„Wie viel Flohmarkt verträgt ein Luxuslabel?“, war mein erster Gedanke, als ich in dieser Woche die Kollektion der neuen Gucci Women’s Linie von Alessandro Michele, dem Designer des Hauses, in Mailand sah. Schon die Herrenkollektion im Januar, die mit dem Wechsel der Geschlechter spielt, gab einen Hinweis darauf, dass Michele scheinbar eine konsequente Änderung und einen Stilwechsel herbeiführen soll. Doch damals war Vorgängerin Frida Giannini noch an der Kollektion beteiligt und das Haus ließ verlauten, dass Michele lediglich die Entwürfe der Designerin umgestylt, verändert und andere Models ausgewählt hat. Nach der Show stand dann als Zeichen der Gemeinschaftsarbeit das ganze Team auf der Bühne. Michele rekrutierte sich dann, kurz nachdem wild über Namen wie Riccardo Tisci und Co. spekuliert wurde, als Nachfolger von Giannini.
Es stellt sich also gar nicht erst die Frage, ob die DNA von Gucci erlernt werden muss – Alessandro hat sie seit Jahren inhaliert. Er kommt aber aus einer ganz anderen Generation von Designern als seine Vorgänger und hat andere modische Ideale, wie man schon in der Menswear-Kollektion spürte. Sicherlich werden Bestseller wie Horsebit Loafer, Logo Gürtel oder auch die Bamboo Bags nicht aussterben. Diese Bestseller sind auch dringend nötig für den Konzern, der mit Sicherheit Umsatzzuwächse plant …
Bilder: Gucci; PR
Tom Fords beliebter Gürtel mit der Logoschnalle erscheint schon im ersten Look der Damenkollektion, allerdings auf einem Crêpe Plisseerock im Stil der Siebziger in Kombination mit einer strengen Chiffonbluse. Man hat ein wenig das Gefühl, dass Michele für einen Typus von Mädchen denkt, die zwischen „American Beauty“ und „The Virgin Suicid“ von Sofia Coppola liegt. Eine gewisse „Slimanisierung“ beschleicht meine Gedanken bei den Looks aus hochtaillierten Faltenröcken, der Bluse mit oder ohne Schluppe (Yves Saint Laurent Rive Gauche lässt grüßen!) und den übergeworfenen Pelz- oder Militärmänteln. Vintage-Grunge mit Luxusappeal 2015?
Bilder: Gucci; PR
Das Spiel mit dem Verschwimmen der Geschlechter wird in dieser Kollektion fortgesetzt und teilweise muss man zwei Mal hinschauen, wenn sich einzelne Durchläufe aus der Männer-Show in die Looks einreihen.
Vintage-Reminiszenzen an die Sixties und Seventies finden sich in jedem Look: Spitzentops, See-through Blusen, Falbala-Effektkleider, raffinierte Details und – schaut man die Details an – fast „couturige“ Elemente wie goldene Bienen-Stickereien und Vierziger Jahre Applikationen.
Bilder: Gucci; PR
Anklänge an Filmkostüme der Vierziger, ein bisschen italienische Nachkriegsmode, aufgemischt mit Elementen von Gucci wie blumigen Seidendrucken und Klassikern wie Trenchcoat oder Hosenanzüge in bester Gucci-Tradition der Siebziger. Auch die Taschen atmen diesen Geist: frisch recherchiert in dem neu eröffneten Gucci-Museum und Archiv in Florenz zeugen sie vom Ruhm der Florentiner, die praktisch die Accessoires Weltmarke der Sechziger und Siebziger waren, Amerika mit ihren Produkten prägten und zum Mythos wurden. Beim genauen Hinsehen entdeckt man Spitzenteile, die abseits von dem sind, was uns die meisten Taschenlabels präsentieren. Die Horsebit Loafer in Fell erinnern mich übrigens nicht nur an Céline, sondern auch an Meerschweinchen. Im Winter wird frau sie vermutlich eher als Hausschuh tragen …
Bilder: Gucci; PR
Ein Label wie Gucci kann man nicht leise revolutionieren – die Gratwanderung ist immens und sehr radikal. Vielleicht geht es nicht anders, wenn man wirklich etwas bewegen will und man muss verstören und Fragen aufwerfen. Ein Schritt, der in wirtschaftlich unruhigen Zeiten sicherlich nur mit dem Synonym des Wortes „mutig“ etikettiert werden darf. Wie die Gucci-Kundin darauf reagieren wird, was final in den Boutiquen hängen wird und ob Gucci das Experiment gewinnt, sind die Antworten, auf die ich gespannt bin und die die „Mode-Kommerz-Realität“ klären wird.
Bilder: Gucci; PR
Eigenständigkeit und Mut fehlen vielen Labels, weil sie Unsicherheit bedeuten – also etwas, das Konzerne und Shareholder Values nicht gern eingehen. Aber vielleicht liegt darin die realistische Gewinnchance, in einer immer gleichförmiger werdenden Fashion Szene, das Anderssein Erfolg bringt. Alessandro Michele wird zeigen, wie er seinen Auftakt fortsetzt und wo der Weg für Gucci hingeht.
Ich bin gespannt, wann ich die ersten Bilder der Streetwear-Fotografen auf Blogs der „Meerschweinchen“-Horsebit-Loafer sehe und hoffe für die Trägerin, dass es an dem Tag nicht regnet. Die Blusen find ich hingegen grandios und ihr Comeback ist nicht mehr aufzuhalten – Weiblichkeit von seiner schönsten Seite …
Horst
2. März 2015 at 10:37SUPER! Beste Kollektion aus Mailand! (Und die Meerschweinchen-Loafer sind der Knüller, aber auch dicht an Acne)
blomquist
2. März 2015 at 10:39Ich liebe diese Kollektion.
gerold
2. März 2015 at 11:55Bravo für Mut, der der Branche vielfach abhanden gekommen ist.
Bravo aber auch für einen eigen Stil!
Bin von der Kollektion begeistert. Mit der Männerkollektion habe ich nach wie vor meine Problem, obwohl schöne Elemente enthalten sind. Ein neuer Gucci… denn die letzten Saison waren waren schon ein kalter Kaffee.
Naja mit dem Fellpuschen habe ich meine Problem… nicht von der Optik, sondern vom Material …aber das zieht sich ja durch die gesamte Saison auf den Laufstegen und drum herum.
Siegmar
2. März 2015 at 12:26ich finde die Kollektion ebenfalls absolut toll, leider gefallen mit diese Zotteldinger nicht.
Manfred
2. März 2015 at 12:39Wo ist denn Guccis Sexappeal hin?
Monsieur_Didier
2. März 2015 at 13:44…ich finde die Fellpuscheldinger lustig, möchte die aber nicht nach mehrmaligem Tragen sehen, wenn das Wetter nicht so dolle ist…
und ansonsten ist mir bei dieser Kollektion dekorativ einfach zu viel los, für meinen Geschmack dürfte es auch etwas weniger sein…
nicht so wie bei Jil Sander, aber etwas wenig doch schon 😉
Lookbook: Gucci Pre-Fall 2015 | Horstson
14. März 2015 at 09:38[…] denn von Alessandro Micheles großartigem, romantischen Einfluss (siehe zum Beispiel hier die Damenkollektion, und hier die Entwürfe für die Männer) finden wir hier leider noch nichts: Bilder: […]