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It‘s Showtime! Streetstyles als Inzenierung

Wer auf die clevere Idee kam, das als Streetstyles zu bezeichnen, was die Fashion-Press, Branchen-Insider, It-Girls, Stars und Sternchen und Couture-Kundinnen auf dem Weg zur nächsten Schau in Paris, Mailand, London oder New York tragen, hatte es wohl nicht besonders mit der Realität.
Niemand geht zu Chanel & Co., ohne Aufhebens um seinen Look zu machen, mittelgroße Überlegungen zum Outfit, der Frisur und so weiter angestellt zu haben. Das hat mit Mode von der Straße im eigentlichen Sinne also ungefähr noch so viel zu tun, wie Schuhplatteln in der Steiermark mit Modern Dance in New York.
Aber auch losgelöst von dem Hype um die immer gleichen Frauen und Männer, die vor den Schauen von denselben Bloggern fotografiert werden, zu denen jede Saison mehr bilderhungrige Blogger dazukommen, ist die Frage, die sich Parisoffice von den Modepilotinnen diese Woche gestellt hat, legitim: Muss der Streetstyle sich neu erfinden?
Der Versuch einer relativ kurzen Antwort: Streetstyle sollte zurück zu dem Punkt gehen, an dem Streetstyles noch davon handelten, was ganz verschiedene Menschen auf der Straße tragen. Looks, die sie sich davor selbst aus ihrem Fundus zusammen gestellt haben. Und diese Menschen sind naturgemäß nicht alle im Fashion-Business beschäftigt, oder Chefredakteurinnen der VOGUE, oder tendenziell unterbeschäftigte Ehegattinnen von Oligarchen… und so weiter im Ranking der liebsten Motive vieler Blogger.

Modisch mitunter ins tragisch komische hinüber gleitende Fashion Victims, die wirklich alles tragen würden, um aufzufallen, als eigene Kategorie oder Rubrik auf den Blogs zu führen, würde ich begrüßen.
Weder die wahlweise hübsch und/oder niedlich anzuschauenden Anziehpüppchen Chiara Ferragni, Hanneli Mustaparta, Elin Kling, Alexa Chung und deren klamottenverrückte Freundinnen, noch die sich selbst als Fashion Victim bezeichnende Anna Dello Russo, sind echte Steetstyle-Role-Models. Wie es im Film von Stylecollective so schön lautet: Viele der begehrten Strretstyle-Icons werden von Stylisten beraten, leihen die Klamotten nur für den Anlass einer Schau …

Wie inspirierend kann deren Geschmack, der entweder ohnehin nur in Spurenelementen vorhanden ist, oder einfach nicht durch das professionelle Handwerk des Stylisten hindurch blitzt, sein?
Alleine die italienische Starbloggerin Chiara Ferragni hatte als Review ihrer Fashion Week Outfits nicht weniger als dreiundzwanzig verschiedene Designer-Looks aus dem Segment der High-Fashion, mitsamt teuren Handtaschen (es wimmelte von Hermès und Chanel) und Schuhen im Wert von geschätzten 200.000 EURO zu Markte getragen. Was soll das noch mit Streetstyles zu tun haben?
Ganz sicher ist es geschickt von den Marketingleuten und Werbern der großen Marken, sehr dünne und hübsche Bloggerinnen, an denen die Klamotten so gut wie an Models wirken, ins Rennen zu schicken. So soll eine Verbindung zwischen den unnahbaren Bildern in von A-Z durchkomponierten Runwayshows und der Werbung des Labels hin zur Streetwear gebildet werden. Und die Bloggerinnen können sehr gut davon leben und ertrinken in all den Goodies, die Luxuslabels und andere Designer liefern lassen.
Mit der originell interpretierten Mode, die man irgendwo rund um den Erdball auf der Straße sehen kann, wenn man nicht mit seinem Lieblings-Role-Model verabredet ist, hat das gar nichts zu tun.
Zwar schadet es nicht, gut gemachte Bilder dieser Verabredungen zum gar nicht so spontanen Steetstyle, wie ihr sie zum Beispiel bei The Sartorialist, Garance Doré, Yvan Rodic (The Facehunter), Tommy Ton bei Style.com und deren Fotografen-Kollegen findet, ab und zu durch zu stöbern. Aber eben immer mit dem Wissen, dass es sich dabei größtenteils um die gut auf diese Fotografen vorbereitete Crowd der Fashion-People handelt. Schön anzuschauen sind diese Bilder ja! Wenn sich das Model Elettra Widemann (im Header: Tochter von Isabella Rosselini) im tollen Mustermix noch einmal für Scott Schuman umdreht und ihm einen perfekten Gesichtsausdruck schenkt, oder?
Ansonsten bin ich mit meiner Meinung zu den Bloggern, die zumindest vor den Schauen wie nette Heuschrecken über die Besucher herfallen ganz bei Suzy Menkes und ihrem tollen Artikel „The Circus Of Fashion.“ Darin beschreibt die führende Modejournalistin und -kritikerin, wie sich die Fashion Crowd von ehemals „Schwarzen Krähen“ in Yohi Yamamoto und Comme des Garcons gekleidet, hin zu dem Bild von bunten und Räder schlagenden Pfauen, die auf spinnendünnen Beinen herumstaksen und posen, entwickelt hat.
An dieser Entwicklung tragen Modeblogs – insbesondere jene, deren Betreiberinnen selbst zum noch kleinen Kern des „Skinny Legs Business“* zählen, den größten Anteil.

