Eines gleich vorweg: Keine Modenschau hat in den letzten Jahrzehnten so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und so einen medialen Sturm ausgelöst, wie Chanels Herbst-Winter Prêt-à-porter Kollektion, die gestern im Pariser Grand Palais gezeigt wurde …
Dabei ging es weniger um die Textilien und Accessoires, als um den einen Höhepunkt des perfekten Dekors der Show, die den Namen „Chanel Shopping Center“ trug. „Ein großes Magazin für ein großes Palais,“ stand auf einem Announcement, das von der Decke herunter hing und Karl Lagerfeld schaffte in seiner Detail Versessenheit das, was manche Foodkonzerne in jahrelanger Kleinarbeit nicht hinbekommen: Ein komplettes CI und Verpackungsdesign für das Sortiment im Food- und Non-Food-Bereich eines Unternehmens auf die Beine zu stellen – wohlgemerkt für nur eine Show! Bis in die letzte Reihe der Regale sorgsam ausgearbeitete Produkte, auf deren Labels alle Elemente und die DNA Mademoiselles auf den jeweiligen Artikel abgestimmt waren …
Bilder: CHANEL
Sofort kommt einem der Gedanke, dass solche spektakulären Momente eigentlich nur von einer Person kreiert werden können und das ist Karl Lagerfeld. Fast übermenschliche Kräfte müssen an solch einem Projekt wirken, denn auch mit viel Aufwand und großem Budget ist so etwas in dieser Perfektion nicht kurzfristig auf die Beine zu stellen. Und einer behält dabei garantiert immer die Übersicht!
Sicherlich wird es nach Lagerfeld nie wieder einem Designer gelingen, derartige Freibriefe zu bekommen, um einfach der kühnsten Fantasie freien Lauf zu lassen. Das Vertrauen zwischen der Inhaberfamilie und ihrem seit dreißig Jahren agierenden Kreativen ist grenzenlos und auf keinen Konzern übertragbar. Es wird einem immer wieder bewusst, dass Familienunternehmen halt keinen Aktionären oder dreimonatigen Gewinnprognosen verpflichtet sind. Es wird in Marke, Produkte und Materialien investiert, denn Qualität ist der Unterschied und sichert die Existenz.
Bilder: CHANEL
Das „Chanel Shopping Center“ ist ein Kaufmannsladen, den wir uns alle als Kind erträumt haben, aber in der Dimension eines Hypermarché oder der Grand Épicerie, vom Bauarbeiterhelm bis zum Vorderschinken, und immer sehr „tout chanelisè“. Hunderttausende würden ihren rechten Arm dafür hergeben, einmal in diesem Shopping Center einkaufen zu dürfen, aber wie schon Mademoiselle wusste: „Bei allem, was verfliegt, ist klar …“ Und so ist nur einen Tag später das Grand Palais wieder ausgeräumt. Wären da nicht die Zigtausend Handy- und Instagram-Fotos, würde niemand glauben, dass so etwas existiert hat.
Bilder: CHANEL
Mode und Kosmetik haben viel mit Illusion und Vision zu tun und keinem gelingt es besser, diese beiden Eigenschaften so magisch zu verbinden, wie Karl Lagerfeld. Die Vorstellung, die er im Kopf hat, auf die Zukunft zu übertragen, aber dabei immer die Elemente der DNA Chanel zu berücksichtigen, Humor einzustreuen und die Marke weiterzuentwickeln, beherrscht Lagerfeld wie kein anderer.
Der Supermarkt ist natürlich nur eine Metapher, weil er ein Ort ist, an dem sich die verschiedenartigsten Menschen mit ungleichen Ausgangssituationen versammeln, um dem Bedürfnis nachzugehen, sich mit Nahrung zu versorgen. Es ist auch ein Ort, der ideal für demoskopische Marktforschung, weil alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind. Wie Lagerfeld selbst sagt, offeriert die gezeigte Kollektion etwas für jeden Menschen.
Bild: CHANEL
Die Dame im rosé-farbenen Checked-Kostüm, mit einem Rock, der über das Knie reicht, und deren Begleiter die Taschen trägt (oben, zweites Bild), ist ebenso vertreten, wie die Kulturschaffende mit einer Plissee-Tunika, die an japanisches Design erinnert. Die „Self Service Magazin“ Frau der Neunziger, mit ihrem übergeworfenen Trapezmantel, genauso, wie das Mädchen, das vom Joggen kommt und sich den Bouclé Mantel ihrer Mutter zum schnellen Einkauf gegriffen hat.
Bilder: CHANEL
Lagerfelds „New Urban Woman“ bewegt sich auf Runningschuhen, die sich schon bei der Couture ankündigten und in einer Variation als Stiefel.
