(Hermès A/W 1998 image of the advertising campaign over-painted by Martin Margiela (Cape Cod watch designed by Henri d’Origny and double-tour strap bracelet created by Martin Margiela), Photo: Thierry Le Goues )
Eine der spannendsten Modeausstellungen des Jahres eröffnet am Donnerstagabend im belgischen Antwerpen. Ausstellungen dieser Art haben sich in den letzten Jahren zwar sowieso zu Publikumsmagneten entwickelt, doch diese sollte man auf jeden Fall näher in Augenschein nehmen. Sie ist nicht nur einem der wichtigsten Modeschöpfer Belgiens, Martin Margiela, gewidmet, sondern setzt zusätzlich den Fokus auf eine der damals Aufsehen erregendsten Partnerschaften, der kreativen Leitung des Hauses Hermès.
Avantgarde und Tradition ging mit der Ernennung von Martin Margiela zum Chefdesigner der Damenmode von Hermès erstmals eine sehr erfolgreiche Partnerschaft ein, die später dazu führte, dass auch andere Häuser jüngere ausländische Designer ihren Kreativteams voranstellten.
Hermès A/W 1998-1999 Vareuse in double-faced cashmere, sleeveless high-neck pullover in cashmere, mid-length skirt in Shetland wool and boots in calfskin, ‘Le vêtement comme manière de vivre’ Le Monde d’Hermès, Photo: John Midgley
Doch drehen wir zunächst auf Anfang, denn der belgische Designer verdient es, tief und ausführlich beleuchtet zu werden, prägte er doch gemeinsam mit Helmut Lang und den Antwerp Six eine ganze Generation, meine Generation, und vermittelte eine neue Sicht auf Mode und den Aufbau und die Herangehensweise von Kollektionen.
Purismus und die Mode der Neunziger Jahre wären ohne Martin Margiela nicht denkbar gewesen. Seine Kreationen strahlen bis heute eine Modernität und Zeitlosigkeit aus, die jedes Teil nicht nur noch tragbar machen, sondern auch nach wie vor weit ihrer Zeit voraus erscheinen lassen. Fälschlich wird Martin Margiela oft in eine Reihe mit den Antwerp Six, eine Anfang der Achtziger Jahre aus den Modeklassen der Antwerpener Royal Academy of Fine Arts unter Linda Loppa hervorgegangenen Gruppe, bestehend aus Dries Van Noten, Walter Van Beirendonck, Ann Demeulemeester, Dirk Bikkembergs, Marina Yee und Dirk van Saene gestellt, mit denen er aber nur locker verbunden war. Zwar machte er 1981 auch seinen Abschluss an der Royal Academy of Fine Arts, arbeitete aber zunächst als freier Stylist. Nebenbei entwarf Margiela eigene Stücke, ging dann aber klassisch nach Paris, um, in einer der wichtigsten Phasen von Jean Paul Gaultier, zwischen 1984 und 1987 als Assistent bei dem französischen Designer zu arbeiten. In diese Zeit fallen auch Gaultiers wichtigste Neuerungen, die er damals in die Herrenmode brachte und an denen Margiela maßgeblich beteiligt war.
1988 beschloss Martin Margiela, sich mit Hilfe und in Partnerschaft mit der Brüsseler Einzelhändlerin Jenny Meirens, die den geschäftlichen Part der gegründeten „Maison Martin Margiela“ übernahm, selbständig zu machen. Zu einer Zeit, als der Designer im Vordergrund stand und immer wichtiger als Aushängeschild der Häuser wurde, wollte Martin Margiela nie als Person im „Rampenlicht“ stehen, warum er auch keine Interviews gab und sich nicht fotografieren ließ. Später wurde er noch etwas radikaler, lehnte den damals aufkommenden Supermodel-Hype komplett ab und anonymisierte Modenschauen so stark, bis er schließlich auf Präsentationen umstieg, bei denen nur noch die Teile auf Kleiderbügeln in die Luft gehalten wurden.