Wer ob der vielen Streetstyle-Bilder etwas Genaueres über die tollen Kollektionen von Louis Vuitton, Chanel, Gucci, Burberry & Co. nachlesen will, die sich Chiara, Hanneli, Alexa, Elin und deren Kolleginnen aus der Frontrow anschauen können, der wird an vielen Stellen fündig werden, nur nicht auf deren „Modeblogs“. Das ist der Treppenwitz der Modeblogger-Geschichte, dass die Frauen und Männer, die von den Luxusmarken am meisten gehätschelt werden, gar nicht über deren Kollektionen berichten.
Blogs wie der von Hanneli Mustaparta (2-3 Posts pro Monat), Elin Kling, The Blonde Salad (Chiara Ferragni) und Alexa Chung sind nichts anderes, als Promotion-Plattformen, die als Werbejob-Turbos und Goodie-Garanten der hübschen Frauen dienen, bei denen es davor nur beinahe zum Model reichte ….
Aber ein schöner Anblick sind sie ja, in all den geliehenen und geschenkten – eben nicht Streetstyles … manchmal aber auch zu dramatisch, wenig inspirativ und irgendwie stereotyp und langweilig.
Wir sind gespannt, wie sich hier in naher Zukunft die Spreu vom Weizen trennen wird und ob überhaupt. Wie lange Luxusmarken noch an diesen Weg in der Kommunikation glauben … und vor allem darauf, wie die Leser mittelfristig über Erfolg und Misserfolg der gestellten Streetstyles und Styleblogs entscheiden werden.

Skinny Legs Business: so nenne ich das Geschäft der StabloggerInnen und It-girls. Alles, was du dafür brauchst, sind bleistiftdünne Beine …

  • Volker
    15. April 2013 at 15:53

    Danke für den interessanten Bericht und de Hinweis auf das Video. Jetzt fehlt nur die 180 Grad Wende der Marken um den Irrsinn zu stoppen 😉

  • Siegmar
    15. April 2013 at 16:43

    Diese Artikel mag ich sehr, gib es doch das wieder was ich auch darüber denke. Facehunter ist gut und die Bilder die er unter Ivan Rodic postet gefallen wir auch sehr. Bei de FW in Berlin sah ich schlimmste Verkleidung nur um aufzufallen, bei den ganzen Blogger/in wie bei den Z-Promis, die in jede Kamera gegrinst und gepost haben und wenn es nur die Überwachungskamera auf dem frauenparkplatz war.

