Interview

Nachgefragt bei … Anton Meyer

(Bild: Mit freundlicher Genehmigung, Anton Meyer)

Wo findet man heutzutage den perfekten Anzug? Polyesterfalle oder Massenabfertigung beim Discounter ausgeschlossen! Einen zeitlosen Schnitt, gut verarbeitet und nicht dem Modezirkus samt Mustermix verfallen – ohne plakative Extravaganzen.
Max Meyer-Abich und Marc Anthony folgen mit ihrem Label Anton Meyer dem Vorhaben, deutsche Männer besser anzuziehen. Spätestens an dieser Stelle bin ich neugierig geworden und möchte mehr über die Geschäftsidee erfahren. Für Horstson horche ich nach, das klingt doch mal nach einem spannenden Thema. Also: Hörer in die Hand, Interviewtermin vereinbart. Ein Gespräch über Blumenstielösen, Understatement und Engpässe bei der Warenlieferung – Max Meyer-Abich steht Rede und Antwort.

Lass uns gleich mal ins kalte Wasser springen und über Eure ehrgeizige Geschäftsidee sprechen, okay?
Natürlich, sehr gerne! Das klingt nach einem guten Start, lass uns loslegen: Gemeinsam mit meinem Geschäftspartner Marc wollte ich von Anfang an Anzüge anbieten, die ordentlich sitzen und vom Schnitt her passen. Die nicht nur irgendwie, sondern richtig gut sitzen. Bei uns in Deutschland gibt es da auf jeden Fall noch Luft nach oben. Marc führt seit 20 Jahren eine eigene Maßschneiderei, er ist daher mein perfekter Partner für Anton Meyer. Wenn ich ihn frage, was in Deutschland eine klassische Konfektionsgröße 50 ausmacht, bekomme ich schneller eine Antwort, als ich schauen kann.

Dieselbe Frage gebe ich an Dich zurück!
Bei Hugo Boss ist eine 50er-Konfektion beispielsweise auf den Bundesdeutschen ausgelegt – sagen wir mal Standardgröße 1,82 Meter. Das haut aber im real life nicht immer hin, schließlich gibt’s Männer mit den unterschiedlichsten Proportionen. Auf diese Erfahrungen basierend haben wir unsere Schnitte entwickelt. Der hier ist beispielsweise schmal, sehr britisch und hat zwei Schlitze.

Das klingt doch schon mal nach meinem Geschmack…
Dann war es uns immens wichtig, dass wir in Europa produzieren. Also nicht „Blut an den Händen“, „Bangladesch“ oder „da fackelt dann halt mal eine Fabrik ab “, nein. Genau das wollten wir nicht. Mir liegen bei Anton Meyer Kleinigkeiten am Herzen, das erzähle ich immer gerne zur Veranschaulichung. Man kann beispielsweise den Unterschied von einem Plastik- und Hornknopf an einem Jackett fast nicht mehr ausmachen. Trotzdem will ich bei uns immer Hornknöpfe haben.

Weil die Hornvariante eine andere Haptik aufweist?
Ja, wobei: Das bekommt ein Plastikknopf mittlerweile auch ziemlich gut, wenn nicht sogar besser hin. Horn ist als Naturprodukt empfindlicher. Die Variante aus Plastik zerbricht nicht so schnell. Trotzdem, ich will bei unseren Entwürfen lieber Hornknöpfe verwenden – das wirkt wesentlich wertiger. Kennst du den Trick dafür?