Maison Martin Margiela S/S 1996, Photo: Marina Faust
Bei Martin Margiela hat Mode nie etwas Romantisches oder Verklärtes, vielmehr geht es ihm um die Technik und die Konstruktion. Er ist wie ein Architekt und, überspitzt ausgedrückt, ein Dekonstruktivist und Konstruktivist. Recycling und vorhandenes Verwandeln, Existentem eine neue Existenz geben – etwas, was Anfang der Achtziger Jahre in der Mode nicht existierte und neuartig erschien.
Margiela gilt bis heute als Modernist und Vertreter des Dekonstruktivismus: Bereits existente, recycelte Kleidungsstücke nimmt er auseinander und setzt sie neu zusammen. Die Nähte nach außen gewendet, macht er sichtbar, was in der Mode bisher verborgen blieb – den Konstruktionscharakter. Das ging so weit, dass er die Markierungen und Linien von Schnittmustern auf den Stücken sichtbar machte oder auch Nähte offen oder übersteigert ausführte. Später ging Margiela dazu über, neue Materialien, die aber wie recycelt wirkten, zu benutzen. Zweidimensionale und „kastige“ Schnittbilder prägen seine Kreationen.
Maison Martin Margiela A/W 1992-1993, Photo: Marina Faust; Hermès A/W 2002-2003 Tunic pullover in cashmere, pants in cashmere flannel, scarf in lambskin, ankle boots and gloves in leather, Photo: Stany Dederen
Martin Margiela setzte übergroße Ärmel als Kontrast an schmale Schulterpartien; aus alten Damenhandschuhen fertigte er Blusen und Hemden; aus VHS-Magnetbändern Überwürfe und Mäntel; Westen aus einzelnen Stoffteilen hielt er mit braunem Paketklebeband zusammen. Unfertig und Fertig, Entstehungs- und Alterungsprozess – Margiela war Jahrzehnte vor Vetements und Co. fasziniert von „Work in Progress“-Momenten.
Hinzu kamen, wie bei vielen anderen Designern seiner Generation, japanische und fernöstliche Einflüsse, die sich durch Rai Kawakubo, Kenzo, Issey Miyake oder Yoshi Yamamoto in Paris einen Namen machten. Zu seinen Markenzeichen wurden an den japanischen „Tabi“-Schuhen und Socken orientierte, an Hufe erinnernde Schuhe.
Martin Margiela gab nur Interviews per Fax, zeigte sich nach seinen Schauen nicht auf dem Laufsteg und das letzte Bild von ihm, abgesehen von zufälligen Schnappschüssen, wurde 2008 in der New York Times veröffentlicht. Margiela sprach von sich nicht als Person, sondern im Namen der Maison Margiela und auch seine fast klinisch und laborhafte Einstellung machte er über seine Lieblingsfarbe Weiß zum Markenzeichen. Alles ist weiß übertüncht – seine Verkäufer tragen Laborkittel wenn sie ihre Kunden beraten. Atelier und Einkaufstaschen sind, wie der Kaffeeautomat für die Mitarbeiter, in Weiß gehalten. Es geht bei Margiela um den Inhalt und nicht um das Äußere. Eine Einstellung, die besonders in der Mode radikal ist.
Maison Martin Margiela, A/W 1994-1995, Photo: Marina Faust; Hermès A/W 1999-2000 Shawl collar cardigan and sleeveless tunic pullover in cashmere, ‚Portraits de femme en Hermès‘, Le Monde d’Hermès, Model: Marie-Anne Van der Plaetsen, Photo: Joanna Van Mulder
1997 kam es dann zur Sensation: Der damalige CEO von Hermès, Jean Louis Dumas, ernannte Margiela überraschend zum Chefdesigner der Damenmode, wo ihn 2004 Jean Paul Gaultier ablöste. Das für seine Lederwaren und Accessoires bekannte Pariser Familienunternehmen stand für Damenmode von unschlagbarer Qualität aber mit bourgeoisen Image. Die Wurzeln von Hermès lagen in der Reiterbekleidung und dem genialen Wurf des Großvaters, den Reißverschluss erstmals in die Mode eingeführt zu haben.
