Allgemein

Influencer ohne Einfluss

Wenn hunderttausende Vögel zugleich zwitschern, ist es schwer herauszuhören, was ein Spatz auf dem Dach der Schwalbe, die es fürchterlich eilig hatte, mitteilen wollte.
Assistant Professor Sinan Aral, der an der Stern School of Business der New York University lehrt, fragt seine Hörer zu Beginn einer Vorlesung danach, wer aus dem Auditorium dem Schauspieler Ashton Kutcher auf twitter folgt. „aplusk“, so sein twitter-Name, hatte 2009 als erster Nutzer überhaupt mehr als eine Million Fans. Im April 2013 waren es bereits 14 Millionen. Ihr wisst, Ashton war es noch nicht mal zu doof, Billboards dafür zu mieten, auf denen er „Wildfremde“ darum bittet, ihm auf twitter zu folgen.
Mit dem Ergebnis, dass die Mehrheit im Hörsaal die Hand hebt, wenn Professor Aral nach Ashtons Followern fragt. Bei der Anschlussfrage „wer schon einmal etwas getan hat, weil Ashton es vorgeschlagen hatte“, bleiben fast immer alle Hände unten. Wenn man dafür, keinen Einfluss auf Öffentlichkeiten – sprich Menschen als Verbraucher – zu haben, ein Influencer von eigenen Gnaden mit 14 Millionen Followern sein muss, na denn gute Nacht Marie.

Im Umkehrschluss bedeutet das: facebook und twitter sind Instrumente der Selbstbelohnung, die den eigenen Hunger auf Feedback von „Freunden“ und „Followern“ stillen. Also wahrscheinlich nicht eben selten diese etwas nervigen spätpubertären Fragen „sehe ich darin nicht total gut aus?“ oder „habe ich das nicht wieder ganz toll gemacht?“ stellen, um mit likes, retweets und Antworten* das Aufmerksamkeitsdefizit auszugleichen.

Im wirklichen Leben, dessen Teilnehmer Menschen und Märkte sind, funktioniert aber alles wie eh und je. Early Adopters, die Innovatoren, ermöglichen mit ihrer Neugier, Aufgeschlossenheit und Expertise, dass Markenhersteller und Dienstleister mit Innovationen den Markt entern können … nicht selten waren die Early Adopters zumindest indirekt an der Entwicklung der Innovationen „beteiligt“.

„Wenn Kutcher der Inbegriff eines Meinungsführers ist, aber niemand seinen Vorschlägen folgt, inwiefern hat er dann Einfluss?“ Akteure und Entscheider des Marketings und bei Agenturen sollten sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Insbesondere lohnt es, die echte Substanz der twitter-Stars und facebook-Hansdampfe-in-allen-Gassen „unserer“ Branche kritisch zu hinterfragen, deren Energie den Fokus auf Ranking-Kosmetik legt. Ein Blogger bestellt heute den Acker befreundeter Blogger mit retweets und shares und umgekehrt.

Seit gut zehn Jahren glauben Marketingentscheider daran, dass wer genügend „Freunde“ und „Follower“ hat, aus der Macht der „Meinungsführer“ Kapital schlagen kann. „Sie glauben, dass sie ihr Produkt nur einigen gut vernetzten Verbrauchern verkaufen müssten, die lautstark ihre Meinung verkünden. Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis diese sich wie ein Lauffeuer verbreite.“ Darauf setzen viele Entscheider und geben Millionen dafür aus. „Nach und nach, so die Hoffnung, könnten Kampagnen in Netzwerken und Mundpropaganda die traditionellen, teuren und ineffizienten Methoden der Massenwerbung ablösen.“

Mag sein, dass professionelle Kommunikation in Sozialen Netzwerken und über virale Filme in Zukunft einen noch größeren Stellenwert im besten Mediamix für die jeweilige Branche und deren Zielmärkte, die ja auch in Zukunft immer Menschen sein werden, einnimmt, aber bei Mode, Luxusgütern und ähnlichem werden wir „The Day After Advertising“ nie erleben, weil niemand zu H&M rennt, weil die Enkelinnen von „Kohlhiesels Töchtern“ sich im Fähnchen aus der aktuellen Kollektion fotografiert haben und das auf ihre Styletagebücher (Modeblogs) stellen, die Bilder über facebook und twitter verbreiten. Von High-Fashion-Marken und den Luxuslabels, ohne Werbung, die von Topfotografen mit Topmodels oder Celebrities gemacht ist, ganz zu schweigen. Das funktioniert anders garantiert nicht.