Jetzt bin ich gespannt!
Wenn man das ganz genau haben will und sich nicht sicher ist, ob nun Horn oder Plastik bei seinem Anzug verarbeitet wurde: einfach Feuerzeug dran halten und testen! Je nachdem stinkt es dann nach Plastik oder eben Horn. (lacht)

Bild: Mit freundlicher Genehmigung, Anton Meyer

Clever, das merke ich mir. Wer macht bei Euch die Order?
Wir sind ein ganz kleines Team, demnach bin ich da auch mit eingebunden. Wir versuchen alles eigenständig zu machen, wollen mit den wichtigen Entscheidungen flexibel und in house bleiben. Ich sitze tagtäglich mit Marc zusammen, wir sitzen Tür an Tür. Er ist hauptsächlich mit seiner Maßschneiderei zugange, die hat er seit vielen Jahren hier in Hamburg. Das operative Geschäft von Anton Meyer geht über meinen Tisch. Trotzdem besprechen wir uns immer. Bei uns geht das ganz schnell, wir müssen da nicht viel diskutieren. Stoffauswahl, welche Saison, welche Schnitte – zack, zack. Maria, unsere Leitung im Bereich Einkauf/ Logistik, bringt das dann in Form und schickt anschließend die Order raus.

Lass uns gerne auf die Stoffe zu sprechen kommen!
Wir haben ausschließlich Stoffe aus England, Italien und Österreich im Sortiment, da gibt es Tausend verschiedene. Dieser hier ist von Loro Piana, der fühlt sich fantastisch an und sieht top aus. Wenn man dafür jetzt in deren Store gehen würde, ist man schnell mal ein Vermögen los. Ein Dreiteiler geht da gerne mal für 2000-3000 Euro über die Ladentheke. Bei uns kostet er ein paar Ecken weniger, 595 Euro.

Stichwort Preispolitik…
Bei vielen Anzugherstellern sind die Margen so obszön hoch, dass einem schier schwindelig wird! Mit Anton Meyer gehen wir das Ganze anders an. Das ist frei nach dem Motto „Leben und leben lassen“. So kann man seine Anzüge in Portugal fertigen lassen und trotzdem realistisch kalkulieren. Wir produzieren direkt neben großen Namen wie Armani oder Paul Smith, das geht prinzipiell über dieselben Maschinen.

Und trotzdem könnt Ihr mit vertretbaren Preisen punkten!
Ganz genau. Das ist bis heute unsere Grundvoraussetzung geblieben: Lass uns ein Produkt machen, bei dem die Leute nicht über den Tisch gezogen werden. Der Schnitt ist durchweg gut, die Qualität ebenfalls. Wir wollen die Leute nicht über’s Ohr hauen, das bringt langfristig keinen weiter. Da würde ja kein Mensch wiederkommen. 95% unserer Neukunden kommen auf Empfehlung bei uns rein, Mund-zu-Mund-Propaganda. Dafür, dass wir überhaupt keine Werbung schalten, finde ich das schon geil.

Das mit der Werbung ist mir bei der Recherche auch aufgefallen…
Naja, das hat einen ganz einfachen Grund. Wir haben kein Budget, das wir blindlings raushauen könnten. Zudem hatten wir lange keinen richtigen Online-Shop.

In heutigen Zeiten gilt das oftmals als KO-Kriterium, nicht?
Du hast völlig Recht, bei uns war es aber glücklicherweise nicht so. Das mag jetzt total überheblich klingen, aber: mit dem Laden lief es viel zu gut. Wir waren selbst etwas überrascht von der rundum positiven Resonanz. Da kam alles andere erstmal zu kurz, an der Website haben wir daher immer nur nebenbei gebastelt.

Glückwunsch, solche Geschichten hört man beim sonstigen Einzelhandelsschwund gerne.
Dankeschön! Das sollte man ja eigentlich nicht erwähnen, weil das auch doof rüberkommen kann. Aber, es ist halt so gewesen. Wir hatten es mit einem echten Luxusproblem zu tun – viel zu wenig Ware. Kein Scherz, bereits nach kurzer Zeit mussten wir die Produktion hochfahren. Wir haben mit zwei Warenlieferungen pro Jahr begonnen. Da kam dann ein Truck vor den Laden gefahren und alles wurde ausgeräumt, ausgepackt und verkauft. Heute kämen wir damit nicht mal ansatzweise hinterher.