Was die ganze Kollektion bei aller Hochwertigkeit und fast überzeichneten „typischen Chanel Materialien“ ausmacht, ist eine ungeheure Lässigkeit. Obwohl im High End Preissegment angesiedelt, wird alles zur Selbstverständlichkeit und (beinahe) zufällig kombiniert. Komplett in Chanel zu sein, wirkt nicht anstrengend, sondern nach wenigen Durchgängen so völlig normal, wie der komplett gebrandete Supermarkt selbst. Es ist alles also nur eine Frage der Perspektive …
Die Grundlinie der Kollektion ist „korsettiert“, aber mit weiten bequemen, überfallenden Schultern und einer Range von diversen Längen von mittel bis lang. Bei den Materialien spielen neben dicken Tweeds und Strick, Lamé, beschichtete Materialien, Spitze, plissierte Seide, Organza und Chiffon die Hauptrolle. Layer Looks – klar, wenn man aus dem Haus geht wirft man sich diverse Kleidungsstücke über – werden kombiniert. Bei den Mänteln stehen Box-und Trapezformen (die Trapezmäntel sind ein Traum!) auf dem Einkaufszettel. 4-5-teilige Ensembles, Kleider, Jogging-Kombinationen aus Leder oder Kaschmir – je mehr Karl Lagerfeld ein Thema kommuniziert, um so mehr setzt er sich damit auseinander – erscheinen in den Gängen der Épicerie genauso, wie Abendkleider mit aufwendigen Stickereien. Mantelkleider und Trompe-l’œil Kleider wechseln sich mit geraden und flatternden Röcken oder geraden und weiten Hosen ab.
Bei den Farben dominieren Cocos Lieblinge: Schwarz, Marine und Rosé, sowie geometrische Drucke im Twenties und Fifties Design treffen auf die Frucht -, Gemüse- und Gewürzfarben der Frischetheken. Rote Beete, Pink Grapefruit, Karotte und Orange wechseln sich mit Eierschale, Senf und Safrangelb ab.
Bilder: CHANEL
Lagerfelds Chanel Einkaufkörbe mit Taschenketten und gesteppte Trolleys nehmen die Einkaufsbeute genauso auf, wie „Sunkist-Box Täschchen“, große gesteppte oder karierte Beutel. Lammleder Taschen und die Klassiker schlechthin, die 2/55 Taschen, kommen abgepackt mit Verfallsdatum als Show Gag daher. Der Schmuck ist mit Tweed verarbeitet oder Lamé-ummantelte CC-Vorhängeschlösser und Armreifen, die wie Kaleidoskope funkeln oder mit „Coco Cola“ Kronkorken besetzt sind. Besonders schön sind die Perlen-Kaskaden und die Liebesperlen Armbänder unserer Kindheit, die man dann irgendwann aufessen konnte.
Die Frisuren der Models werden mit sogenannten „Ragtweeds“ zurückgehalten – einer Art Rastalocken-Haarband aus verschiedenen Tweed-, Seiden- und Stoffstreifen, die wie Kaskaden fallen.
Bilder: CHANEL
Die Vielfalt und die ungeheure Breite der Kollektion lassen einem beim Betrachten der Looks immer neue Details entdecken und die Facetten scheinen grenzenlos zu sein. Akribie und Mühe, Handwerk und ein Feuerwerk der Ideen, hinter dem Disziplin und ein immenses Arbeitspensum stecken, kommen immer leicht herüber, obwohl sie hundertfach durchdacht und höchst kompliziert in der Ausführung sind.
Die Kollektion ist genauso schnell und wach wie ihre Runningschuhe und „The New Urban Woman“ bringt mit großen Schritten die sportliche Frau in die Luxusmode zurück. Adieu unselbständiges Luxusweibchen – Bodenständigkeit de luxe ist angesagt …
Bilder: CHANEL
Die Herbst-Winter Kollektion von Chanel wird weltweit getragen werden – auch in Supermärkten. Viele Teile werden jetzt schon zu Lieblingen, wie der gelbe Trapezmantel oder der Einkaufskorb, der geradezu ein prädestiniertes Objekt der Begierde ist.
Karl Lagerfeld und Chanel bescherten uns eine Sternstunde der Mode und Kreativität – und genau das, was Diana Vreeland einmal perfekt in einem Zitat äußerte „Man muss den Menschen das geben, von dem sie nicht zu träumen wagen!“
Der chanelisierte Carrefour ist im Grand Palais und die Heimwerkerabteilung hat auch sonntags geöffnet …
Gerd
5. März 2014 at 18:05wie immer:
der beste Beitrag zu dieser Show – bei horstson.
Danke, Peter.
Was arbeiten bei den „Leit“medien nur für Unwissende.
