

Klingt einleuchtend.
Unser Bedürfnis nach Mode und Schmuck birgt keinerlei Notwendigkeit. Im Grunde genommen brauchen wir doch nur etwas, das uns warmhält. Dieses Bedürfnis nach Mode und Luxus kommt woanders her.

Was meinst du damit?
Ich glaube, dass man genau aufpassen muss. Man darf seine Kunden nicht ausnutzen, um schnellstmöglich viel Geld zu scheffeln, sei es durch Werbung und Massenware. Kunden brauchen immer auch einen fassbaren Gegenwert. Aktuell ist diese Form der Auseinandersetzung nicht mehr häufig genug gegeben. Bei Dita war das so, das wir wahnsinnig lang überlegt und diskutiert haben, wie ein Flakon auszusehen hat: Wenn du ihn einmal anfasst, merkst du, dass er sich bei aller Femininität sehr streng und gradlinig anfühlt.

Gibt es dafür eine Begründung?

Das hat die Ursache, dass ich mit Dita sehr lange über Themen wie Frauenbilder, ihre Rolle als Vorbildfunktion und Sexsymbol für Männer gesprochen habe. Sie möchte durchaus betören, es geht ihr jedoch auch um eine Form der Emanzipation. Diese sehr aufstrebenden Linien, diese strenge Formgebung des Flakons, soll genau dieses Gefühl der Emanzipation symbolisieren. Die Assoziation vom Korsett, die man unweigerlich beim Gedanken an Dita bekommt, weckt ihrer Meinung nach weniger das Gefühl vom Einbinden eines schwachen Körpers, sondern vielmehr die aufrechte Körperhaltung einer stolzen Frau. Geradlinigkeit, die im Flakon widergespiegelt wird.

Klingt verständlich.
Das ist ein gutes Beispiel um zu zeigen, dass man nicht nur an der Oberfläche bleiben muss: Man muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen können. Ich hätte auch ganz einfach etwas Pinkes gestalten können, um anschließend zu sagen: „Das ist unsere Dita!“
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Bild: Atelier Christian von der Heide

Wie ist es eigentlich zu deiner Zusammenarbeit mit Dita von Teese gekommen?
Es war einfach eine glückliche Fügung. Über ein anderes Projekt wurde man auf mich aufmerksam; eines Tages klingelte bei mir das Telefon und die Arbeit begann.

Wie sah das erste Treffen aus?
Denkbar unspektakulär. Wir haben uns erst einmal ohne Dita in Düsseldorf getroffen und uns gefreut, dass Dita Interesse an einer Zusammenarbeit hat. Das war bei einem Lizenznehmer, bei dem wir vor Ort alle Formalien geklärt haben. Kurze Zeit später ging es dann wirklich los und wir sind nach Paris geflogen.

Bitte weitererzählen, ich bin ganz gespannt!
In einem Schloss, das etwas außerhalb von Paris liegt, habe ich sie dann zum ersten Mal persönlich getroffen. Das war eine malerische Kulisse, auf einem Hügel, versteckt von der Außenwelt. Wir haben uns dort zurückgezogen und samt Entourage und Nase gearbeitet.

Du meinst ihre zusätzliche Nase?
So nennt man im Fachjargon den Parfümeur, der Düfte komponiert. Diese Art der Zusammenarbeit war unglaublich spannend und man konnte bei den Gesprächen ausmachen, was ihr als eigenständige Person wichtig war. Wie entwickelt sie sich weiter? Sie hat ja nicht nur Wäsche verkauft sondern maßgeblich den Burlesque geprägt. Ihr eigentlicher Charakter hinter der perfekt inszenierten Fassade „Dita“ bleibt dabei oftmals verdeckt. Soviel sei verraten: Dieses reine Erotikthema ist nicht Hauptbestandteil ihrer Person.

Kopfkino: Champagnerglas.
Das ist ja nur der Anreiz, den sie bedient. Sie ist sehr charmant, fein und höflich. Bei unserem Treffen ging es ziemlich lange um unsere beidseitige Detailversessenheit. (lacht)

Welche Details genau?
Bei dem Flakon hatte sie wirklich ganz genaue Vorstellungen, nicht nur bei der Optik. Sie wollte unbedingt eine Perle miteinbeziehen, um ein feines Klacken beim Sprühen wahrnehmen zu können. Dieses Geräusch sollte aber keinesfalls zerbrechlich klingen, bei einem Glasflakon keine leichte Sache. Wir haben uns schließlich für eine Bakelitperle entschieden, diese klingt wesentlich schöner als eine Glasperle.

Klingt extrem detailverliebt…
Solche Details werden sonst nur selten beachtet und viele hätten sich an diesem Punkt gesagt: Wir haben keine Zeit für Extravaganzen. Der Markt ist von Geld getrieben und wir müssen uns anpassen. Umso spannender fand ich, dass wir uns die Zeit genommen haben. Das passiert nicht allzu oft.