Wie oft wird heute nachgeliefert?
Wir kriegen pro Monat etwa 500 Ärmelteile geliefert, die sind ganz schnell wieder weg…

Bemerkenswert, dass Ihr nicht Höhenluft geschnuppert habt. Da gibt es ja genügend Beispiele, die nach oben schnellen und genauso rasant Pleite gehen.
Du hast völlig Recht, leider. Aus dem Grund haben wir kein fremdes Geld mit reingenommen. Wir haben ganz klein angefangen und mit unseren Ersparnissen gewirtschaftet. Da mussten wir natürlich genau schauen, was sich mit dem ersten Budget machen lässt. Wir hatten keine lästigen Banken oder Investoren im Nacken sitzen, das war natürlich ein befreiendes Gefühl. Da gab es auch keine Startup-Runden, wo man fremde Gelder für schicke Dienstwagen oder Eames Chairs verprassen konnte.

Kein High Life?!
Nee, überhaupt nicht. So machen es ja mittlerweile immer mehr Startup-Unternehmen, leider. Da hört man dann Geschichten, wo jeglicher Realitätsbezug verloren ist: „Erste Finanzierungsrunde mit 6,5 Millionen“. Das sind dann blutjunge Neuunternehmer, die plötzlich in quadratmeterstarken Lofts residieren und auf dem Papier 850 Mitarbeiter leiten wollen. Da frage ich mich dann manchmal, was das Ganze soll. Bei Anton Meyer haben wir das nie gehabt, wir schmücken uns nicht mit fremden Federn.

Durchaus löblich.
Kennst du PeterLicht? Der bringt es mit seinen Gedanken ganz gut auf den Punkt: „Wir haben uns alle beschriftet“. Ich finde die These in diesem Kontext durchaus passend und kann nur einwilligend nicken! Ich hasse zum Beispiel auch plakative Logos und Marken. Ich kann dem ganzen Bling nichts abgewinnen.

Die letzten Saisons wohl eher kaum wegzudenken!
Klar, es gibt auch ikonografische Ausnahmen. Ein paar Labels, die ich fantastisch finde. Da gibt es nichts drum rum zu reden, die haben von ihren Konzepten her alles richtig gemacht. So wie deine Kappe: Supreme ist eine starke Marke, ähnlich ist das beim Lacoste-Krokodil oder dem Levi’s-Fähnchen. Die sind über Jahre hinweg gewachsen und haben sich zum Klassiker entwickelt.

Bild: Mit freundlicher Genehmigung, Anton Meyer

Spannendes Thema, dass Du da aufgreifst…
Das ist ein ganz schmaler Grat, findest du nicht? Wenn ich mir zum Beispiel diese ganzen Hermès-Gürtel anschaue, kann ich eigentlich nur schreien, wahlweise weglaufen. Verstehe mich nicht falsch, Hèrmes an sich ist ein großartiges Unternehmen, ein hochgeschätzte Marke. Das ist ein Traditionsunternehmen erster Klasse und steht für so viel Handwerk und Knowhow. Warum aber muss man dann mit so einem plakativ-fetten „H“ rumlaufen?

Ich schließe mich Dir an: Ein Hèrmes-Kunde freut sich doch eher, wenn man seine Stücke aufgrund von erlesenster Qualität und Understatement ausmacht. Ist das nicht, statt dekadentem „Schau mal her“, der Inbegriff von wahrem Luxus?
Ganz genau, richtig. So sehe ich das auch. Das ist mir persönlich lieber als Protz und Gehabe. Böse Zungen würden das „Großkotzigkeit“ nennen. Darf man das mal so frei heraus sagen? (lacht)

Ein Thema, das polarisiert!
Ich könnte jetzt Stunden weiter darüber diskutieren, da gibt es mehr als genug Redebedarf. Um den Bogen wieder in die richtige Richtung zu spannen: Genau diese Aversion ist mit Grund dafür, warum es bei Anton Meyer keine plakativen Logos und Marken gibt. Die Anzüge sollen für sich sprechen. Unsere Kunden kommen wegen Qualität und perfektem Sitz zu uns. Nicht, um jedem Trend hinterher zu jagen.

