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Die Faszination der Flakons – Guerlain

Beschäftigt man sich mit Düften und Parfum, so kommt man trotz unübersehbarer Anzahl von Modeschöpfer-Düften an dem Haus nicht vorbei, dass es tatsächlich geschafft hat, bei seinen Leisten zu bleiben und nicht plötzlich auch Schuhe, Mode oder Taschen herzustellen: Guerlain.
Das nach Houbigant zweitälteste Duft-Unternehmen der Welt, Guerlain, hat in seiner fast zweihundertjährigen Geschichte mehr als 600 Düfte erfunden und vermarktet, aber längst nicht die gleiche Anzahl von Flacon-Typen verwendet.

Der runde Flacon in Form eines Bienenkorbes samt handvergoldetem Relief mit Bienen an der Flaschenwandung, in dem einst Firmengründer Pierre François Pascal Guerlain das von ihm kreierte und der Kaiserin Eugénie gewidmete „Eau de Cologne Imperiale“ anbot, ist mit verschiedenen Stopfenformen, Etiketten und Inhalten bis heute im Handel.
Pierre François Pascal Guerlain (1798-1864) gründete das Unternehmen 1828 in der Pariser Rue de Rivoli und wurde schon Mitte des 19 Jahrhunderts offizieller Lieferant verschiedener Europäischer Höfe.
1862 übernimmt sein Sohn Aimé (1834-1910) die Geschäfte, der bis 1894 mehr als 50 Düfte entwickelt, darunter 1889 das berühmte „Jicky“, dass bis heute erhältlich und ein wunderbar eigenständiger, warmer und unverwechselbarer Duft ist. Eine Hommage an den 15 jährigen Neffen Jacques, der 1890 sein erstes Parfüm „Ambre“ entwirft und ab 1897 Hauptinhaber wird.

Jacques ist das Guerlain Genie und um die Jahrhundertwende bis in die dreißiger Jahre hinein werden die berühmtesten und noch heute original verkauften Kreationen gemacht. Mitsouko, Shalimar, L’Heure Bleue sind bis heute mit keinem neu erscheinenden Parfüm zu vergleichen und bilden sozusagen die Mercedes-Klasse der Düfte. Ihre Flakons wurden extra entworfen und bei den berühmtesten Kristall-Herstellern wie Baccarat gemacht. Mitsouko und L’Heure Bleue haben den Flacon „Bouchon Coeur“ einen mit umgedrehten Herz-Verschluss verzierten, abgerundeten, eckigen Flacon. Shalimar den „Chauve Souris“ einen wie aus drei Fächern aufgebauten Flacon.

In den dreißiger Jahren gelingt der große Wurf mit dem von Saint-Exupéry inspirierten „Vol de Nuit“ – das erste Parfüm, dass metallisch riecht. Der Flacon erinnert an einen rotierenden Propeller und es ist bis heute sicherlich einer der individuellsten Düfte.
Neben Raymond Guerlain, der sich um zum Beispiel „Vol de Nuit“ als neue Generation von Guerlain kümmert, engagiert man mit Jean Michel Frank den berühmtesten Innenarchitekten seiner Zeit für die Verkaufsräume und den Firmenauftritt. Frank gestaltet den Hauptsitz an der Champs-Élysées neu, kooperiert dabei mit Bérard und Giacometti. Bis heute sind dort diese Veränderungen zu sehen, besonders lohnenswert ist aber ein Besuch des Guerlain Geschäftes an der Place Vendôme Nummer 2. Das Geschäft ist mit seinen Sandstein Tresen original erhalten und die Wandkonsolen tragen die Flacon-Formen Guerlains, so das man sie schon studieren kann.
Raymond kreiert auch die großen Verkaufserfolge nach dem Krieg wie Chant d’Arômes, Chamade oder Parure. Die großen Herren-Klassiker wie Habit Rouge oder Vetiver sind Jahrhundert-Düfte.

Guerlain Düfte haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind bis auf die Eau de Cologne-Serie in der Bienenflasche alle nicht leicht sondern eher ausdrucksvoll und von großer Persönlichkeit. Sie bringen ihrem Träger oder der Trägerin großen Respekt entgegen, erwarten aber von diesen auch echte Persönlichkeit.
Das schöne an den Düften ist, dass die meisten, bis auf wenige Ausnahmen wie Nahéma, von Frauen und Männern getragen werden können. Wer einmal einen oder mehrere Guerlain Düfte getragen hat, ist für die übrige Duftwelt verloren – So wunderbar und betörend sind diese Düfte.
Ich benutze immer Shalimar, bin aber vernarrt in L’Heure Bleue und denke manchmal, daß Mitsouko so lecker riecht, dass ich es fast trinken möchte.

