Damenmode

Dior Spring-Summer 2017 – Maria Grazia Chiuris Weiblichkeit

(Foto: © Morgan O’Donovan)

Manchmal ist es ganz gut, wenn man öfters hinschaut und auch ein wenig Zeit verstreichen lässt, um über eine Kollektion zu berichten. „Gut Ding will schließlich Weile haben“, wie ein altes Sprichwort sagt. Etwas, was wir in der Mode fast verlernt haben, obwohl die Ende September in Paris gezeigten Kollektionen ja erst für das Frühjahr gedacht sind. Dennoch findet die Berichterstattung Schlag auf Schlag nach den Schauen statt und lässt es auch den Modejournalisten kaum Zeit zu reflektieren. Dabei werden dann vorschnell Urteile gefällt, die der Kollektion bei längerem Hinsehen gar nicht gerecht werden.
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Foto: © Morgan O’Donovan

Gerade in der Welt der Luxusmode und des gehobenen Prêt-à-porter gibt es Looks, die neben den Runwayreißern und den spektakulären „Auf-Wirkung-in-den-Socialmedia-Kanälen-angelegten“-Modellen ihre Preise durch Langlebigkeit und wahren Stil beweisen. Diese Entwürfe kommen leiser daher, werden dann aber von den Frauen um so lieber gekauft. Sie haben auch eine deutlich längere Verweilzeit in den Kleiderschränken und das Potenzial zu Lieblingsteilen.
Für solche Teile sorgt jetzt massenhaft die Designerin Maria Grazia Chiuri, in Paris die heiß erwartet ihre Debütkollektion bei Christian Dior ablieferte. Das weiblichste aller Modehäuser, gegründet von einem Mann, der Frauen mit Blütenkelchen verglich und in einer Zeit, als die Welt im Gegensatz zu jetzt, von Entbehrung und Hunger nach femininer Mode wie ein ausgetrockneter Schwamm Romantik und Eleganz begierig aufsog. Kein Haus steht bei seinen Designs so für das Bekenntnis zur Weiblichkeit. Jetzt, nach fast siebzig Jahren, entwirft das erste Mal eine Frau die Mode für die Frauen – eine Novität, blickt man auf die ehemaligen Designer des Hauses.
Nur zehn Jahre nach der Gründung mit dem „New Look“ verstarb Christian Dior und das 21-jährige Jahrhundertgenie Yves Saint Laurent übernahm das berühmteste und damals wirtschaftlich stärkste Modehaus der Welt.
1960 erschien dann aus der Londoner Dependance ein Designer, der heute fast nicht mehr erinnert wird, aber die längste Zeit die Kreation führte – und das immerhin 29 Jahre sehr erfolgreich: Marc Bohan. Gianfranco Ferré folgte, dann John Galliano, der den großen Glamour zurückbrachte und das Haus mit spektakulären Haute-Couture-Schauen und flamboyanten Prêt-à-porter versorgte und den Übergang in die Dimension brachte, in denen sich heute Häuser wie Louis Vuitton oder Chanel befinden.
Raf Simons wiederum stand für den totalen Gegensatz und verlieh dem Haus ein Gesicht von echtem gegenwärtigen Design mit Dior-Heritage und wesentlich puristischerer Allüre und Alltagsappeal.
Eins haben sie aber alle gemeinsam – es waren Männer, die mit ihren Augen sahen, was sie glaubten, das die Wünsche der Frauen erfüllt; wie sie aussehen möchten und ihr Bild der Weiblichkeit mit den Dior-Attributen versahen. Dass jetzt eine Frau für Frauen dieses Bild ganz anders interpretiert, ist der zweite Punkt, warum die Premiere doppelt spannend ausfiel.
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Fotos: Courtesy of Dior