Man muss den Nachwuchs, der mit den Designer-Kopien von ZARA, H&M und Topshop groß gezogen wurde, langsam daran heranführen, auch mal Originale zu kaufen … die es schließlich auch zu vernünftigen Preisen von vielen Labels abseits der High Fashion gibt. Ob das der Social Media Credibility der edlen Spender hilft, Bloggerinnen mit eindeutiger Verankerung in den Klamotten der Vertikalen, mit geliehenen Taschen von einem Luxuslabel auszustatten, die sie sich eigentlich längst kaufen können müssten, so viel liest man gerade über deren Erfolge, wage ich zu bezweifeln. Mich schreckt das eher ab, wenn ich den Eindruck gewinne, da wird mit dem Bauchladen verteilt und nicht auf Stil und Klasse der Akteure geachtet.

Aber am Ende wissen erfolgreiche Marken, wie wenig klassische Werbung genug ist und wie viel „Social-Media-Spielwiese“ in Web, auch auf Blogs, dem guten Ruf nicht schadet. Der Erfolg von Marken ist heute – wie schon seit der Erfindung des Marketings – Ergebnis des richtigen Mix von Innovationen und Klassikern, bekanntgemacht mit Werbung, PR und Gezwitscher auf allen Kommunikationskanälen, zu denen auch echte Mundpropaganda und Empfehlungen von Verbrauchern zählen, die das „Produkt“ tatsächlich gekauft haben.

Mit der Anzahl der Follower, den tweets und retweets und geteiltem „Content“ auf facebook hat das – wenn überhaupt – nur zufällig zu tun. Hätten damals, vor mehr als zwanzig Jahren, nicht erst mal wenige Innovatoren, zumeist in der Grafik bei Werbeagenturen beschäftigt, als Early Adopters an einen Computer namens MacIntosh fest geglaubt, dann gäbe es sehr wahrscheinlich all das tolle „Zeugs“ nicht, mit dem sich heute auch all die Imitatoren lifestyletechnisch in Szene setzen können, die damals wahrscheinlich lieber einen billigen PC von ALDI gekauft hätten, weil Bloggerin X das so empfohlen hat.

Daisy Fazit: Mit dem, was uns Early Adopters ermöglichen, die ihre Informationen garantiert nicht aus Sozialen Netzwerken, sondern aus Fachforen und Fachmagazinen beziehen, lässt es sich dann aber ganz vortrefflich zwitschern. Mit etwas Fantasie kann man den „Nachmachern“ zumindest Schwarmintelligenz bescheinigen. Man tut halt so, als sei man Influencer. Wer fragt Influencer schon nach ihrem Einfluss?

Da habe ich doch glatt auch einige Fuzzelchen von Vorlesungen Professor Sinan Arals an der NYU zum Thema gefunden.

Influence In Social Media

Sinan Aral on the Power of Social Influence

Da möchte man doch glatt noch mal Student sein, oder?

Alle, die mehr zum Thema aus dem Artikel „Die Macht der Meinungsführer“ von Professor Sinan Aral herauslesen wollen, können das hier im Harvard Business Manager tun.

  • Horst
    22. Juli 2013 at 10:58

    Interessante Sichtweise, auch der Vergleich zum Aldi PC; Den Hype um aplusk – was ein sehr sehr gutes Beispiel von Schwarmintelligenz ist – ist treffend. Da fallen mir auch ruckzuck einige andere ein 😉

  • Enrico
    22. Juli 2013 at 15:17

    Hm, also einen Promi als Influencer zu sehen ist aus meiner Sicht völlig falsch. Man kann damit eine grundnegative Argumentation sehr populistisch unterstreichen, das wars dann aber auch.

    Die, die tatsächlichen Einfluss haben wurden von den meisten Marken auch schon identifiziert. Dass das nicht mit jedem Produkt funktioniert liegt auch auf der Hand, wenn meine pot. Kunden kein Twitter nutzen kann ich sie dort auch nicht erreichen (Überraschung!)