Guerlain ist wie eine Duftreligion oder eine verschworene Gemeinschaft. Es ist eben nicht das Produkt eines Modehaus, dass bis auf wenige Ausnahmen wie Chanel, dass Parfüm als Accessoire zu seinen Modelinien sieht, sondern die Düfte sind in der Regel auf die Ewigkeit ausgelegt.
Seit ein paar Jahren gehört das Haus zum LVMH Konzern und glücklicherweise ist auch dieser nicht der Verlockung erlegen (und das bleibt hoffentlich auch so) ein Multibrand-Label daraus zu machen. Außerdem achten auch sie bis auf wenige Fehlschläge darauf, dass nicht zu viele und vergleichbare Düfte erscheinen.
Obwohl teilweise schon ein Jahrhundert und mehr alt,kann ich euch immer wieder gern empfehlen einen dieser Düfte neu zu entdecken und ihr werdet sehen, man verfällt voller Sucht: Jicky oder Mitsouko – es sind die Nuancen, die einen nicht loslassen und einem die Sinne rauben. Ewige Geheimnisse und ewige Klassiker – Guerlain Parfums eben.

Alle Bilder: Guerlain

  • Monsieur_Didier
    20. April 2012 at 09:07

    …mein Lieblingsduft von Guerlain ist „Jicky“…
    ursprünglich als Männerduft erdacht, dann als Frauenduft verkauft…
    ich LIEBE Jicky…

  • Monsieur_Didier
    20. April 2012 at 09:10

    …aber in der Tat, Mitsouko und Shalimar sind wunderbar…
    sie sind was ganz wunderbares…
    Guerlain-Düfte sind eine eigene Liga, nie aufdringlich, eher umhüllend und langanhaftend…
    sie hinterlassen einen traumhaften, verträumten Eindruck…

  • Karsten
    20. April 2012 at 09:11

    Kleiner Besserwisser-Hinweis: Es heißt *der* Leisten.

  • loewenherzblut
    20. April 2012 at 09:49

    Kann ein Start in den Tag schöner und gelungener vollzogen werden als mit der Lektüre eines Textes von Dir, lieber Peter.

    Ich warte schon ganz sehnsuchtsvoll darauf, mich gleich wohl dosiert mit „Vol de Nuit“ zu umhüllen. Mein Guerlain-Favorit. Wenngleich die anderen Düfte ebenso betörend und mit großen Namen verbunden sind.

    Nun war „Mitsouko“ nicht nur der Lieblingsduft von Charlie Chaplin, Wallis Simpson, Diaghilev, Anais Nin und Ingrid Bergmann, sondern – wie ich erfahren durfte – auch eine Art „letzte Ölung“ für den Ehemann von Jean Harlow, der sich vor seinem Selbstmord mit einer Flasche des Elixirs übergoss.

    Und „Jicky“ kann ich mir auf der Haut von Sean Connery eher angenehm vorstellen als auf der von Roger Moore, die beide mit diesem Duft ihren Kampf gegen das Böse zu Wasser, zu Land, in der Luft und zwischen Bettlaken aufnahmen.

    So, ich muss jetzt ins Bad, letzter Aufruf für „Vol de Nuit“.

  • Timo
    20. April 2012 at 09:59

    Was für ein schöner Text und was für ein schöner Duft, den ich noch von meinen Eltern kenne und mir sofort wieder in die Nase gestiegen ist als ich die Zeilen las

  • Monsieur_Didier
    20. April 2012 at 11:56

    …werter Löwenherzblut…
    vielen Dank für diese detailreichen Ausführungen, die mich sehr erfreut haben…
    wie angenehm, sich mit Sean Connery und Roger Moore in so ilustrer Runde zu befinden…

  • Siegmar
    20. April 2012 at 12:26

    wunderbarer Artikel und ein sehr schöner Kommentar von Loewenherzblut

  • Ulrike Teterycz
    20. April 2012 at 15:56

    Vielen Dank für diesen schönen, bildreichen Text, samt Kommentaren!

  • Horst
    21. April 2012 at 17:33

    Guerlain hat es bisher nicht in unser Badezimmer geschafft und ich finde, es ist jetzt an der Zeit. Also beim nächsten mal Paris werde ich dem Champs-Élysées einen Besuch abstatten!! 🙂