Dabei erscheint in Maria Grazia Chiuri keine Anfängerin, sondern eine gestandene Frau mit Kindern, die bereits mit Pierre Paolo Piccoli bei Fendi zusammenarbeitete und dann über mehrere Jahre Valentino zu dem machte, was das Label heute ist. Während Pierre Paolo Piccoli die romantischen Renaissanceinspirationen in die Kollektion einbrachte, stand Maria Grazia Chiuri besonders für die modernen Attribute der Kollektion. Dass es eine gehörige Umstellung ist, wenn man über Jahrzehnte alles zu zweit gemacht und entschieden hat, dann plötzlich allein macht, ist klar, aber Frauen haben ja – so sagt man – bessere Nerven und auch die Gabe, sich umstellen zu können. Eines vorweggesagt, Maria Grazia Chiuri geht ihren eigenen Weg bei Dior und den mit Bravour.
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Fotos: Courtesy of Dior

Analysiert man die Looks, die sie in einem puristischen Dekor auf Holzbänken, ohne die grau-weißen Louis XVI.-Elemente, für die das Haus so berühmt ist, zeigte, findet man nicht nur alle Dior-Elemente sehr „heutig“ interpretiert, sondern es gibt auch gekonnte Anspielungen auf jeden ihrer Vorgänger und Zitate. Das Ganze schafft sie in einer Schlichtheit, ohne Froufrou zu verpacken und eine gute Balance von Weiblichkeit und Basics zu kombinieren.
Natürlich gab es sofort Stimmen, die bei den Trenchcoats und weißen Jeans mit Fransen laut wurden – so etwas gibt es woanders auch! Dabei wird vergessen, dass Frauen, die Haute Couture oder Prêt-à-porter tragen, eben nicht bei Zara oder anderen Massenlabels kaufen, sondern in ihrem Level konsumieren. Im Endeffekt die Teile, die nachher gefragt sind und weltweit in den Städten getragen werden.
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Fotos: Courtesy of Dior

Den Anfang der Show machten ganz in weiß gehaltene Durchgänge von Kostümen und Ensembles, die an Fechter erinnern, die für Sportlichkeit stehen. Fechtjacken als Ablöser für Bikerjacken, dazu plissierte und sehr feminin gesmokte ausgestellte Gazarröcke oder Caprihosen. Weiße Blusen mit überlangen Manschetten – eine Hommage an die Ferré-Zeit, gesteppte Westen mit flammendem Herzenstick. Dazu Slip On-„Vans“ im Stil von Dior mit der aus der Herrenkollektion übernommenen Biene oder hohe Ringerstiefel. Die schmalen, wunderbar sitzenden Zigarettenhosen zu spitzen Pumps in Dior-Manier machen eine super Figur – das war schon zu Raf Simons Zeiten eine Geheimwaffe Diors. Pure Materialien in glatter Optik, wie Popeline, werden von Maria Grazia Chiuri gegen halbtransparenten Gazar gesetzt. Hier und da blitzen simple Motto T-Shirts und Träger auf: „We Should All Be Feminists“ – eine Anspielung auf Gallianos „J’adore Dior“-Shirts Anfang des Jahrtausends.
Die Shirts lässt Maria Grazia Chiuri zu puren Luxus werden, indem sie dazu langen schwarzen Tüll über den Runway schickt, der mit silbernen Stickereien im Stile Marcel Vértes und Raoul Dufy bestickt ist. Beide Künstler stellte übrigens Christian Dior in seiner Galerie aus, bevor er sich dem eigenen Modehaus verschrieb.
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Fotos: Courtesy of Dior