Als Couture Haus war Hermès nur wenige Jahre aktiv; der Fokus lag auf Luxus-Prêt-à-porter mit eher sportlicher Ausrichtung. Auch war der Umsatzanteil, der durch Kelly und Birkin Bag und seine berühmten Seidentücher bekannten Marke auf unter 20 Prozent gefallen. Es fehlte die Innovation, die Hermès in allen anderen Metiers auf die Flagge geschrieben waren.
Das änderte sich mit Martin Margiela sofort. Er sog die Markencodes und die Materialien, für die Hermès bekannt ist, neu auf und setze sie perfekt in seinen Stil um. Der Margiela-Stil prägt bis heute das Prinzip der Schlichtheit, und die Konzentration auf das Material und die Schnitte, für die Hermès bis heute steht. Pferdedecken und Geschirr wurden dekonstruiert und zu Mänteln verwandelt; Plaids mit Knebelverschlüssen zu Jacken; feinste Qualitäten in Kontext mit groben Strick und Strukturen gesetzt. Grafische und eindimensionale Schnitte ließen feinsten Kaschmir wirken. Martin Margiela spielt mit den Wurzeln des Hauses, indem er Reitermäntel abschneidet oder Trenchcoats zu Westen und Chasubles werden lässt.
Maison Martin Margiela A/W 1991-1992, Photo: Marina Faust; Hermès A/W 2002-2003 ‘Les Gestuelles’, Photo: Marina Faust
Martin Margielas Entwürfe bekommen Multifunktionen und so werden Tuniken zu Pullovern oder erscheinen wie nicht zu öffnende Jacken. Herrenanzüge in fließenden Formen werden verweiblicht, das Carré zur Losange und es wird immer wieder mit Layer-Looks gespielt.
Die Raffinesse bei Hermès liegt in seiner Großzügigkeit von Materialien, die er in ruhiger und schlichter Flächigkeit wirken lässt. Gewebten Kaschmir-Doubleface verarbeitet Margiela wie Strick. Schlichte Turtleneck oder Rundhals-Strickkleider und Pullover bilden zum den Rumpf, auf denen er die Layer-Looks aufbaut.
Maison Martin Margiela A/W 1996-1997, Photo: Anders Erdström; Hermès A/W 1998-1999, Photo: Studio des Fleurs
Der Margiela-Look für Hermès hat nicht „nur“ Erfolg. Betrachtet man heute die ausgestellten Looks, wird einem auch klar, das es damals auch ein Wagnis für das Haus bedeutete. Die Margiela-Zeit bildet aber eine der kreativsten und auch prägendsten Phasen der Mode von Hermès und bildet auch heute noch das Fundament der Designgrundsätze des Hauses. Die Ausstellung „Margiela – The Hermès Years“ zeigt das auf beeindruckende Weise und beleuchtet in den Hermès-Kreationen und parallel in den eigenen Modellen für Maison Margiela beispielhaft die Details und auch die Eigenwilligkeiten der starken Designerpersönlichkeit.
Margiela verhüllte häufig die Gesichter der Models mit einer Art Strumpfmaske. Auch Perücken spielen eine enorme Rolle bei ihm. Eine Reminiszenz nicht nur daran, dass er die Models unkenntlich machen will, sondern auch auf seine Limburger Kindheit, denn seine Eltern hatten einen Großhandel für Perücken und Parfümerie und Friseurbedarf.