  • Siegmar
    22. Juli 2013 at 15:29

    Ich denke die wenigsten haben tatsächlich irgendeinen Einfluß, besonders nicht diese ganzen Tweeter und Facebook-Geschichten, in Zeiten wo sich sogenannte Z-Promis Fans bei Facebook etc. kaufen um noch ein paar Cent zu generieren gibt es nicht mehr wirklichen Einfluß ich sehe es eher so wie Enrico.

  • Daisydora
    22. Juli 2013 at 15:41

    @Enrico

    Die faktische Grundlage zu meinem Bericht bildet das, was Professor Aral und seine Kollegen zum Thema Meinungsführerschaft auf der Basis wissenschaftlicher Erhebungen herausgefunden haben. Wenn Du daran interessiert bist, dem auf den Grund zu gehen, kannst Du das in Gänze im Harvard Business Manager nachlesen.

    Wenn ich Dich richtig verstehe, findest Du es unzulässig, Prominente als Meinungsführer zu bemühen oder zu zitieren, Das ist für mich ehrlich gesagt nicht nachvollziehbar, da deren Credibility, auch wenn da manchmal oder möglicherweise oft Fantasiewerte hinterlegt sind, ja schon weit über der nicht bekannter Nutzer Sozialer Medien liegt.

    Wer sind denn die, die tatsächlich Einfluss haben und den Marken bekannt sind?

    Meine Einstellung den Sozialen Medien gegenüber ist nicht negativ, ich hinterfrage nur Fehlentwicklungen kritsich und in diesem Falle hier unter Zuhilfenahme dessen, was an Forschungsergebnissen existiert. 🙂 Wissenschaft ist mir allemal lieber, als Impression Management, das aus den Sozialen Medien nicht wegzudenken ist, oder?

    (die Follower von Kutcher nutzen ja twitter). Aber D’Accord, nichts in der Kommunikation funktioniert pe se bei jedem Produkt gleich gut.

  • Daisydora
    22. Juli 2013 at 15:49

    @Siegmar

    Genau das hat man herausgefunden. Nämlich, dass die, die irgendwas kaufen oder sich erst mal dafür interessieren, das so und so getan hätten, wenn sie es denn tun und auch dann nicht tun, wenn sie es nicht tun wollen und alle bei facebook oder twitter dafür sind. Die Wirkung von Prominenten in der Kommunikation ist weit überschätzt, aber hier geht es ja darum, zu untermauern, dass die Zahl der follower eigentlich keine Aussagekraft hinsichtlich einer beeinflussenden wirkung hat … drum ist Ashton überhaupt mit von der Partie 🙂

    @Horst

    Danke, ich bin ganz sicher, dass da, hätte man wegen der „Wirkung“ ungestützt in die Runde gefragt, viele davon ausgegangen wären, dass die Zahl der Follower und Freunde hinsichtlich der Möglichkeiten, diese persönlichen Zielgruppen zu beeinflussen, vom Gegenteil ausgegangen wären …. 🙂 … sonst machte das Sammeln von Followern ja kaufmännisch gesehen auch keinen Sinn …

  • Enrico
    22. Juli 2013 at 16:49

    @Daisydora

    Du verstehst mich da richtig. Es gibt ausreichend „Experten“ in diversen Themengebieten, die auch von „der Community“ akzeptiert werden. Das sind keine Promis, zumindest nicht im klassischen Sinne. Und wenn diese Menschen etwas testen oder empfehlen kann ich aus eigener Kampagnenerfahrung sagen, dass das dann auch gekauft oder zumindest beobachtet wird.

    Warum man jetzt einem Promi irgendetwas glauben sollte erschließt sich mir nicht. Als Testimonials in breit angelegten Kampagnen taugen sie gut, weil man von deren Strahlkraft und Bekanntheit profitieren kann, aber in sozialen Netzwerken zählt eben das Vetrauen in den Publizisten höher als dessen Prominenz.

    Wie gesagt, ich finde den Ansatz Kutcher als Beispiel völlig falsch, weil er eben ein Promi und kein Influencer ist (die bemessen sich nämlich in der Tat nicht in der Quantität der Kontakte).