Highlights waren auch die weißen Richelieu- und Klöppelspitzen-Kleider, die, wie in den Sixties, mit Hotpants darunter getragen wurden. Sie sind unkompliziert geschnitten und verspielt im Material und wurden zu in den Endsechzigern, wie sie Marc Bohan prägte, Diors Bestseller.
Was dann folgt, ist ein wunderbares Dior-Item nach dem nächsten – alles in einer ganz wunderbaren Version für 2017; gebrochen und voller Ideen mit den raffiniertesten Materialien.
Die Bar-Tailleur-Jacke der ersten Kollektion mit schlichtem T-Shirt und durchsichtigem Plisseerock im Schwarz-weiß-Farbcode oder umgedrehter Version. Eine Abfolge von Bikerjacken und Kleidern in der Farbe, die sogar den Namen des Hauses trägt, das blaustichige „Dior-Rot“.
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Fotos: Courtesy of Dior

Trägerkleider, die, wie es Dior bezeichnete, wie umgedrehte Blütenkelche wirken, wurden von Maria Grazia Chiuri mit „We Should All Be Feminists“- und „J’adore Dior“-Bandträgern geschmückt. Das Korsett aus Guipurespitze, einer Spezialität aus Calais, das man unter den neuartigen Schöpfungen der neuen Silhouette tragen musste, wird kurzerhand verlängert und veredelt und zum Abendkleid gemacht. Der Pünktchenchiffon wird zum Sommerkleid im Stil der Fifties, die Blütenstickereien, die Mitte der Fünfziger Jahre gemeinsam mit Brossin de Méré entwickelt wurden, werden in Nudetönen und Creme zu Trenchcoat getragen oder in bodenlangen Kleidern zum dezenten Eventereignis.
Kaschmirpullover mit Sternen und Mondintarsien erscheinen zum Abend wie selbstverständlich. Das Ganze endet in einem fulminanten Finale von über und über naiv bestickten Roben, die schließlich in Sonne und Nacht münden; alle ein Hauch von Nichts aber immer schamvoll verhüllt. Traumkleider, die wie moderne Feen wirken, sich aber nicht in den Vordergrund drängen. Maria Grazia Chiuri liefert Glamour mit leisem Unterton.
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Fotos: Courtesy of Dior

Dass Luxus durchaus was mit Alltag zu tun hat, dass er nicht laut ist und dass die Selbstverständlichkeit und die Trägerin im Vordergrund steht, sind Eigenschaften, die sicherlich nicht nur damit begründet werden können, dass Maria Grazia Chiuri eine Frau ist, sondern auch damit, dass sie spürt, dass die Weiblichkeit den Alltag beherrschen kann, ohne aufgesetzt oder verspielt zu wirken. Accessoires eingeschlossen: Slip Ons, Pumps mit kleinen Absätzen, Taschen mit bequemen Schmuckriemen – alles großstadttauglich und schön.

Feuerprobe bestanden! Natürlich hat man bei Maria Grazia Chiuri nicht erwartet, dass sie mit Beifall heischenden Konstruktionen aufwartet. Die Kollektion zollt dem Haus und seiner Geschichte Tribut und setzt auf genau die Strömungen und das Maß, die einer Welt gerecht werden, in der Luxus nicht mehr als Statussymbol im Vordergrund steht, sondern auf leisere Töne setzt.
Maria Grazia Chiuri ist eine Frau, die für Frauen entwirft und den Dior-Traum weiter träumt. Wir sind auf die Fortsetzung gespannt.

  • vk
    31. Oktober 2016 at 13:59

    sehr cool. sehr classy. two thumbs up!

  • René
    31. Oktober 2016 at 15:29

    Ein typische „Kempe“ <3

  • Gerold
    1. November 2016 at 00:42

    Da kann ich nur zustimmen. Meine ersten Eindrücke waren eher verhalten und als ich die letzten Tage in die Tiefe gegangen bin war ich mehr und mehr begeistern von all den Details. Ich bin auch gespannt auf das was folgt wenn sich Maria Grazia Chiuris freischwimmt in den nächsten Kollektionen. Jetzt schon mal Chapeau!
    Merci für den Bericht!! grosse Klasse wie immer!

  • Siegmar
    1. November 2016 at 16:59

    sehr gut! Viele schöne, tragbare Teile !