Deshalb ist auch der Mantel, der komplett aus roten Haaren bestand, den Martin als Hommage für das 40 jährige Jubiläum von Sonia Rykiel entwarf, nicht nur ein Tribut an die Frisur der französischen Designerin, sondern auch an seine Eltern und ihre Profession.
Margiela gehörte zu einer heute fast ausgestorbenen Kategorie von Designern, die sich nie um Trends oder Tendenzen kümmerten, sondern denen es um Designprinzipien und der Entwicklung ihres eigenen Stils und dem Weg der Konsequenz, den er einschlagen musste, ging. Etwas, woraus wirklich Neues entsteht, das nichts mit Fashionsystem, Kommerz oder auch Marketing zu tun hat, sondern mit dem Weg des Erschaffens und der Kreation, sowie Wege auszuprobieren und auch für andere ebnen. Experimente, die heute, nur zwanzig Jahre danach, in einem sich völlig gewandelten Modesystem von Multikonzernen gar nicht mehr verfolgen ließen, bzw. im Kern sofort erstickt werden würden.
Hermès A/W 2000-2001 Jacket ‘Les Transformables’, Photo: Stany Dederen
Übrigens, die Einladung, die zur Ausstellung in den Briefkasten geflattert kam, war typisch für Margiela: Eine Hermès-Anzeige der „Cape Code“-Uhr mit dem berühmten, von ihm entworfenen doppelten Armband, das man zweimal um die Handgelenke wickelt. Wie rausgerissen aus einem Magazin mit unregelmäßig gerissenem Rand.
Genau, wie unsere Generation gelernt hat, an Kollektionen zu gehen. Stylisten besorgten sich Tonnen von Magazinen, rissen alles, was interessant als Inspiration war, heraus und verarbeiteten, vor Internet und Co., alles zu Collagen. Dekonstruktion der Saisons um Neues zu erschaffen – das Margiela-Prinzip.
Ende 2009 zog sich Martin Margiela, der sein Unternehmen ab 2002 sukzessive an Renzo Rosso, Eigentümer der Diesel-Gruppe, verkauft hatte, ins Privatleben zurück.
Hermès A/W 2001-2002 Collarless jacket and pants in cashmere and silk, high-neck pullover in cashmere and silk, scarf ‘Losange’ in silk crêpe, Le Monde d’Hermès, Photo: Ralph Mecke
Die große Freiheit, die Margiela für die Maison Margiela und auch bei Hermès genoss, ein Fazit, das der Besucher aus der Ausstellung genauso gewinnen wird, wie ein umfassendes Bild seines Schaffens.
Reizvoll finde ich den Gedanken, das Martin Margiela zu seiner eigenen Vernissage gehen kann, ohne gleich von jedem erkannt zu werden. Welch ein Privileg für einen Mann, der immer seinen eigenen Weg gegangen ist und in der heutigen Zeit der omnipräsenten Medien, das Privileg auf Privatsphäre nicht verloren hat.
Martin Margiela „The Hermès Years“
ModeMuseum Provincie Antwerpen
Nationalestraat 28
2000 Antwerpen
Belgien
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag, 10 bis 18 Uhr.
Nocturne jeden ersten Donnerstag im Monat,
10 – 21 Uhr.
PeterKempe
29. März 2017 at 05:31Ich bin gespannt, ob der großartige Dries van Noten am Donnerstagabend auch zur Eröffnung der Schau seines Landsmannes ist…
Horst
29. März 2017 at 21:41Ich bin sehr gespannt und werde mir den Katalog kaufen! 🙂
Monsieur Didier
1. April 2017 at 23:33…großartig und einzigartig…
…diese Ausstellung würde ich sehr sehr gerne sehen…!
Anselm Reyle, Michaela Meise und Jose Dávila in der König Galerie | Horstson
26. April 2017 at 09:33[…] hoch: An der Modeausstellung „Margiela – The Hermès Years“ komme ich nicht vorbei, Peters Bericht hat meine Vorfreude immens […]