Da wären mitunter die erlesene Stoffauswahl oder der Einsatz von Hornknöpfen. Was unterscheidet Euch noch von anderen Anbietern?
Das sind Kleinigkeiten, die selten auf den ersten Blick ins Auge fallen: Beispielsweise offene Ärmelschlitze. Ich sehe die mittlerweile nur noch zugenäht, ist das zum Standard geworden? Ich denke mir dann oft „Das ist doch fake“, dann braucht man die auch überhaupt nicht zu machen. Dann wäre da das Stielthema: Eigentlich trägt fast keiner mehr eine Blume am Revers. Trotzdem kommen immer mal wieder Kunden rein, die es eben doch gerne täten. Deshalb haben wir uns mit der Blumenstielöse ein pfiffiges Detail überlegt.

Das musst Du mir erklären!
Wenn man den Stiel in das Blumenknopfloch am Revers schiebt, schaut die Blüte oben raus. Dank der unsichtbaren Öse hält das Ganze richtig fest, ansonsten ist die Blüte oben schwerer und fällt zur Seite. Musst du mal ausprobieren, das hilft wirklich…

Wie kommst Du auf solche Feinheiten?
Glücklicherweise sitze ich ja mit Marc an der Quelle, wenn es um Detailfragen geht. In der Schneiderwelt sind Feinheiten wie die Blumenstielöse Gang und Gäbe – also gibt es das auch bei Anton Meyer. Pro fertigen Anzug kostet uns das höchstens ein, zwei Euro mehr. Die Öse wird per Hand reingenäht und fällt beim Tragen nicht weiter auf. Das ist zwar ein Detail, das viele Menschen übersehen beziehungsweise nicht wirklich nutzen, trotzdem empfinde ich es als wichtig.

Wahre Liebe zum Detail…
Da gibt es ja ganz viele Dinge, die so nicht mehr produziert werden. Schau dir mal die kleinen Halbmonde an der oberen Taschenkante an, die findet man nicht mehr so häufig. Der Anspruch des Anzugträgers hat sich verändert: Heute gibt es unglaublich viele Leute, die beruflich Anzug tragen müssen und den verhältnismäßig schnell verschleißen. Die sagen sich dann beim Einkauf: „Der hält jetzt ein Jahr, maximal zwei, danach kommt der weg!“ Die halten sich selten an Details wie Hornknöpfen oder Halbmonden auf.

Ihr verfolgt jedoch einen anderen Ansatz.
Richtig. Wir wollen Anzüge anbieten, die lange halten. Unsere Jacketts sollen nicht nach ein paar Saisons aussortiert werden. Die können ruhig nach sechs, sieben Jahren ausgeribbelte Ärmel haben. Ordentlich Patina, das erzählt spannende Geschichten und sieht auch noch gut aus. Klar, Business-Männer kommen mit dem Ansatz rein, dass sie genügend Zweiteiler im Schrank hängen haben. Das können wir auch gut bedienen, unsere Preise sind schließlich nicht zu hoch angesetzt.

Der zweite Teil des Interviews folgt in Kürze!

Ich hoffe, dass Euch der Herrenausstatter-Einblick gefällt und freue mich natürlich über Feedback.

ANTON MEYER (HAMBURG)
Kleine Johannisstraße 7
20457 Hamburg
040 / 794 164 88
Öffnungszeiten: Montag – Freitag 10 bis 19 Uhr / Samstag 10 bis 18 Uhr

ANTON MEYER (MÜNCHEN)
Brunnstraße 8
80331 München
089 / 2324 1822
Öffnungszeiten: Montag – Freitag 10 bis 19 Uhr / Samstag 10 bis 18 Uhr