  • Daisydora
    15. April 2013 at 17:44

    @Volker

    Mit Vergnügen … ob es zu dieser Wende kommt, wir werden sehen. Ich erwarte zuerst noch das Schlimmste, wenn dann mehrere „deutsche Starbloggerinnen“ von Kopf bis Fuß in Louis Vuitton und so weiter posen. Erste Anzeichen dafür gab es leider schon. 🙂

    @Siegmar

    Ich freue mich über Deinen Zuspruch, danke. Ich mag die Blder auf facehunter auch am liebsten, wobei mir einige der Leute, die Scott Schuman immer wieder trifft, modisch sehr gut gefallen. Ich sehe schon, für Berlin während der Fashion Week braucht man Nerven 😉

  • Franzi
    15. April 2013 at 19:59

    Ein sehr sehr schönen Post und vor allem mal jemand der die Wahrheit schreibt.
    Denn das was die Zeitschriften oder Fashionblogs als Streetstyle verkaufen sind meistens echt große Werbeverträge.
    Es ist schön das jemand mal so ehrlich die Meinung äußert ich bin begeistert. Weiter so.
    http://www.thfranzi.blogspot.com

  • Holger
    16. April 2013 at 08:14

    Wunderbarer Artikel. Wer braucht noch all die immer gleichen Bilder von den immer gleichen Menschen, die absolut nichts mit der Wirklichkeit auf der Strasse zu tun haben. Ein Blog mit mal ein paar richtigen Streetstyles wäre eine Wohltat.
    Wann lässt endlich das Interesse an Menschen wie TheSartorialist nach, die uns Bloglesern eine Kunstwelt als Realität vorgaukeln wollen….

  • Horst
    16. April 2013 at 12:33

    Seh ich genauso, ähnlich ist es im Grunde genommen ja auch im kleinen Kreis, mit Goodies, die stolz wie Oskar auf irgendwelchen Blogs gezeigt werden.

    Das Video vom Modepiloten finde ich übrigens super!!

  • Barbara alias parisoffice
    17. April 2013 at 12:03

    Lieber Horstson, danke für die Verlinkung auf unser Video und die noch detailgetreuere Darstellung von dem, was Kathrin Leist und ich, Barbara Markert, (nicht Modepilot, das war ein Privatprojekt) mit dem Video deutlich machen wollten. Das Ganze ist ein dickes Business geworden und ich für meinen Teil denke, dass ich keine It-Girls mehr auf Modepilot ablichten will.

  • Daisydora
    17. April 2013 at 13:14

    @Franzi

    In diesem Fall haben wir ja nur nachgearbeitet und das tolle Video der Kollegin verwendet, aber dankeschön, wir sind ja auch sonst eher gegen den Strich gebürstet. 🙂

    @Holger

    Auch Dir dankeschön. Ich glaube, es wird dazu kommen, dass der Leser lernt, die verschiedenen Angebote auf Blogs richtig zu bewerten und dann ist das auch wieder OK. Ein Teil der Leute fotografiert ja sehr gut und mit etwas Distanz kann man deren künstliche Streetstyles auch konsumieren …. 🙂

    @Horst
    Genau … ja, das Video ist super! 🙂

    @Barbara alias parisoffice

    Liebe Barbara, wir haben Dir/Euch zu danken … euer Vido ist wirklich klasse und das Thema sollte gerade auf so guten Modeblogs wie Modepilot weiterhin beobachtet werden, um den modeaffinen Lesern dennoch ihr Quentchen Realität in all dem Glitzer und Glamour zu sichern.

    Für mich ist es auch wichtig, den großen Marken damit Flagge zu zeigen. Auch wenn Chiara Ferragni noch so süß darin aussieht, was soll das bringen, wenn sie einmal in Dior Klamotten mit Miss Dior Flacon die Treppe runterschwebt – was im Vergleich zu einem guten Model und/oder Natalie Portman einfach grob von Hand gestrickt und billig wirkt …. und dann bei Coachella mitten in der Wüste mit Hermès Handtasche da sitzt, wie bestellt und nicht abgeholt. Wer Dior und Hermès kaufen kann, informiert sich nicht auf Styletagebücher-Blogs ….

    Aber wem sage ich das, danke 🙂

  • Shout-Outs: Der Wochenrückblick | Fashion Insider
    19. April 2013 at 16:37

    […] hat in den meisten Fällen schon lange nichts mehr mit kreativen Looks von der Straße zu tun, aber lest am besten […]