Horst
5. März 2014 at 18:57Ach toll, wir werden also bald Coco Cola Buttons tragen! 😀 Das find ich super!!
Markus
5. März 2014 at 19:13S E N S A T I O N E L L, no more words
Markus
5. März 2014 at 19:15wir sollten diese bilder im kopf und auf dem desktop bewahren, denn in 20 jahren wird uns sonst keiner mehr glauben das so etwas wirklich durchgeführt wurde, aufwändiger und kreativer ist nicht mehr möglich
monsieur_didier
5. März 2014 at 21:10…unfassbar…
typisch K.L., ich bin wirklich sehr begeistert und wäre nach der Show mit Sicherheit auch auf den Laufsteg gestürmt und hätte mir das näher angeschaut 😉
und da sind wieder sehr sehr schöne kollektionsteile dabei…!
gerold brenner
5. März 2014 at 22:45merci für diesen Bericht (den ich ersehnt habe, da ich Horstson’s sichtweisse sehen wollte)
wunderbar geschrieben, beobachtet, interpretiert, analysiert!
Ja es ist die unglaublichste Show… und die Klamotten Und Accessoires sind mit einer solchen Vielfalt, Innovation, Nonchalance und Kreativität das ich seit gestern immer wieder am Staunen bin. Kaiser Karl zeigt uns immer wieder eine Steigerung!
BRAVO!
thomash
5. März 2014 at 22:51die marke chanel und karl lagerfeld sind ein phänomen! was für ein irres ereignis!
und dazu noch dieser artikel, würdig der schau! ich glaube, es gibt keinen zweiten schreiber, der schon auf den ersten blick das erkennt, was sich kempe dabei erschließt. vom zweiten und dritten und vierten blick ganz zu schweigen. fashion-, stil- und dazu noch ein brillantes marken-verständnis. sternstunde für alle!
Gérard
6. März 2014 at 01:06Die gepflegte Langeweile der Bourgeoisie. Auf mich wirkt CHANEL trotz aller finessenreicher Handwerklichkeit stilistisch seit Langem anachronistisch. Herr Lagerfeld ist augenscheinlich eher Eventmanager denn Designer. Diese Kollektion von Stoffklumpen versprüht in meinen Augen keinerlei Esprit. Zum Glück gibt es – der Freiheit sei Dank – für alles Liebhaber.
Dennoch „Chapeau!“, lieber Peter, CHANEL-Propaganda at its best! Dafür liebe ich Dich, mein Überzeugungstäter 🙂
xxx
6. März 2014 at 09:40Cooles set up , aber was sagt die Kundin zu den Looks.. ?
Ich lehne mich mal entspannt zurueck und warte auf Eiuren Bericht von Louis Vuitton….
Daisydora
6. März 2014 at 11:09Ein toller Bericht, kompetent und unterhaltsam und mir die Kleinigkeiten erklärend, die ich nicht auf Anhieb verstand. Merci Peter! 🙂
@xxx
Das kann auch nur Peter erklären ,… und an Louis Vuitton schreibe ich schon 😉
Siegmar
6. März 2014 at 11:48Lieber Peter „zum niederknien“ der Artikel, die Kollektion und der Supermarkt, der einfach „Wahnsinn“ ist im ganz positiven Sinne. 🙂
peter
6. März 2014 at 12:02@xxx Die Kundinnen finden die Teile, die zu ihnen passen und vor allem finden sie die Teile, die sie zu ihren vorhandenen kombinieren können … das baut ja immer aufeinander auf!
xxx
6. März 2014 at 15:52@daisydora……can’t wait…
Daisydora
6. März 2014 at 16:08@xxx
Den Bericht habe ich fertig, mein Best-Of auch … aber ich warte noch auf das Bildmaterial aus der Schau von Louis Vuitton … weil mit Jürgen Tellers Impressionen läuft das hier nicht 😉
j
6. März 2014 at 16:11Beitrag beeindruckend, Deko auch
Fräulein Schlau Schlau
7. März 2014 at 10:58Ein perfekter, treffender Bericht einer sensationellen Show! Bravo, weiter so!!
Die Woche auf Horstson | Horstson
9. März 2014 at 10:39[…] der Wochenhighlights auf Horstson! 1) Peter führte uns in den Supermarkt der Superlative: Carrefour Chanel 2) Trussardi ist auf den Hund gekommen: The Greyhounds of Trussardi 3) “Girl” ist […]
Objekt der Begierde: Die Chanel x Monster Kopfhörer | Horstson
16. April 2014 at 09:39[…] die in Kooperation mit Monster entstanden sind. Zu sehen waren sie das erste Mal im “Chanel Shopping Center”, zu bekommen werden sie ab Herbst sein. Man kann natürlich drüber streiten, ob sich […]