Apropos, wir reden von Düften und dem dazugehörigen Schaffensprozess: Wie riecht Dita?
Ihre Vorliebe bei Düften spiegelt im Grunde genau ihre Haltung wider. Einerseits verführerisch anderseits stark und selbstbewusst. Wobei stark nicht intensiv bedeutet, sondern sich auf ihre Persönlichkeit bezieht. Aber jedoch nie eindimensional oder flach.
Eine Veränderung des Duftes in ihrem Tagesablauf hat für sie ebenfalls eine große Rolle gespielt: Sie ist sehr spitzfindig, was ihre eigenen Düfte angeht und hasst es beispielsweise, wenn man sich im Flugzeug oder Taxi komplett einnebeln muss. Sie will nicht, dass ihr Duft überall verteilt wird, deswegen auch die separate Duft-Phiole in Handtaschenform neben dem großen Standflakon.

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Bild: Atelier Christian von der Heide

Weg von Dita, hin zu dir: Welchen Duft trägst du privat?
Ich trage nicht wirklich viel Parfum. Wenn ich welche mag, sind es meist sehr alte Düfte. Die ersteigere ich, ähnlich wie Wein, auf Auktionen. Rechtlich gesehen ist das nicht immer einfach.

Was meinst du damit?
Mit der Zeit wurden viele Bestandteile wie Allergene ersetzt und ausgetauscht. Mit der Zeit bleibt dann nicht mehr viel von der ursprünglichen Kreation übrig, peu à peu werden die Duftkompositionen quasi skelettiert.
Ich habe das Glück, dass ich Nasen kenne, die mich mit Einzelanfertigungen versorgen. Christian Plesch von Nasengold hat mir mal hinterhergeschnüffelt und mir einen ganz eigenen Duft zusammengestellt. Bis heute arbeiten wir am Feinschliff und ich kann schon einmal verraten: Es wird klasse!

Wird es einen Launch im Rahmen deiner „objects trouvés“ geben?
Genau. Ich habe meiner Nase einen vollkommenen Freibrief für alle Inhaltsstoffe meines neuen Duftes gegeben – auch Kosten sollen hier bewusst keine Rolle spielen. Christian hat seine komplette Freiheit und ich freue mich, dass ich hierfür nicht massentauglich arbeiten muss. Es wird einen Duft geben, der viel teurer und dreckiger wird, als es der Markt erlaubt. (lacht)

Echter Dreck?
Dreck darf man nicht unterschätzen: Früher waren durch die natürlichen Rohstoffe Düfte automatisch nicht rein und steril, sondern hatten dadurch einen ganz besonderen Lüster, der durch die rein chemische Duftherstellung leider verloren gegangen ist.

Lüster?
Als Lüster bezeichnet man also ein gewisse Strahlkraft oder einen Charakter eines Duftes, also etwas nicht wirklich Fassbares. Alte Düfte wurden oftmals mit animalischen Rohstoffen hergestellt. Die teuersten Rohstoffe sind tierisch, Amber und Zibet (Anm. d. Red.: Amber stammt aus dem Verdauungstrakt von Pottwalen). Eigentlich weckt das eher unappetitliche Assoziationen, in der richtigen Verdünnung allerdings wirken sie auf Menschen wie Pheromone.

Und entscheiden über eine Zu- oder Abneigung…
Dieses Gefühl eines Näherkommens, gerade weil jemand interessant riecht, entspricht meinem Anspruch. Ich möchte eine Begegnung erzeugen, die dieses Gefühl von Zuneigung erschafft, egal ob frisch geduscht oder verschwitzt. Ehrlich gesagt ist das doch der Effekt, den wir uns alle wünschen: Das heimische Nest, der perfekte Partner oder echte Freunde.

Man darf als gespannt sein?
Wir entwickeln diese Idee stetig weiter und auch beim Flakon gibt es schon konkrete Ideen: Wir arbeiten mit unserem Hamburger Silberschmied zusammen und der wiederum sorgt für eine außergewöhnliche Optik. Ein massiver Sterlingsilber-Flakon mit Industriecharme. Innen liegt eine Glasphiole, die von diesem Silbergehäuse ummantelt wird. Wieder einmal stellt sich hierbei die Frage, was „echten“ Luxus ausmacht.

Der zweite Teil des Interviews folgt in Kürze.

  • Siegmar
    13. November 2014 at 11:10

    wirklich tolles Interview und die Arbeiten von ihm sind eh “ Weltkasse „, Dita von Teese ist für mich eine spannende Frau die wirklich Stil hat und den auch vermittelt.

  • Manfred
    13. November 2014 at 16:01

    Gutes Interview, kannte ihn nicht

  • Monsieur_Didier
    13. November 2014 at 18:53

    …ich kann meinen Vorkommentatoren nur beipflichten: …ein tolles Interview und für meinen Geschmack und Empfinden sehr spannende, runde, satte Arbeiten…!

  • Nachgefragt bei … Christian von der Heide, Teil 2 | Horstson
    14. November 2014 at 11:49

    […] Christian von der Heide ehrt mit seinen Arbeiten die klassische Handwerkskunst und zeigt einmal mehr, dass Luxus nicht zwangsläufig mit Dekadenz und Protz einhergehen muss: Die streng limitierten „objects trouvés“-Editionen seines Markenkonzeptes chvdh gefallen mir dabei mindestens so gut, wie seine selbstgestalteten Duft-Flakons. Anbei die Fortsetzung des Gesprächs für Horstson (Teil I gibt es hier zum Nachlesen) […]